Dokument-Nr. 10100

Die französische Gesandtschaft in München, in: Bayerische Staatszeitung und Bayerischer Staatsanzeiger, 19. Juli 1920
Die neuliche Meldung, dass Ministerpräsident Dr. v. Kahr den von der französischen Regierung für München ernannten Gesandten Herrn Emil Dard empfangen und dessen Beglaubigungsschreiben entgegengenommen habe, hat der "Deutschen Allg. Ztg." Veranlassung gegeben, auf die Vorgeschichte dieser Angelegenheit, die in der Presse bereits allerlei Kommentare zeitigte, hinzuweisen. Das Blatt schreibt:
"Die französische Regierung berief sich auf den Schlusspassus der Einleitung zum Versailler Vertrag, worin gesagt wird, dass die Anknüpfung diplomatischer Beziehungen mit Deutschland oder einem oder dem anderen [sic] Bundesstaat nach Inkrafttreten des Friedensvertrages möglich wäre. Demgegenüber stand und steht die Reichsregierung auf dem Boden des Artikels 78 der Reichsverfassung, welcher ausdrücklich den Verkehr mit auswärtigen Mächten als Reichsangelegenheit bezeichnet und ebenso ausdrücklich den Verzicht der Bundesstaaten auf Sondervertretungen ausspricht. Dieser Standpunkt der Reichsregierung wurde auch dem bayerischen Ministerpräsidenten bekannt gegeben. Dennoch hielt es Herr v. Kahr für opportun, den rein formalen Akt der Entgegennahme des Beglaubigungsschreibens vorläufig zu vollziehen. Die Verfassungsfrage bleibt zunächst offen."
Gegenüber dem leisen Vorwurf, der aus dem letzten Satze herausklingt, glauben wir auf Grund unserer Kenntnis der Dinge darauf hinweisen zu dürfen, dass sich der Standpunkt der bayerischen Regierung bzw. des Herrn v. Kahr in nichts von dem der Reichsregierung unterscheidet. Wenn trotzdem der französische Gesandte empfangen und sein Beglaubigungsschreiben entgegengenommen wurde, so geschah das lediglich aus Höflichkeit und um in die gegenwärtige Situation keine neuen Schwierigkeiten hineinzutragen. Jedenfalls ist sich auch der französische Gesandte im Klaren darüber, dass er mit der bayerischen Regierung Angelegenheiten der auswärtigen Politik nicht erledigen kann, sondern dazu den Weg über die Reichsregierung in Berlin gehen muss.
An Pariser zuständiger Stelle ist man übrigens, wie die Telegraphenunion heute von dort meldet, der Ansicht, dass der deutsche Protest gegen die Entsendung eines französischen Gesandten nach München unbegründet sei. Frankreich verfolge in Süddeutschland keine Lostrennungsbestrebungen. Wahrscheinlich würden auch Italien und England dem französischen Beispiel folgen. Eine deutsche Note, welche sicherlich nach Paris gesandt würde, könne nur das Argument enthalten, dass die Bestimmung der Reichsverfassung keine direkten Beziehungen zu auswärtigen Ländern den deutschen Bundesstaaten gestatte. Dieser Grund treffe aber nicht zu, da der Versailler Vertrag die Wiederherstellung der Beziehung zu Bayern auf den Verhältnissen der Vorkriegszeit aufbaue.
Diese Angelegenheit wird wohl staatsrechtlich geklärt werden. Ihrem Austrag kann es aber kaum nützen, wenn, wie es verschiedentlich bereits geschehen ist, mit starken Ausdrücken, die weit über das Ziel hinausschießen, vorher schon Stellung zu ihr genommen wird.
Empfohlene Zitierweise
Anlage vom 19. Juli 1920, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 10100, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/10100. Letzter Zugriff am: 28.03.2024.
Online seit 14.01.2013.