Dokument-Nr. 11290
Pacelli, Eugenio an Erzbischöfe, Bischöfe und Obere der Orden und Kongregationen in Deutschland
München, 31. März 1924

(Nicht für die Oeffentlichkeit)
Die apostolische Sorge Seiner Heiligkeit, des glorreich regierenden Papstes Pius XI. um die Wiedervereinigung der Ostslaven mit der hl. Kirche ist bekannt, und im besonderen Seine väterlichen Bemühungen zugunsten der Russen. Seine Heiligkeit schätzt in hohem Grade die reichen natürlichen Gaben und Vorzüge, mit denen Gott das russische Volk ausgestattet hat, besonders die Demut, Glaubensbereitschaft und Leidenskraft der russischen Seele. Es lässt sich denken, zu welch' herrlicher Zierde diese Gaben der Kirche Gottes gereichen könnten, wenn sie entfaltet und geadelt würden durch die Gnaden des wahren Glaubens, und wenn sie in die volle Freiheit des Evangeliums versetzt würden durch die Vereinigung mit der heiligen römischen Kirche.
Dazu kommt, dass gerade jetzt das russische Volk bis in seine innersten Tiefen aufgewühlt und erschlossen ist durch unerhörte Leiden und Drangsale. Die Seelen sind empfänglich geworden für das gütige Wort einer so erbarmenden Mutter, wie es die römische Kirche gerade diesem Volke gegenüber sein möchte. Und so ist es unserem heiligen Vater, als hörte er gerade jetzt mit besonderer Eindringlichkeit die Stimme des guten Hirten, der
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uns dieses arme, irrende und suchende Volk ans Herz legen möchte: "Mich erbarmt das Volk; denn sie sind bedrängt und liegen da wie Schafe, die keinen Hirten haben." (Vgl. Matth. 9,36). Darum fühlt Seine Heiligkeit schwer die grosse Verantwortung, die gerade dem russischen Volke gegenüber auf den Hirten der römischen Kirche lastet.
Die wichtigste und unerlässlichste Vorbedingung aber, um ein so weitschauendes und umfassendes Werk in Angriff nehmen zu können, ist die Heranbildung geeigneter und eifriger apostolischer Arbeiter. Die Ernte ist gross und geht der Reife entgegen, aber der [sic] Arbeiter sind nur wenige. Zahlreiche Russen leben in Deutschland, die vielleicht einer klugen religiösen Anregung von katholischer Seite zugänglich wären. Und wenn gar in absehbarer Zeit die weiten russischen Länder sich der apostolischen Arbeit erschliessen sollten, was wir von der göttlichen Vorsehung zuversichtlich hoffen wollen, und was in den Randstaaten bereits zu einem guten Teil eingetreten ist, welche Kräfte stehen uns dann zur Verfügung? Es ist leider zu befürchten, dass die Protestanten, die schon so vieles vorbereitet haben, den Katholiken zuvorkommen.
Der intellektuellen und moralischen Ausbildung der zu so hoher und wichtiger Mission geeigneten Kräfte widmet sich das Päpstliche Orientalische Institut in Rom, gegründet von Papst Benedikt XV. hochseligen Angedenkens, weiter ausgestaltet und gefördert vom regierenden Heiligen Vater. Die Ziele und Methoden dieses Institutes, den Hochwürdigsten Herren Erzbischöfen, Bischöfen und Ordensobern übrigens bereits bekannt, sind
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kurz auf den beigeschlossenen Blättern angegeben. Wie daraus zu ersehen ist, umfasst die Hauptbestimmung, die der Heilige Vater dem Orientalischen Institut gegeben hat, nicht nur die Heranbildung von Missionären, sondern in erster Linie auch die Ausbildung von wissenschaftlichen Fachmännern, welche die religiösen Verhältnisse sowohl Russlands wie auch der übrigen orientalischen Länder gründlich kennen. Einerseits nämlich soll durch die Arbeit dieser Fachleute unter den Gläubigen der verschiedenen abendländischen Nationen ein auf Tatsachen gegründetes Verständnis und eine mit Einsicht gepaarte Begeisterung für den katholischen Aufruf zur Rückkehr der getrennten Christen befördert werden; andererseits soll in allen bedeutenderen Ländern eine Anzahl von Gelehrten bereitgestellt werden, die fähig sind, auf einem allgemeinen Konzil diese Fragen aus eigener Kenntnis zu behandeln. Wenn auf solche Weise die Rückkehr der Getrennten sich nach Geistlichen und Völkern richtet, die eine eingehendere Kenntnis der Verhältnisse besitzen und wohlwollendere Gesinnung hegen, dann wird sie auch eher von dauerndem Bestande sein als die Unionen der Vergangenheit.
Im Namen und im ausdrücklichen Auftrag Seiner Heiligkeit wende ich mich nun vertrauensvoll an Sie mit der herzlichen Bitte, um der Liebe Christi willen dem genannten Institut junge Priester zuführen zu wollen, welche die nötigen Eigenschaften haben und bereit sind, sich dem Apostolat unter dem russischen Volke zu widmen. Ich darf Sie wohl auch bitten, dass Sie dieses Anliegen unseres Heiligen Vaters gelegentlich in Ihren Ansprachen, Ihrem Klerus und besonders Ihren Priester-
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kandidaten in den Seminarien bezw. den Mitgliedern Ihrer Genossenschaft dem Gebete empfehlen. Das könnte für manche wohl der Weg sein, auf dem die göttliche Vorsehung sie diesem erhabenen Werke zuführt.
Ich bin überzeugt, dass der deutsche Klerus, der auf eine so glänzende Geschichte eifervollen Apostolates zurückblicken kann, nicht hinter den Klerus anderer Länder zurückstehen wird, und dass im Laufe der nächsten Jahre und Jahrzehnte eine opferbereite Schar von seeleneifrigen Priestern diesem väterlichen Aufruf Seiner Heiligkeit folgen wird.
Die Hochwürdigsten Herren, welche noch nähere Angaben wünschen, mögen sich an die Adresse wenden: "Pontificio Istituto Orientale – Piazza Pilotta 35 – Roma I".
Mit dem Ausdruck ausgezeichnetster Wertschätzung
Ergebenst!
+Eugenio Pacelli Erzbischof von Sardes
Apostolischer Nuntius
Empfohlene Zitierweise
Pacelli, Eugenio an Erzbischöfe, Bischöfe und Obere der Orden und Kongregationen in Deutschland vom 31. März 1924, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 11290, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/11290. Letzter Zugriff am: 20.04.2024.
Online seit 18.09.2015, letzte Änderung am 29.01.2018.