Dokument-Nr. 11606

Heyer, Friedrich: Die Frage der Diözesanzirkumskription in Preußen. Berlin, 12. Mai 1927

ist erst im Laufe der zurzeit schwebenden Konkordatsverhandlungen neu aufgeworfen worden, soweit dies nicht schon durch die Folgen des Friedensvertrages von Versailles geschehen war. Früher vereinzelt laut gewordene Wünsche nach Gründung neuer Bistümer haben kaum in einem Falle autoritativen Charakter angenommen. Dem vor einem Jahrhundert vollzogenen Aufbau der Diözesen hat sich vielmehr die seitherige kirchliche Entwicklung organisatorisch außerordentlich eng angepaßt. Schon diese Umstände raten zur Vorsicht, wenn Änderungen an dem bisherigen System vorgenommen werden sollen.
Maßhalten in dieser Frage ist aber vor allem deshalb geboten, weil sie nur im Rahmen der ganzen Konkordatsfrage betrachtet und gelöst werden kann. Einerseits besteht ein wesentliches staatliches Interesse daran, daß auch dieser Punkt in der Vereinbarung mit dem Apostolischen Stuhle klargestellt und, ständigem Konkordatsbrauch entsprechend, eine etwaige Neuzirkumskription darin festgelegt werde, sodaß eine staatliche Einwilligung zur zukünftigen Errichtung von Diözesen, die jetzt noch nicht als nötig und möglich nachgewiesen ist, nicht in Frage kommen kann. Anderseits [sic] sind einzelne Zirkumskriptionswünsche, wenn sie ohne Rücksicht auf die politische Gesamtlage des Konkordatsproblems urgiert werden sollten, allzu geeignet, das Zustandekommen der Vereinbarung aufs äußerste zu gefährden. Insbesondere wird eine Neuzirkumskription auch darauf Bedacht nehmen müssen, daß durch sie nicht die Lösung der schon aus anderen Gründen schwierigen Dotationsfrage im Konkor-
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dat unmöglich gemacht wird. Auch die folgenden Zirkumskriptionsvorschläge können nur unter dem ausdrücklichen Vorbehalt gemacht werden, daß sie als Teil einer Gesamtvereinbarung zwischen Staat und Kirche angesehen werden.
Wenn trotz den angedeuteten Bedenken der Staat einer Erörterung der Zirkumskriptionsfrage sich nicht entzieht, so geschieht das hauptsächlich aus drei Gründen. Keiner Erläuterung bedarf es, daß die durch die preußischen Gebietsverluste, namentlich im Osten, in Mitleidenschaft gezogenen Diözesangrenzen neu geregelt werden müssen. Nicht verkannt werden kann auch, daß einzelne Diözesen wegen der außerordentlichen Größe ihres Umfangs oder ihrer Seelenzahl einer Entlastung bedürfen. Schließlich wird zu berücksichtigen sein, daß die Organisation der alt- und der neupreußischen Diözesen auf verschiedenen Zirkumskriptionsbullen beruht und gewisse hieraus entspringende Unstimmigkeiten bisher nicht ausgeglichen worden sind.
Bei Beseitigung dieser Mängel wird man an dem bisherigen Bistümersystem im ganzen schon deshalb möglichst festhalten müssen, damit die im Laufe des Jahrhunderts geschaffenen Diözesaneinrichtungen nicht gefährdet werden. Stärkere Um- und Neubildungen wird man nur dort wagen dürfen, wo die geschichtlichen Voraussetzungen oder organisatorische Ansätze dazu raten. Wünschenswert ist vor allem, auch vom kirchlichen Standpunkt aus, daß eine einheitliche Verbesserung der Gesamtzirkumskription zustande kommt. Das ist aber nur möglich, wenn sich diesem Grundbedürfnis die einander zum Teil widersprechenden Interessen und Wünsche der einzelnen Bistümer unterordnen. Nicht eine Vermehrung der kleineren, sondern nur eine Verkleinerung der übergroßen Diözesen kann in Frage kommen, und diese Verkleinerung wird möglichst unter Vergrößerung, wenn auch nicht zum
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Nachteil, der verhältnismäßig kleinen Diözesen geschehen müssen. Eine gute Neuzirkumskription wird schließlich auf die nach wie vor völlig ungleichmäßige örtliche Verteilung der Katholiken in Preußen und auf die Sicherstellung der kirchlichen Versorgung der großen Diasporagebiete durch leistungsfähige Diözesen Rücksicht zu nehmen haben. Ausdrücklich wird für die staatliche Einwilligung zu einer Neuzirkumskription insbesondere die Nichtvermehrung der preußischen theologischen Lehranstalten zur Bedingung gemacht werden müssen.
Von diesen Gesichtspunkten aus könnten staatlicherseits für das Konkordat im einzelnen etwa folgende Änderungen der preußischen Diözesanzirkumskription in Betracht gezogen werden.
Das von der Diözese Kulm bei Preußen verbliebene Dekanat Pomesanien, das schon jetzt dem Bischof von Ermland als Apostolischem Administrator unterstellt ist, wäre zweckmäßig mit dieser Diözese zu vereinigen, die ihrerseits das Memelgebiet verloren hat.
Die westlichen preußischen Reste von Kulm und Gnesen-Posen, die zurzeit vom Apostolischen Administrator in Schneidemühl verwaltet werden, haben schon eine staatlich anerkannte Selbständigkeit. Aus außenpolitischen Gründen empfiehlt es sich, dieses Gebiet in seiner, wenn auch eigenartigen, Begrenzung zu erhalten. Zu einem Bistum eignet es sich seiner ganzen Struktur nach und wegen seiner verhältnismäßig geringen Seelenzahl wohl nicht. Es wäre aber, vorbehaltlich der finanziellen Regelung, nichts dagegen einzuwenden, wenn anstelle des Apostolischen Administrators ein praelatus nullius gesetzt würde.
Bezüglich der Diözese Breslau spricht alles dafür, daß ihr ihre jetzige in die Tschechoslowakei hineinragende Grenze nach wie vor erhalten bleibt, wie anderseits das Her-
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einreichen der Erzbistümer Prag (Grafschaft Glatz) und Olmütz (Distrikt Katscher) in preußisches Gebiet weiter geduldet werden muß. Trotz dem Verlust von Ost-Oberschlesien bleibt Breslau an Ausdehnung der größte, an Seelenzahl der zweitgrößte der bischöflichen Verwaltungsbezirke Preußens. Auch in dem mit ihm verbundenen sog. Delegaturbezirk Berlin ist in der hundertjährigen Entwicklung die Seelenzahl der Katholiken auf rund 550.000 angewachsen. Für eine Teilung des beispiellos großen, vier preußische Provinzen umfassenden Breslauer Gesamtsprengels sprechen gewichtige Gründe. Der Delegaturbezirk selbst besaß schon nach der Bulle De Salute eine gewisse Selbständigkeit dadurch, daß er nicht der Diözese Breslau einverleibt, sondern nur der Verwaltung des jeweiligen Breslauer Bischofs unterstellt wurde, der sie aber durch den Propst von St. Hedwig in Berlin als päpstlichen Subdelegaten ausüben lassen mußte. Wenn daher von den Katholiken Berlins, Brandenburgs und Pommerns dringend um weitere Verselbständigung des Delegaturbezirks gebeten wird, so will man sich staatlicherseits diesem Wunsche unter besonderem Vorbehalt etwaiger finanzieller Auswirkung nicht verschließen. Die Frage, ob der Ordinarius dieses verselbständigten Bezirks Diözesanbischof von Berlin werden kann, ist einer der heikelsten Punkte der schwebenden Verhandlungen; staatlicherseits wird, soweit sich die Verhältnisse übersehen lassen, nur die Errichtung einer praelatura nullius für möglich gehalten.
Da Preußen im Osten die Erzbistümer Gnesen und Posen verloren hat und im ganzen nur noch ein Erzbistum besitzt, besteht der staatliche Wunsch, daß das bedeutendste Bistum des Ostens, Breslau, zum Erzbistum erhoben werde, zumal es in seinem Ansehen durch die polnische Zirkumskription empfindlich
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berührt worden ist. Auch dürfte es erwünscht seein, daß der Erzbischof von Breslau, wie früher der von Gnesen und Posen, Metropolit einer Kirchenprovinz würde, zu der, besonders mit Rücksicht auf das polnische und litauische Beispiel, außer den Sprengeln Berlin und Schneidemühl wohl auch das Bistum Ermland gehören müßte.
Im Westen Preußens wird vor allem für die Erzdiözese Köln mit ihrer Seelenzahl von fast 3 1/2 Million und ihren rund 2.000 Geistlichen betont, daß die Entwicklung auf ihre Teilung dränge. Auch hier ist eine wirkliche Notlage anzuerkennen. Zugleich ist ein Ansatz zur Schaffung eines neuen Sprengels gegeben. Aachen, das im Anfang des vorigen Jahrhunderts Sitz eines die Erzdiözese Köln verkleinernden Bistums gewesen ist, besitzt schon ein Kapitel und einen der ehrwürdigsten Dome, so daß man seit dem starken Anwachsen des Erzbistums schon früher die Neugründung einer Diözese Aachen angeregt hat. Man wird trotz dem Verlust von Eupen und Malmedy sie auch heute noch als die geeignetste ansehen müssen. Das neue Bistum wäre am besten wohl so zu zirkumskribieren, daß es von der Erzdiözese Köln den Regierungsbezirk Aachen und die Kreise Grevenbroich, Gladbach (M.-Gladbach, Rheydt) und Krefeld, außerdem aber von der Diözese Münster die linksrheinischen Teile des Regierungsbezirks Düsseldorf übernähme. Das Erzbistum Köln würde auf diese Weise eine Verringerung seiner Seelenzahl um mehr als 1 Million und dadurch eine so wesentliche Entlastung erfahren, daß es auf absehbare Zeit den Aufgaben des ihm verbleibenden Gebiets gewachsen sein dürfte. Eine weitere Verkleinerung dürfte sich schon mit Rücksicht auf seinen Metropolitancharakter und seine dem bisherigen Umfang angepaßten großen Diözesaneinrichtungen nicht empfehlen.
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Die Einbeziehung des westlichen Teiles der Diözese Münster in die Grenzen des neu zu gründenden Bistums Aachen rechtfertigt sich aus mehreren Gründen: Der linke Niederrhein hat auch ehemals zu diesem gehört und ist zur Erreichung einer angemessenen Bistumsgröße notwendig, die auf Kosten von Köln allein wohl nicht zu erzielen ist. Außerdem ist vom Bischof von Münster selbst die Abtrennung des rheinischen Teiles seiner Diözese empfohlen worden. Die rechtsrheinischen Kreise dürften allerdings besser bei Münster bleiben, weil sonst das junge Bistum Aachen von Anfang an zu stark belastet würde und auch die rechtsniederrheinische Bevölkerung weniger zu diesem als zu jenem paßt. Auch so würde das Bistum Münster immerhin um ein beträchtliches Gebiet und um mindestens 300.000 Seelen verkleinert werden, ohne daß aber hier die Bildung einer weiteren neuen Diözese nötig würde.
Nicht mit demselben Nachdruck wird von Münster/ das zukünftige Ausscheiden Oldenburgs aus seinem Diözesangebiet beantragt. Die Frage ist deswegen von geringerer Bedeutung, weil der oldenburgische Teil schon unter besonderer Verwaltung des Offizials zu Vechta steht. Für eine eigene Diözese sind das Gebiet und die Seelenzahl (rund 110.000) zu klein. Die Zugehörigkeit zu einer preußischen Diözese wird wohl auch in Zukunft nötig sein. Zweckmäßiger als die Angliederung an Münster wäre aber vielleicht, die Zustimmung Oldenburgs vorausgesetzt, die an Osnabrück, von dessen Diözesangebiet es umgeben wird und das eine im Verhältnis zu den übrigen Diözesen wünschenswerte Vermehrung seiner Seelenzahl erfahren würde.
Der Gedanke einer Verselbständigung der von dem Bischof von Osnabrück verwalteten Missionsgebiete dürfte für absehbare Zeit sehr skeptisch zu beurteilen sein. Preußischerseits ist man weniger an der künftigen kirchlichen Verwaltung
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der sog. Norddeutschen Missionen als an der Schleswig-Holsteins interessiert. Daß dieses mit seinen weniger als 50.000 Diasporakatholiken kein eigenes Bistum werden könnte, versteht sich von selbst; jedoch dürfte zur Umwandlung seines Missionscharakters in einen diözesanen das staatliche Einverständnis wohl zu erlangen sein. Dabei wäre zu erwägen, ob es nicht - mit oder ohne die Norddeutschen Missionen - besser mit Hildesheim als mit Osnabrück zu vereinigen wäre.
Obwohl zu den größten Diözesen Preußens nach Umfang und Seelenzahl auch das Bistum Paderborn gehört, wird an die Errichtung einer neuen Diözese in seinem sächsisch-anhaltisch-thüringischen Teile nicht nur aus politischen, sondern auch aus kirchlichen Gründen in naher Zukunft nicht zu denken sein. Er besteht fast ganz aus besonders schwierigem Diasporagebiet und zählt noch nicht 1/4 Million Katholiken, von denen nahezu die Hälfte dem kleinen Obereichsfeld angehört, während der andere Teil über das übrige große Gebiet verstreut ist. Die Verwaltung dieses Bistumsanteils ist aber durch das Vorhandensein dreier Kommissariate und umfangreiche Delegationen an sie schon jetzt erleichtert. Es dürfte im Interesse des preußischen Katholizismus dringend geboten sein, daß mangels eines anderen dazu fähigen Bistums Paderborn auch weiterhin die Last der Verwaltung und Seelsorge für dieses Diasporagebiet trägt, wenigstens für den Kommissariatsbezirk Magdeburg und den früher zu ihm gehörigen Regierungsbezirk Merseburg. Dagegen wäre es wohl ratsam, den Kommissariatsbezirk Heiligenstadt und das Dekanat Erfurt mit dem bisher verhältnismäßig kleinen und schwachen Bistum Fulda zu vereinigen, das dadurch einen jedenfalls willkommenen Zuwachs von rund 125.000 Seelen und eine, nach der Schaffung des Staates Thüringens besonders erwünschte, Abrun-
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dung seines jetzt zersplitterten Gebiets erführe. Daß geschichtlich und völkisch Zusammengehöriges wiedervereinigt würde, wäre ein weiterer Vorzug dieser Lösung.
Das Bistum Fulda würde durch diesen Zuwachs zugleich für die ihm zurzeit angehörenden Teile von Frankfurt a/M. entschädigt, falls es diese im Interesse einer einheitlichen Pastorierung des Stadtgebiets an die Diözese Limburg abtreten müßte.
Zu erwägen wäre schließlich, ob der zum Bistum Trier gehörige Kreis Wetzlar nicht besser einer der an ihn grenzenden preußischen Diözesen anzugliedern wäre.
Den Zeitpunkt der Verwirklichung des hier entwickelten Zirksumskriptionsplanes zu bestimmen, könnte der Kirche anheimgegeben werden.
Empfohlene Zitierweise
Heyer, Friedrich, Die Frage der Diözesanzirkumskription in Preußen, Berlin vom 12. Mai 1927, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 11606, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/11606. Letzter Zugriff am: 28.03.2024.
Online seit 20.01.2020.