Dokument-Nr. 12186

Becker, Carl Heinrich: Erklärung des Herrn Ministers für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung zur Frage des Konkordats. Berlin, 07. Februar 1927

Der Herr Abg. Winckler und andere Vorredner haben sodann das Konkordatsproblem berührt. Ich bin dankbar, daß mir damit Gelegenheit gegeben wird, mich zu dieser die Öffentlichkeit in steigendem Maße beschäftigenden, für das Verhältnis des Staats zur Kirche so bedeutsamen Frage zu äußern, wie dies übrigens ohnedies in meiner Absicht gelegen hat.
Wenn ich die zahlreichen Stimmen der Presse, aber auch manche Resolutionen mir vergegenwärtige, die diesem Problem gewidmet sind, so ist nicht selten ein Unterton zu verspüren, der nicht nur der Sorge um das Schicksal dieser wichtigen Frage Ausdruck gibt, sondern geradezu als Vorwurf gegen die Staatsregierung hindurchklingt. Die Staatsregierung – so wird mehr oder weniger deutlich zu verstehen gegeben – schicke sich an, wertvolle kulturpolitische Hoheitsrechte preiszugeben und damit wichtigste Güter des deutschen Geisteslebens aufs Spiel zu setzen. Weiter wird bemängelt, daß die Staatsregierung überhaupt bereit sei, sich auf den Weg der Verhandlungen mit der Kirche zu begeben, während es für den Staat sicherer und würdiger sei, die in Frage stehenden Verhältnisse im Wege seiner eigenen Gesetzgebung lediglich nach seinen eigenen Bedürfnissen zu ordnen.
Soweit in solchen öffentlichen Erörterungen eine versteckte konfessionelle Polemik zum Ausdruck kommt, muß ich deren Erledigung selbstverständlich den unmittelbar dabei Beteiligten überlassen. Soweit die Erörterungen dagegen die Frage vom Standpunkt der staatlichen Interessensphäre beleuchten und von diesem Gesichtspunkt aus Bedenken oder Einwendungen gegen die vermutete Stellungnahme der Staatsregierung erheben, liegt auch mir daran, mich mit einigen grundsätzlichen Bemerkungen zum Stande der Dinge zu äußern.
Vorweg kann ich freilich meine Verwunderung darüber nicht verhehlen, daß die in manchen öffentlichen Äußerungen hervortretende Beunruhigung zu einem wesentlichen Teile auf der Annahme beruht, die Staatsregierung lasse sich in dieser Frage nicht von rein staatspolitischen Beweggründen leiten, sondern sei mehr oder weniger von anderen Rücksichten beeinflusst. Der hierin liegende Vorwurf ist mir umso weniger verständlich, als schon in der am 8. Mai v. Js. im Plenum des Landtags in meinem Namen abgegebenen Erklärung mit aller Deutlichkeit betont worden ist, daß die Staatsregierung
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lediglich vom Interessenstandpunkt des Staates diesen wichtigen Fragen ihre Aufmerksamkeit und ihre Arbeit widme.
Was diesen staatlichen Interessenkreis angeht, so kann der Ausgangspunkt aller Überlegungen freilich kein anderer sein, als das durch die Reichsverfassung geschaffene Verhältnis, das sich erheblich unterscheidet von den vor der Staatsumwälzung bestehenden theoretischen und praktischen Beziehungen zwischen Staat und Kirche.
Daß die Staatsregierung die zahlreichen hiernach zur Diskussion stehenden Probleme nicht nur unter abstrakt staatlichem, sondern unter konkret preußischem Gesichtswinkel prüft, davon bitte ich Sie zu jeder Zeit überzeugt zu sein. Das Beispiel anderer deutscher Länder kann für Preußen – wie auf manchen anderen Gebieten so auch hier – im Einzelnen keineswegs maßgebend sein. Soweit also die Vorwürfe oder Besorgnisse aus Befürchtungen dieser Art sich herleiten, gehen sie von irrigen Voraussetzungen aus. Die Größe Preußens, seine territoriale Lage, die konfessionelle Gliederung seiner Bevölkerung, die bestehenden sozialen und politischen Spannungen können bei der Gestaltung des Verhältnisses von Staat und Kirche nicht außer Acht gelassen werden. Insbesondere ist sich die Staatsregierung bewußt, daß bei der Wahrung des konfessionellen Friedens die spezifisch preußischen Verhältnisse volle Beachtung zu finden haben.
Nun hat man gerade von diesem Gesichtspunkt aus dem preußischen Staat geraten und es als seine Pflicht hingestellt, die preußischen kirchenpolitischen Interessen durch preußisches Staatsgesetz zu regeln. Ich bitte es mir zu glauben, daß die Staatsregierung es an der Prüfung dieser Frage nicht hat fehlen lassen. Aber auch hier können die ungleich einfacheren Verhältnisse anderer Länder für Preußen nicht ohne weiteres als vorbildlich hingestellt werden. Auf alle Fälle darf es der Staatsregierung nicht verwehrt sein, zu versuchen, ob nicht durch Verständigung mit den Religionsgesellschaften eine für Staat und Volk günstigere Lösung erzielt werden kann, als es durch einseitiges Vorgehen möglich ist.
Das jede etwaige Vereinbarung sich im Rahmen der Reichsverfassung und der Preußischen Verfassung zu halten hätte, ist selbstverständlich. Das mag auch diejenigen beruhigen, die besondere Besorgnisse für das Schulgebiet hegen. Gerade hier wird das über die besondere Lage in Preußen Gesagte Geltung beanspruchen können.
Nach diesen Darlegungen werden Sie selbst ermessen können, daß die Dinge sich durchaus im Stadium der Prüfung und Überlegung befinden. Wenn die Presse von einem unmittelbar bevorstehenden Abschluß bald Preußens, bald des Reiches zu wissen meint, so ist dies, wie ich wohl auch für das Reich ruhig erklären kann, aus der Luft gegriffen, – wie dies übrigens gleicherweise für fast alle in der Presse auftauchenden Einzelbehauptungen gilt. Die Angelegenheit hat das Preußische Staatsministerium als solches bisher überhaupt noch nicht beschäftigt.
Ich darf Sie bitten, der Staatsregierung das Vertrauen zu schenken, daß bei den Erwägungen und Verhandlungen nach keinen anderen als den angedeuteten Grundsätzen verfahren wird und, daß dem Landtage rechtzeitig Gelegenheit gegeben wird, sich hiervon zu überzeugen.
Es handelt sich, ich wiederhole es, nicht um Preisgabe staatlicher Interessen, sondern um deren Wahrung.
Empfohlene Zitierweise
Becker, Carl Heinrich, Erklärung des Herrn Ministers für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung zur Frage des Konkordats, Berlin vom 07. Februar 1927, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 12186, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/12186. Letzter Zugriff am: 29.03.2024.
Online seit 25.02.2019.