Dokument-Nr. 12732
Loé-Bergerhausen, Klemens von an [Schulte, Karl Joseph]
Burg Bergerhausen bei Blatzheim, 30. März 1923

Abschrift.
Privat!
Ew. Eminenz!
Die bevorstehende Reise Ew. Eminenz nach Rom gibt mir Veranlassung zu den nachstehenden untertänigen Mitteilungen.
Das Ruhrunternehmen der Franzosen stellt einen wirklichen Krieg vor, wenn auch mit andern Waffen, der nur beendet werden kann durch eine gänzliche Niederkämpfung und Zerschlagung Deutschlands od. durch eine Intervention dritter. Da das erstere nicht im Interesse der andern Staaten liegt, wird eine Intervention erfolgen u. je mehr die Zeit fortschreitet, um so deutlicher spricht Amerika und England seine Bereitwilligkeit dazu aus, sobald der ihm günstig erscheinende Moment gekommen sein werde. Dieser wird aber bei der Deutschfeindlichkeit, insbesondere des englischen Kabinetts erst dann praktisch werden, wenn wir abgekämpft sind u. jede Bedingung annehmen müssen.
Ebensowenig wie der Frieden von Versailles ein Frieden des Rechtes und der kommenden Versöhnung, sondern ein Akt des Hasses und der Vernichtung war, ebenso wenig wird der bevorstehende Friede in Liebe und Freundschaft ausklingen, sondern nur insofern für uns Milderungen bringen, als der krasse Egoismus der anderen Staaten dies für sie selber als notwendig od. nützlich erscheinen läßt.
Tatsächlich liegen aber die Dinge so, daß England kein Interesse an einer Napoleonischen Alleinherrschaft auf dem
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Kontinent hat, sondern unbedingt das Gleichgewicht der Kräfte wiederherstellen muß. England zögert heute, um zunächst unsere Industrie von den Franzosen vernichten zu lassen u. sich so für die nächste Zeit einen lästigen Wirtschaftskonkurrenten vom Halse zu schaffen, wird aber dann die Franzosen in ihre Grenzen zurückzwingen, selbst wenn es uns dazu die Waffen reichen und einen neuen Krieg entfesseln müsste.
Von diesen Erwägungen ausgehend kann man mit Grund annehmen, daß Amerika und England mit Hilfe unserer germanischen Randstaaten den staatlichen Fortbestand Deutschlands gewährleisten werden.
Und nun gestatte ich mir Ew. Eminenz geneigte Aufmerksamkeit auf die religiöse Seite dieser Konstellation zu lenken.
Wenn sich die Dinge so entwickeln, wie ich sie vorstehend mit flüchtigen Strichen aufgezeichnet habe, so steht das katholische Frankreich mindestens zum dritten mal in der Geschichte als Ruhestörer da, der aus reiner Eroberungssucht Europa unter seine Herrschaft zu beugen versucht hat. Man kennt auch den überwiegenden Einfluß des französischen Volkes beim Vatikan u. man wird nicht gelten lassen können, daß zwischen dem katholischen Volk u. seiner freimauerischen Regierung unterschieden wird, denn ein demokratisch regiertes Volk hat die Regierung, die es will. Man wird sich auch erinnern an den Gallikanismus, der, wenn er auch als offene Sekte beseitigt ist, doch als Unterton das ganze Fühlen u. Denken des Volkes in Frankreich durchglüht und
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heute in dieser Form fortbesteht. Die Milde und Rücksichtsnahme, die der Vatikan dieser Mentalität seiner ältesten Tochter zu allen Zeiten hat angedeihen lassen, hat den deutschen Katholiken stets ihre Stellung erschwert und uns den Namen Ultramontane eingebracht.1
Und denke man sich einmal aus [sic] die Lage des deutschen Katholizismus, wenn vorwiegend nur evangelische Völker unsere nationale Existenz retten würden gegen das katholische Frankreich. Würde dann nicht aufs neue der Kulturkampf und die Gesetze auch gegen den Vatikan losgehen können, dem man vorwerfen würde, aus Rücksicht gegen das katholische Frankreich die Stimme der Wahrheit und Gerechtigkeit unterdrückt zu haben? Wird man nicht sagen, daß die Meinung der ganzen gesitteten Welt diesen krassesten und flagrantesten Rechtsbruch der Weltgeschichte, dem zudem noch das Odium der Feigheit anhaftet, weil er gegen ein wehrloses Volk sich richtet, abgelehnt und verurteilt habe, daß aber der Vatikan außer einigen allgemeinen Mahnungen keine konkreten Worte gefunden habe, um dem Rechte als solchem beizustehen?
Die Enttäuschung ist in weiten Kreisen um so größer, als viele glauben, daß wohl selten in der Geschichte sich dem Vatikan eine bessere Gelegenheit geboten habe, um dem Nachfolger Christi als Friedensfürst in die Erscheinung treten zu lassen. Vergeblich schauen wir aber auch aus nach den Episkopaten anderer kath. Länder, auch diese finden nicht die Kraft, offen dem Rechte beizustehen.2 Ganz anders aber tritt die evangelische
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Geistlichkeit der andern Länder für uns ein. Durch alle Zeitungen ging der Bericht über die Stellungnahme der evangelischen Bischöfe Schwedens, der an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lässt, und ganz ähnlich lauten Stimmen aus den andern evangelischen Ländern; nur der Katholizismus der andern Länder schweigt u. sieht dem Gange des Unrechts zu.3 Ähnlich wie die evangelische Kirche hat auch die Sozialdemokratie der verschiedensten Länder sich die Hand gereicht und unsere politische Situation nicht unwesentlich gebessert.
Ew. Eminenz kennen mich, um meine Worte vor Missdeutungen zu bewahren. Ich bin ein treuer Sohn meiner Kirche u. werde dies auch unter allen Umständen bleiben. Mitten im Volke stehend führt mich meine Tätigkeit in der ganzen Provinz und darüber hinaus mit dem Landvolk zusammen. Ich höre dort ständig seine Stimme u. diese erfüllt mich voll Sorge für die Zukunft. Ein Volk verträgt nur ein gewisses Maß von Unrecht und Demütigung.4 Wird dieses zu groß, so entladet sich sein gerechter Unmut.
Mit dem Ausdruck meiner steten Verehrung und Ergebenheit verbleibe ich Ew. Eminenz untertänigster
gez.: Freiherr von Loe.
"Purtroppo l'informazione dello scritto non lascia sperare che lo scrivente sia l'uomo da esercitare sul popolo ch'egli dice di udire e d'interpretare le influenze desiderate.".
1"6v man wird […] eingebracht", hds. am linken Seitenrand von unbekannter Hand angestrichen, vermutlich vom Empfänger.
2"gegen den Vatikan […] Rechte beizustehen", hds. am linken Seitenrand von unbekannter Hand angestrichen, vermutlich vom Empfänger.
3"evangelische Bischöfe […] Unrechts zu", hds. am linken Seitenrand von unbekannter Hand angestrichen, vermutlich vom Empfänger.
4Textpassage "Ich bin ein treuer Sohn […] Demütigung", hds. am linken Seitenrand von unbekannter Hand angestrichen, vermutlich vom Empfänger.
Empfohlene Zitierweise
Loé-Bergerhausen, Klemens von an [Schulte, Karl Joseph] vom 30. März 1923, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 12732, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/12732. Letzter Zugriff am: 29.03.2024.
Online seit 24.10.2013.