Dokument-Nr. 12761
Braun, Jakob an Pius XI.
Ginsweiler, 24. Dezember 1922

Heute zu Weihnachten erlaube ich mir von Not gedrungen als Kriegsinvalide 100 % erwerbsbeschränkt u. katholischer Christ, mit einer kleinen Bitte an S. Heiligkeit Papst Pius XI. heranzutreten:
Sachverhalt: Durch meine Doppelbeinamputation im Mai 1918 u. infolge der fortschreitenden Teuerung ist meine Familie in bittere Not geraten. Habe 3 Kinder im Alter von 8, 3 u. 1 ½ Jahren, beziehe als Gesamteinkommen nur die Mil. Renten, bin ohne jeden Besitz, wohne in Miete u. muß alles kaufen, was zu der Unterhaltung meiner Familie erforderlich ist. Dazu fehlen mir die Geldmittel u. wohne ich zu allem Unglück in einer Behausung, die allem menschlichen widerspricht. Wegen der schlechten Wohnung, sind wir alle krank geworden u. liege ich noch bis zum 1. Febr. 1923 voraussichtlich im Bezirkskrankenhaus in Kaiserslautern, mein älster Sohn Willy wurde wegen Unterernährung am 22. ds. Mts in das Kinderheim
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in Bad-Dürkheim verbracht u. ist es demselben nicht gegönnt bei seinen Geschwisterchen Weihnachten zu feiern. Wir liegen zu 5 Personen in 2 Betten u. befindet sich auch meine Frau in ärztlicher Behandlung. Während wir alle früher blühten wie die Rosen, hängen wir heute darnieder wie verwelkte Lielien [sic]. Sogar mein bischen [sic] Lebensmittelvorrat wird ganz durch Ungeziefer Ratten u. Mäuse vernichtet, sogar im Bett (Unterbett) sitzen nachts dieselben mit Scharen u. verwüsten das ganze Unterbett. Meine Kinder sind schon von denselben angefressen worden nachts. Nur 2 Zimmer ohne Speicher u. Keller sind mir zugeteilt, dazu baufällig u. naß u. fallen die Fenster bereits ganz heraus. Zu all meinem Unglück gesellen sich noch diese unhaltbaren Zustände u. wenn nicht geholfen wird, so muß meine Familie dem Hunger oder Schwindsucht (Tuberkulose) unterliegen. Das bischen [sic] Lebensmittelvorrat u. Bekleidungsstücke gehen alle kaput [sic] u. werden aschengrau, eine andere Wohnung ist hier nicht zu finden, die meinem Körper u. Familie entspricht. Auch kann die Regierung nicht viel helfen. Bin aber gezwungen zum Neubau u. weiß nicht, wo ich das Geld herholen soll zu einer 4 Zimmerwohnung, den Straßenbettel fange ich nicht gern an. Ich stand schon sehr oft in Verzweiflung u. beschäftigte mich mit Selbstmordgedanken, aber meine armen unschuldigen Kinder mit ihren graden Knochen rufen mich immer wieder zu meiner Pflicht zurück. Ersuche daher Seine Heiligkeit ergebenst, wenn möglich mir eine einmalige Beihilfe zum Neubau einer Wohnung gewähren zu wollen, damit auch wir das nächste Jahr das erstemal seit 1914 das hl. Weihnachtsfest feiern können. Vielleicht wäre auch eine kl. Beihilfe aus irgend einer Sammlung oder Stiftung möglig [sic]. Ich u. meine Familie wären dem hl. Vater hierfür sehr dankbar u. wünschen S. Heiligkeit ein frohes Weihnachtsfest u. ein glückliches Neujahr, sowie deutschen Gruss
Der liebe Gott wird alles vergelten!
Hochachtungsvoll
Familie Jakob Braun
Ehre sei Gott in der Höhe!
182r links oben unter dem Datum notiert, vermutlich vom Empfänger: "[ein Wort unlesbar] 9. 2.23".
Empfohlene Zitierweise
Braun, Jakob an PiusXI. vom 24. Dezember 1922, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 12761, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/12761. Letzter Zugriff am: 29.03.2024.
Online seit 23.07.2014.