Dokument-Nr. 13195

[N. N.]: Eine Frage von prinzipieller Bedeutung. Die französischen Schulen im Saargebiete., in: Lothringer Volkszeitung, Nr. 185, 11. August 1923
Vor einiger Zeit erschien im "Eclair" und zwar in der Nummer vom 2. Juni, ein Artikel, der über die französischen Schulen im Saargebiete eine Reihe interessanter Aufschlüsse gibt. Wir haben: in der "Lothr. Volkszeitung" über das Schulwesen im Saargebiete, soweit die französische Schule in Frage kommt, verschiedene Male bereits berichtet. Die Oeffentlichkeit des Saargebietes selbst hatte mehr wie einmal Gelegenheit, gleicherweise heftige Debatten über die Schulfrage im Saargebiete zu erleben, weil seitens deutscher Schulkreise und deutscher Politiker die französische Schule daselbst heftig bekämpft worden ist und auch heute noch mit Entschiedenheit bekämpft wird. Wir haben bis heute uns noch nicht Gelegenheit genommen, prinzipiell uns über diese Schulen auszusprechen. Wir haben bloss hier und da die unleugbaren Fortschritte der französischen Schulen im Saargebiete konstatiert. Heute möchten wir nicht verfehlen, unserer Ansicht über diese Schulen in mancher Hinsicht Ausdruck zu geben.
Doch lassen wir den besagten Artikel des "Eclair" zuerst folgen, der in mancher Hinsicht interessante Angaben bietet. Es heisst da:
"Die französischen Schulen blühen im Saargebiet trotz der gehässigen Propaganda des alldeutschen Heimatdienstes.
Die Lehrerkammer des Saargebiets, die, wie Berliner Blätter versichern, die Gesamtheit des saarländischen Lehrkörpers darstellt, hat kürzlich eine Resolution betreffend den französischen Unterricht im Saargebiete gefasst. Dieser Protest ist nur ein weiterer Ring in der langen Kette von Beschwerden, Resolutionen und Bittschriften, die die deutschen nationalen Organisationen fortgesetzt aufstellen.
Die deutschen Zeitungen, die sich auf den § 28 der Ausführungsbestimmungen des Versailler Vertrags, das Saargebiet betreffend, stützen, betonen, dass die Bewohner das Recht haben, ihre Schulen zu behalten, und dass der französische Staat lediglich die Befugnis hat, "als Nebenanlagen zu den Gruben für das Personal und die Kinder dieses Personals Elementar- und technische Schulen zu gründen und zu unterhalten".
Allerdings bestimmt der § 28, dass die Bewohner ihre Lokalvertretungen, ihre religiösen Freiheiten, ihre Schulen und ihre Sprache behalten. Aber nichts in seinem Wortlaut stellt sich der Gründung von französisch-sprachigen Schulen entgegen. Dagegen ist der bereits angeführte § 14 klar und deutlich: wir haben das Recht, für das Personal der Gruben und die Kinder dieses Personals jederzeit Schulen zu gründen und einzuführen, in denen der Unterricht in französischer Sprache erteilt wird, nach einem Programm und durch Lehrer unserer Wahl.
Dieser Text ist von klarer Bestimmtheit, und da die grosse Mehrheit der Einwohner des Saargebiets in den Gruben oder durch die Gruben beschäftigt wird, ist es natürlich, dass wir eine grosse Anzahl von Schulen für dieses Personal und seine Kinder gegründet haben. Es darf nicht vergessen werden, dass auf Grund des Vertrages von Versailles der französische Staat den gesamten und unbeschränkten Besitz aller innerhalb der Grenzen des Saarbeckens gelegenen Kohlenlager erworben hat.
Die Alldeutschen greifen hauptsächlich die Verordnung der Saar-Regierung vom 10. Juli 1920 an, die die französischen Schulen ermächtigt, alle Kinder, ohne Unterschied, aufzunehmen, auch wenn ihre Eltern nicht zum Personal der Gruben gehören.
In Wirklichkeit ist dieser verspätete Protest – verspätet, weil der angefochtene Erlass vom 10. Juli 1920 datiert – einzig und allein durch die Eifersucht hervorgerufen. Man glaubte nicht, dass die französische Schule im Saargebiet Wurzel fassen würde, man bildete sich ein, dass ihre Anstrengungen von vornherein zum Scheitern verurteilt wären, und dass sie wegen Mangel an Besuch bald ihre Pforten schliessen müssten. Nun hat sich gerade das Gegenteil gezeigt: die französische Schule mit saarländischen Lehrern, blüht und entwickelt sich dergestalt, dass in mehreren Ortschaften der Mangel an Schülern die Schliessung der deutschen Schulen nötig gemacht hat, ohne irgend eine Einmischung seitens der Behörden, und dass man daran ist, in den Städten und Dörfern, wo die Mehrzahl der Bevölkerung in den Gruben arbeitet, grosse Schulen mit mehreren Klassen zu gründen. Ist diese Blüte nicht bezeichnend?
Wieder sind Zahlen beredter als alle Reden. Die folgende Aufstellung beweist die Lebenskraft der französischen Schulen im Saargebiet.
Neunkirchen: drei Klassen, jede mit sechzig Mädchen: eine Fortbildungsschule mit acht Klassen für junge Leute und drei Klassen für junge Mädchen, fünfzig bis sechzig Schüler.
In Reden sind zwei französische Klassen gegründet worden; die beiden deutschen Klassen sind wegen Mangel an Schülern aufgehoben worden.
In Heiligenwald sind seit 20. Oktober sechs französische Klassen gegründet worden. Die deutsche Schule hat neun Klassen schliessen müssen.
Sechzig Kinder, die den Bau einer französischen Schule in Schiffweiler nicht abwarten konnten, besuchen die französische Schule in Neunkirchen; in der Erwartung, dass eine Scheuer als Schulsaal eingerichtet wird, haben zweihundertachtzig Familien ihre Kinder eintragen lassen.
In Friedrichsthal hat die Grubenverwaltung das Hotel Neurohr gekauft zur Einrichtung einer französischen Schule.
Französische Schulen werden demnächst eingerichtet werden in Bliesen, Alsweiler und Oberlinxweiler. Nennen wir noch:
Hombach: vier französische Klassen mit zweihundertzwanzig deutschen Kindern.
Klarenthal: eine Klasse.
Dillingen: fünf Klassen.
Völklingen: vier Klassen.
Jägersfreude: vier Klassen.
Die "Saarbrücker Zeitung" schreibt zu dieser Sache in einem gehässigen Artikel, dass in einer nicht fernen Zukunft der Erfolg der französischen Schulen der ganzen Welt als Dokument der Sympathie dargestellt werden wird, die die Bewohner des Saargebiets für Frankreich empfänden.
Es ist verfrüht, sich über die Anschauung auszulassen, die die Abstimmung von 1935 ergeben wird; ebenso vergeblich wie gefährlich wäre es nichts voraussagen zu wollen, aber heute schon können wir mit Befriedigung einige beweiskräftige Resultate buchen, wie die Ausbreitung unserer Sprache, den Umlauf des französischen Geldes, das sozusagen die Papiermark ausgeschaltet, völlig niedergedrückt hat, die niemand mehr will, und schliesslich den engeren Zusammenschluss in wirtschaftlicher Beziehung.
Man weiss, dass für einen Zeitabschnitt von fünf Jahren nach dem Inkrafttreten des Vertrages von Versailles die handelsrechtlichen Verhältnisse zwischen Saargebiet und Deutschland aufrechterhalten bleiben. In drei Jahren wird also das Saargebiet unserem Zollregime unterworfen sein. Heute schon zwingt es die Erschütterung der Mark, die die wirtschaftliche Verschmelzung mit Frankreich vorbereitet, sich uns zuzuwenden.
Wäre es nicht angebracht, um dieser ganzen Propaganda des Heimatdienstes und des Saarvereins ein schnelles Ende zu bereiten, dem Saargebiet, ohne das Jahr 1935 abzuwarten, zugunsten der nahe bevorstehenden Verhandlungen ein endgültiges Statut zu geben? Könnte man sich seiner nicht durch seinen Anschluss an Frankreich als Ausgleichsmittel bedienen für eine Deutschland hinsichtlich der Reparationen zu gewährende Wartefrist?
Ambroise Got.["]
Ambroise Got, der Verfasser dieses Artikels, ist einer jener unserer Männer, der sich in seiner journalistischen Betätigung, die er nur nebensächlich betreibt, schon gar manche Missgriffe geleistet hat. Als ein solcher Fehlgriff muss auch der Schluss seines Artikels bewertet werden. Die Zukunft des Saargebietes ist durch den Versailler Friedensvertrag geregelt und wir würden es stets ablehnen, einer anderen Regelung zuzustimmen. Wir verlangen stets vollen Respekt für die Bestimmungen dieses Vertrages von den anderen und so entspricht es sicherlich der Logik, wenn wir selbst an erster Stelle den Versailler Vertrag loyal und seinem Sinne nach durchführen. Von einem gewaltsamen Eingriffe für die Zukunft des Saargebietes unsererseits kann mithin keine Rede sein.
Wir wollen nicht auf diesen Artikel an und für sich eingehen, da Ambroise Got gleicherweise nur wenig von deutschen oder saarländischen Verhältnissen etwas versteht. Gehen wir zum Kernpunkte der Sache über und sagen wir unsere Meinung über die französische Schule im Saargebiete, so wie wir sie uns aus den Erfahrungen heraus bilden konnten, die wir in dieser Frage gemacht haben.
Man kann nicht leugnen, dass in sehr vielen Kreisen des Saargebietes die Eltern für die französischen Schulen eine gewisse Vorliebe hegen, weil dieselben es ermöglichen, mit wenigen Mitteln ihren Kindern das hohe Gut der Zweisprachigkeit zu vermitteln, was gemeinhin bloss den Kindern vermögender Eltern möglich ist die in der Lage sind, ihre Kinder auf die höheren Schulen zu schicken. Der gesunde Volksinstinkt sagt sich da, dass es eine Versündigung an dem Fortkommen der Kinder insbesondere in einem Grenzgebiete wäre, wenn man eine so günstige Gelegenheit unausgenützt liesse, um sich in den Besitz zweier Sprachen, die das ganze Grenzgebiet beherrschen, zu setzen.
Es wäre aber verfehlt, aus dieser Tatsache heraus eine grössere oder mindere Zuneigung
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oder Anhänglichkeit jener saarländischen Kreise für Frankreich zu konstruieren, die ihre Kinder in die französischen Schulen schicken. Ohne Zweifel wird das Resultat des Besuches der französischen Saarschulen für die Kinder vielfach der sein, dass sie später einmal französisches Wesen und französische Ideen objektiver und ruhiger beurteilen werden als es der Fall ist für jene Kinder, die aus den deutschen Schulen hervorgehen, in die sich ein bedauerlicher nationaler Fanatismus eingeschlichen hat, der auf die Kinderseelen in recht unerfreulicher Weise einwirkt und für die Zukunft manches Betrübende verspricht. In dieser Hinsicht können die französischen Schulen im Saargebiete im Sinne der Verständigung beider Völker gar manches Segensreiche leisten.
Wenn wir uns aber auf den prinzipiellen Standpunkt stellen, so halten wir es für einen schweren psychologischen Fehler, dass man nicht von vorneherein das konfessionelle Schulsystem angewandt hat auf diese Schulen, so wie es für das übrige Volksschulwesen im Saargebiete der Fall ist. Das Saargebiet hat in dieser Hinsicht dieselbe Schulgesetzgebung wie Elsass und Lothringen auch. Insbesondere der überwiegend katholische Bevölkerungsteil des Saargebietes hält unerschütterlich fest an der Förderung der konfessionellen Volksschule. Wir, die wir dieselbe Förderung vertreten und verteidigen, verstehen vielleicht am besten, aus welchen Motiven heraus die christlich denkende Saarbevölkerung von der konfessionellen Volksschule nicht lassen will.
Wären diejenigen, die das französische Schulwesen im Saargebiete einzurichten hatten, richtig beraten gewesen, dann hätten sie die französischen Volksschulen gleichfalls als konfessionelle Volksschulen aufgerichtet. In den freien Schulen Innerfrankreichs sowie in den Schulen Elsass und Lothringens hätte sich sicherlich genügend Lehrpersonal gefunden, das dem konfessionellen Charakter der Volksschulen hätte gerecht werden können. Wir sind sicher, dass es bei uns in unserer Schulverwaltung Leute geben wird, die der festen Ansicht sind, dass unsere französischen Schulen im Saargebiete konfessionellen Charakter haben, weil eben dortselbst der Religionsunterricht durch die Geistlichen der einzelnen Konfessionen erteilt wird. Trotzdem sind diese Schulen keine konfessionellen Schulen. Sie sind weiter nichts wie Simultanschulen 1, die in religiöser Hinsicht bei den Schülern meist genau so wenig Resultate liefern, wie die Laienschulen überhaupt. Als konfessionelle Volksschule können wir lediglich solche betrachten, in denen die Kinder nach Konfessionen getrennt unterrichtet werden, wo ein Lehrpersonal sich vorfindet, das in konfessionellen Lehrerbildungsanstalten herangebildet ist oder das zum mindesten die Fähigkeiten besitzt, die religiösen Wahrheiten den Kindern beizubringen, in denen der gesamte Unterricht von konfessionellem Geiste beseelt ist und wo insbesondere auch die Schulbücher zugeschnitten sind auf die Konfession der Kinder. Das ist nun für die französische Schule im Saargebiete nicht der Fall. Weit entfernt; es gibt dort Lehrpersonen, die nicht nur nicht religiös gesinnt sind, sondern die im Gegenteil direkt auf der anderen Seite der Barrière stehen. Was man in dieser Beziehung in katholischen Kreisen des Saargebietes von der Leitung des französischen Volksschulwesens daselbst behauptet, wollen wir hier nicht länger darlegen. Jedenfalls können wir nur konstatieren, dass es ein schwerer prinzipieller Fehler gewesen ist, unser französisches Volksschulwesen dortselbst nicht auf die solide Grundlage der konfessionellen Schule zu stellen und zwar in einem Lande, das mehr wie einmal praktisch bewiesen hat, dass die grosse Mehrheit der Bevölkerung aus innerer Ueberzeugung heraus fest zu ihrer Religion steht. Wieviele wertvolle Sympathien sind uns durch diesen schweren Fehler, den wir niemals billigen werden, bereits verloren gegangen! Jene unserer Schulmänner, die von dem Teufel des antichristlichen Laienideals besessen sind, mögen sich stets vor Augen halten, dass sie mit dieser ihrer Exportware nur in einem für Frankreich recht schädlichen Sinne wirken können, ob dies nun im Saargebiete der Fall ist oder ob sie als Träger dieser Ideen sich auswirken bis in die katholischen besetzten Gebiete hinein. Man kann nicht das eine wünschen und das andere lassen. Die Konsequenzen der verkehrten Laienpolitik wirken sich nicht bloss in unserer eigenen Republik aus, sie machen sich insbesondere nachteilig bemerkbar in jenen Ländern, wo man für derlei Ideale gar kein Verständnis besitzt und wo man alt und grau geworden ist im Kampfe gegen diesen verderblichen Geist.2
23r, hds. von unbekannter Hand, vermutlich vom Trierer Bischof Bornewasser in roter Farbe über dem Text notiert: "a)";
23v, hds. von unbekannter Hand, vermutlich vom Trierer Bischof Bornewasser in roter Farbe notiert: "b".
1"Sie sind... Simultanschulen" hds. von unbekannter Hand in roter Farbe unterstrichen.
2"Wenn wir uns … diesen verderblichen Geist." hds. am linken Seitenrand von unbekannter Hand angestrichen.
Empfohlene Zitierweise
[N.N.], Eine Frage von prinzipieller Bedeutung. Die französischen Schulen im Saargebiete.in: Lothringer Volkszeitung, Nr.185 vom 11. August 1923, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 13195, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/13195. Letzter Zugriff am: 29.03.2024.
Online seit 24.10.2013, letzte Änderung am 10.09.2018.