Dokument-Nr. 15126

[Preußisches Kultusministerium]: [Kein Betreff]. [Berlin], vor dem 19. Juli 1927

Der Apostolische Stuhl nimmt davon Kenntnis, daß der Preußische Staat durch die Verfassung des Deutschen Reichs und nach deren Maßgabe verpflichtet ist, für die Einrichtung und Zulassung von Volksschulen katholischen Bekenntnisses und die Erteilung katholischen Religionsunterrichts zu sorgen.
Die Formulierung dieses Vorschlags geht von der Voraussetzung aus, daß es der Preußischen Staatsregierung politisch unmöglich ist, bezüglich der religiösen Fragen des Schulrechts eine konkordatliche Verpflichtung gegenüber dem Apostolischen Stuhle einzugehen.
Wie der Preußische Staat sich auf diesem Gebiet zu verhalten hat, ist ihm durch die Reichsverfassung vorgeschrieben, die in Art. 10 Nr 2 dem Reiche das Recht zur Aufstellung von Grundsätzen für das Schulwesen gibt und in Art. 142 ff. und 174 einzelne Vorschriften darüber enthält.
Die Tatsache dieser Verpflichtung Preußens gegenüber dem Reiche wird in dem obigen Vorschlag festgestellt. Dies geschieht nicht einseitig durch den Apostolischen Stuhl, vielmehr setzt die Kenntnisnahme des Apostolischen Stuhles von dieser Tatsache eine Erklärung der Preußischen Staatsregierung über die Anerkennung dieser reichsverfassungsmäßigen Verpflichtung Preußens voraus.
Wenn also auch der Preußische Staat sich nicht gegenüber dem Apostolischen Stuhle verpflichtet, seine ihm durch die Reichsverfassung auferlegten Pflichten auf dem in Frage stehenden Gebiet zu erfüllen, so wird doch durch die beiderseitige feierliche
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Feststellung der erwähnten Tatsache im Konkordat deren Fortdauer ausdrücklich zur Voraussetzung des Vertrages gemacht, der mithin bei wesentlicher Änderung dieses Zustandes vom Apostolischen Stuhle für erloschen erklärt werden könnte.
Eine solche Änderung könnte nur in einer Änderung der Reichsverfassung oder in einem reichsverfassungswidrigen Verhalten Preußens gefunden werden. Für eine Reichsverfassungsänderung wäre der Preußische Staat nicht verantwortlich. Die Reichsverfassungstreue Preußens zu betonen wäre überflüssig. Für die Verfassungsgemäßheit seines Verhaltens auf dem Gebiet des Schulrechts sorgt das Reich, dem auch das maßgebende Urteil darüber zusteht. Sollte auf reichsverfassungsmäßigem Wege festgestellt werden, daß Preußen die im obigen Vorschlag erwähnten ihm nach der Reichsverfassung obliegenden Pflichten nicht erfülle, so würde die in ihm liegende clausula rebus sic stantibus für den Apostolischen Stuhl wirksam werden.
Die in dem obigen Vorschlag erwähnten Pflichten Preußens ergeben sich insbesondere aus folgenden Bestimmungen:
Reichsverfassung Art. 146. Das öffentliche Schulwesen ist organisch auszugestalten. Auf einer für alle gemeinsamen Grundschule baut sich das mittlere und höhere Schulwesen auf. Für diesen Aufbau ist die Mannigfaltigkeit der Lebensberufe, für die Aufnahme eines Kindes in eine bestimmte Schule sind seine Anlage und Neigung, nicht die wirtschaftliche und gesellschaftliche Stellung oder das Religionsbekenntnis seiner Eltern maßgebend.
Innerhalb der Gemeinden sind indes auf Antrag von Erziehungsberechtigten Volksschulen ihres Bekenntnisses oder ihrer Weltanschauung einzurichten, soweit hierdurch ein
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geordneter Schulbetrieb, auch im Sinne des Abs. 1, nicht beeinträchtigt wird. Der Wille der Erziehungsberechtigten ist möglichst zu berücksichtigen. Das Nähere bestimmt die Landesgesetzgebung nach den Grundsätzen eines Reichsgesetzes.
Art. 174. Bis zum Erlaß des in Artikel 146 Abs. 2 vorgesehenen Reichsgesetzes bleibt es bei der bestehenden Rechtslage. Das Gesetz hat Gebiete des Reichs, in denen eine nach Bekenntnissen nicht getrennte Schule gesetzlich besteht, besonders zu berücksichtigen.
Hiernach ist Preußen verpflichtet, bis zum Erlaß des sog. Reichsschulgesetzes insbesondere folgende Bestimmungen seines Gesetzes, betreffend die Unterhaltung der öffentlichen Volksschulen, vom 28. Juli 1906 aufrecht zu erhalten:
§ 33. Die öffentlichen Volksschulen sind in der Regel so einzurichten, daß der Unterricht evangelischen Kindern durch evangelische Lehrkräfte, katholischen Kindern durch katholische Lehrkräfte erteilt wird.
Wo in einem Schulverbande neben drei- oder mehrklassigen Schulen einklassige Schulen oder neben Schulen der im § 36 bezeichneten Art solche der in §§ 35, 38 und 40 Abs. 1 bezeichneten Art bestehen, sollen Kinder, soweit es mit der Rücksicht auf die örtlichen Schulverhältnisse vereinbar ist, insbesondere soweit dadurch nicht der Bestand einer bereits vorhandenen Schule gefährdet oder die Errichtung einer neuen Schule erforderlich wird, nicht gegen den Willen der Eltern oder deren Stellvertreter der einen oder anderen Schulart zugewiesen werden.
§ 34.
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§ 34. Lediglich wegen des Religionsbekenntnisses darf keinem Kinde die Aufnahme in die öffentliche Volksschule seines Wohnorts versagt werden.
§ 35. An Volksschulen, die mit einer Lehrkraft besetzt sind, ist stets ... eine katholische Lehrkraft anzustellen, ... nachdem die angestellte Lehrkraft oder die zuletzt angestellt gewesene Lehrkraft ... katholisch war.
Statt der evangelischen Lehrkraft soll bei Erledigung der Stelle in der Regel eine katholische angestellt werden, wenn fünf Jahre nacheinander mindestens zwei Drittel der die Schule besuchenden einheimischen Kinder, ausschließlich der Gastschulkinder, katholisch gewesen sind, und während dieser Zeit die Zahl der evangelischen Kinder weniger als zwanzig betragen hat. Unter den entsprechenden Voraussetzungen soll in der Regel statt einer katholischen Lehrkraft eine evangelische angestellt werden. Die Veränderungen bedarf der Zustimmung des Unterrichtsministers.
§ 36. An einer Volksschule, an der nach ihrer besonderen Verfassung bisher gleichzeitig evangelische und katholische Lehrkräfte anzustellen waren, behält es dabei auch in Zukunft sein Bewenden; in einem Schulverbande, in dem lediglich Volksschulen der vorbezeichneten Art bestehen, können neue Volksschulen nur auf derselben Grundlage errichtet werden. Eine Änderung kann aus besonderen Gründen durch Beschluß des Schulverbandes mit Genehmigung der Schulaufsichtsbehörde herbeigeführt werden.
Bestehen in einem Schulverbande neben Schulen der im Abs. 1 bezeichneten Art solche, an denen nur evangelische und katholische Lehrkräfte anzustellen sind, so soll bei Errichtung neuer Schulen darauf geachtet werden,
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daß das bisherige Verhältnis der Beschulung der Kinder in Schule, der einen oder anderen Art möglichst beibehalten wird.
Die vorstehenden Vorschriften finden keine Anwendung auf die Schulen, bei welchen die Verschiedenheit in dem Bekenntnisse der Lehrkräfte lediglich dadurch herbeigeführt ist, daß für die Schulkinder des einen Bekenntnisses die Erteilung des Religionsunterichts ermöglicht werden sollte (§ 37 Abs. 3).
Schulen der im Abs. 1 bezeichneten Art können aus besonderen Gründen auch von anderen Schulverbänden mit Genehmigung der Schulaufsichtsbehörde errichtet werden ... (Abs. 9) Beträgt in einer gemäß Abs. 4 errichteten Schule die Zahl der die Schule besuchenden einheimischen evangelischen oder katholischen Kinder mit Ausschluß der Gastschulkinder während fünf aufeinanderfolgender Jahre über 60, in den Städten, sowie in Landgemeinden von mehr als 5.000 Einwohnern über 120, so ist, sofern die gesetzlichen Vertreter von mehr als 60 bezw. 120 dieser Kinder den Antrag bei der Schulaufsichtsbehörde stellen, für diese eine Beschulung in Schulen mit lediglich evangelischen oder lediglich katholischen Lehrkräften einzurichten, falls im Schulverbande eine Schule der letzteren Art nicht bereits besteht, in welche die Kinder eingeschult werden können.
Bei den nach Abs. 9 gemäß dem Gesetz vom 26. Mai 1887 ( Ges. S. S. 175 ) zu stellenden Anforderungen darf von den Beschlußbehörden die Notwendigkeit der Beschulung in Schulen mit lediglich evangelischen oder lediglich katholischen Lehrkräften nicht mit Rücksicht auf das Bedürfnis der Schule oder auf die Leistungsfähigkeit der Verpflichteten verneint werden.
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An einer Schule der Abs. 1 und Abs. 4 bezeichneten Art soll die Zusammensetzung des Lehrkörpers sich tunlichst dem Verhältnisse der die Schule besuchenden Kinder anschließen.
§ 37. Beträgt in einer öffentlichen Volksschule, die nur ... mit evangelischen Lehrkräften besetzt ist, die Zahl der einheimischen ... katholischen Schulkinder dauernd mindestens zwölf, so ist tunlichst für diese ein besonderer Religionsunterricht einzurichten.
Bei den nach Abs. 1 gemäß dem Gesetze vom 26. Mai 1887 zu stellenden Anforderungen darf von den Beschlußbehörden die Notwendigkeit des besonderen Religionsunterrichts nicht mit Rücksicht auf das Bedürfnis der Schule oder mit Rücksicht auf die Leistungsfähigkeit der Verpflichteten verneint werden.
Wo eine anderweitige Beschaffung dieses Unterrichts mit erheblichen Schwierigkeiten und Kosten verbunden ist, darf zum Zwecke seiner Erteilung eine evangelische oder katholische Lehrkraft angestellt werden, welche auch mit der Erteilung anderweiten Unterrichts zu betrauen ist.
§ 38. Im übrigen sind an öffentlichen Volksschulen, welche mit mehreren Lehrkräften besetzt sind, nur evangelische oder nur katholische Lehrkräfte anzustellen. Bei der Anstellung weiterer Lehrkräfte an den bisher nur mit einer Lehrkraft besetzten Schulen (§ 35) sind ... katholische Lehrkräfte anzustellen, ... nachdem die bisherige einzige Lehrkraft ... katholisch war.
Statt der Besetzung der Schulstellen mit evangelischen Lehrkräften soll bei mehrklassigen Volksschulen in der Regel eine Besetzung mit katholischen Lehrkräften herbeigeführt werden, wenn fünf Jahre nacheinander mindestens zwei Drittel der die Schule besuchenden einheimischen Schulkinder,
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ausschließlich der Gastschulkinder, katholisch gewesen sind, und während dieser Zeit die Zahl der evangelischen Kinder weniger als vierzig betragen hat. Unter den entsprechenden Voraussetzungen sollen in der Regel statt katholischer Lehrkräfte evangelische angestellt werden. Die Veränderung bedarf der Zustimmung des Unterrichtsministers.
§ 39. Beträgt in einem Schulverbande, welcher lediglich mit katholischen Lehrkräften besetzte öffentliche Volksschulen enthält, die Zahl der einheimischen schulpflichtigen evangelischen Kinder, mit Ausnahme der Gastschulkinder, während fünf aufeinanderfolgender Jahre über 60, die den Städten, sowie in den Landgemeinden von mehr als 5.000 Einwohnern über 120, so ist, sofern seitens der gesetzlichen Vertreter von mehr als 60 bezw. 120 schulpflichtigen Kindern der genannten Art der Antrag bei der Schulaufsichtsbehörde gestellt wird, für diese Beschulung in Schulen mit lediglich evangelischen Lehrkräften einzurichten.
Bei den nach Maßgabe des Abs. 1 auf Grund des Gesetzes vom 26. Mai 1887 (Ges. S. S. 175) zu stellenden Anforderungen darf von den Beschlußbehörden die Notwendigkeit der Beschulung in Schulen mit lediglich evangelischen Lehrkräften mit Rücksicht auf das Bedürfnis der Schule oder auf die Leitungsfähigkeit der Verpflichteten nicht verneint werden.
Die Vorschriften der Abs. 1 und 2 finden bezüglich der Beschulung der katholischen Kinder sinngemäß Anwendung, wenn in einem Schulverbande lediglich mit evangelischen Lehrkräften besetzte öffentliche Volksschulen vorhanden sind.
Eine nach Maßgabe des § 37 Abs. 3 eingerichtete Volksschule ist im Sinne der vorstehenden Vorschriften den lediglich mit katholischen oder lediglich mit evangelischen
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Lehrkräften besetzten Volksschulen gleichzustellen.
Bleibt die Zahl der Kinder einer konfessionellen Minderheit unter der in Abs. 1 festgesetzten Mindestzahl, so darf für diese eine Beschulung in Schulen mit Lehrkräften ihrer Konfession von der Schulaufsichtsbehörde nur aus besonderen Gründen angeordnet werden.
§ 70. Auf die Provinzen Westpreußen und Posen findet dieses Gesetz keine Anwendung.
In dem bei Preußen verbliebenen Reste von Westpreußen gilt infolgedessen nach wie vor die Schulordnung für die Elementarschulen der Provinz Preußen vom 11. Dezember 1845, in dem von Posen das Allgemeine Landrecht, Teil II Titel 12 §§ 1-53.
Reichsverfassung Art. 147 (Abs. 2). Private Volksschulen sind nur zuzulassen, wenn für eine Minderheit von Erziehungsberechtigten, deren Wille nach Artikel 146 Abs. 2 zu berücksichtigen ist, eine öffentliche Volksschule ihres Bekenntnisses oder ihrer Weltanschauung in der Gemeinde nicht besteht oder die Unterrichtsverwaltung ein besonderes pädagogisches Interesse anerkennt.
Art. 148 (Abs. 2). Beim Unterricht in öffentlichen Schulen ist Bedacht zu nehmen, daß die Empfindungen Andersdenkender nicht verletzt werden.
Art. 149. Der Religionsunterricht ist ordentliches Lehrfach der Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien (weltlichen) Schulen. Seine Erteilung wird im Rahmen der Schulgesetzgebung geregelt. Der Religionsunterricht wird in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der betreffenden Religionsgesellschaft unbe-
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schadet des Aufsichtsrechts des Staates erteilt.
Die Erteilung religiösen Unterrichts und die Vornahme kirchlicher Verrichtungen bleibt der Willenserklärung der Lehrer, die Teilnahme an religiösen Unterrichtsfächern und an kirchlichen Feiern und Handlungen der Willenserklärung desjenigen überlassen, der über die religiöse Erziehung des Kindes zu bestimmen hat.
Empfohlene Zitierweise
[Preußisches Kultusministerium], [Kein Betreff], [Berlin] vom vor dem 19. Juli 1927, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 15126, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/15126. Letzter Zugriff am: 18.04.2024.
Online seit 02.11.2015.