Dokument-Nr. 16459

Fuldaer Bischofskonferenz: Oberhirtliche Erklärung
betreffend Beurteilung einer Fürstenenteignung
vom Standpunkte des christlichen Sittengesetzes, 01. Juni 1926

Die katastrophalen Folgen des unglücklichen Weltkrieges, die Vernichtung zahlloser Existenzen in Folge des wirtschaftlichen Niederganges, der Geldentwertung und der Arbeitslosigkeit, damit verbunden eine tiefe Verbitterung Notleidender gegen Bessergestellte und gegen die vermeintlichen oder wirklichen Urheber verhängnisvoller Maßnahmen, die sich kund gibt im Aufschrei von Millionen nach einem besseren sozialen Ausgleich: alles das hat in weitesten Kreisen zu einer Auffassung vom persönlichen Eigentum geführt, die mit den Grundsätzen des christlichen Sittengesetzes nicht vereinbar ist. Demgegenüber muß bei allem Mitgefühl für die Not des Volkes und bei allem Verständnis für Volksstimmung doch mit Offenheit erklärt werden, daß die Grundsätze des Eigentumsrechtes, die in der natürlichen sittlichen Ordnung begründet und durch Gottesgebot geschützt sind, auch in solchen Zeiten tiefgehender Verwirrung und Aufregung unverändert in Geltung bleiben und stürmische Zeiten überdauern müssen als Grundlage gesunder Ordnung im privaten, Familien- und Gemeinschaftsleben.
Die Kirche als gottbestellte Hüterin der sittlichen Ordnung hat zu allen Zeiten, unbekümmert um Beifall oder Widerspruch, diese Grundsätze verkündet. Erinnert sei hier an die großzügigen Enzykliken des weitblickenden Papstes Leo XIII. und die daran anknüpfenden Kundgebungen seiner erlauchten Nachfolger über die unverrückbaren Grundlagen aller gesunden wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und staatlichen Ordnung, sowie an die in den letzten Jahrzehnten ergangenen Kundgebungen von Oberhirten aller deutschen Diözesen.
Dabei ist die Haltung der kirchlichen Autorität keineswegs eine einseitige zugunsten der Besitzenden. Mit gleicher Entschiedenheit hat die Kirche stets von neuem Besitzende und Arbeitgeber gemahnt, die großen und heiligen Pflichten der Gerechtigkeit, Liebe und sozialen Fürsorge gegen Notleidende, Besitzlose, gegen Arbeitnehmer und ihre Familien zu erfüllen. Diese Mahnung hat die Kirche auch dann erhoben, wenn man ihr eine einseitige Stellungnahme zugunsten der arbeitenden Klassen vorwerfen zu dürfen glaubte. In derselben Richtung bewegt sich die öffentliche Mahnung, die der Episkopat an die Gesetzgeber richtete, als bei den Verhandlungen über die Aufwertungsfrage Maßnahmen auftauchten, die nicht genügend Rücksicht nahmen auf den Grundsatz von Treue und Glauben, auf Verarmte und ihre Familien.
Auf diesem Standpunkte beharrend, erachten die in der Fuldaer Bischofskonferenz vereinigten Oberhirten den Zeitpunkt für gekommen, der Verwirrung sittlicher Grundsätze entgegenzutreten, die aus Anlaß der Frage der Fürstenabfindung leider in weitesten Kreisen Boden gefunden hat und durch maßlose Agitation immer mehr gesteigert wird. Wer Gerechtigkeit für jeden fordert, darf sie den Fürstenhäusern nicht verweigern.
Es ist nun allerdings nicht Sache der bischöflichen Autorität, in den Einzelfällen zu entscheiden, welche Stücke seitherigen fürstlichen Besitzes nach ihrer Herkunft und ihrem rechtlichen Charakter als Privateigentum und welche als Staatseigentum anzusprechen sind. Es ist auch nicht Sache der bischöflichen Autorität, in jedem Einzelfalle abzumessen, inwieweit die Rücksicht auf die wirtschaftliche Bedrängnis und die kulturellen Bedürfnisse des Volkes ein besonderes Entgegenkommen seitens der Fürstenhäuser im Ausmaß ihrer Forderungen verlangt: ein Entgegenkommen, das unbestreitbar in dieser Zeit allgemeiner Not auch zahllosen anderen Besitzenden als ernste Pflicht obliegt.
Aber dagegen erheben die Bischöfe ihre Stimme, einem Fürstenhause jene Rechte abzusprechen, die jedem Menschen, jedem Staatsbürger und jeder Familie zustehen - jene Rechte, die durch das Sittengesetz geschützt sind und die auch in der Verfassung Anerkennung gefunden haben. Eine rechtswidrige Vergewaltigung würde erfolgen, wenn eine unzulässige und ungerechte Enteignung durchgeführt würde. So ist als unzulässig eine Enteignung zu bezeichnen, die und soweit sie ohne Not, ohne gerechte zwingende Gründe erfolgt. Ungerecht würde sein, wenn sie ohne solche Entschädigung erfolgen würde, die als angemessen zu betrachten ist
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unter Berücksichtigung des wirklichen Wertes einerseits und der Verhältnisse des in schwerer Krise befindlichen Volkswohles andererseits.
An den hierfür geltenden Grundsätzen des natürlichen und christlichen Sittengesetzes findet die Zuständigkeit aller irdischen Autorität und alles Volkswillens eine unverletzbare Schranke.
Wer immer diese Schranke überschreitet, macht sich, er mag es beabsichtigen oder nicht, mitschuldig an den Folgen, die ein solches Vorgehen in seiner Auswirkung für alle Zukunft nach sich ziehen müßte in Untergrabung der sittlichen und wirtschaftlichen Ordnung im Volksleben.
Unsere Diözesanen erwarten mit Recht, daß die Oberhirten warnend und mahnend mit aller Offenheit erklären, daß die Vergewaltigung der Rechte der Fürstenhäuser ebenso wie die Vergewaltigung der Rechte anderer unvereinbar ist mit den Grundsätzen des christlichen Sittengesetzes.
Die in der Fuldaer Bischofskonferenz vereinigten Oberhirten deutscher Diözesen.
Empfohlene Zitierweise
Fuldaer Bischofskonferenz, Oberhirtliche Erklärung betreffend Beurteilung einer Fürstenenteignung vom Standpunkte des christlichen Sittengesetzes vom 01. Juni 1926, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 16459, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/16459. Letzter Zugriff am: 24.04.2024.
Online seit 29.01.2018.