Dokument-Nr. 16497
Bertram, Adolf Johannes an Pacelli, Eugenio
Breslau, 03. Oktober 1925

Hochwürdigster Herr Apostolischer Nuntius und Erzbischof!
Exzellenz!
Die Irrtümer und bedenklichen Stellen in Schriften des Professor Josef Wittig zu Breslau haben mir schon mehrere Jahre ernste Sorge bereitet. Es würde mir lieb sein, wenn die S. Congregatio S. Officii erführe, daß meinerseits alles geschehen ist, was vom Ordinarius loci hat geschehen können. Ich habe:
1. sofort nach Erscheinen des Artikels "Die Erlösten" ihm ein tadelndes Schreiben zugehen lassen, das auch verschiedenen Professoren und Pfarrern mitgeteilt;
2. ihm das Amt eines Präses der Marianischen Studenten-Kongregation entzogen,
3. durch den Dekan der Theologischen Fakultät ihn kollegial ermahnen lassen zur Vermeidung von leichtfertigen Aufstellungen, von propositionis temerariae,
4. noch im letzten Winter ein Gutachten über die Irrtümer in seinen Schriften von Professor Engelbert Krebs in Freiburg eingezogen, dieses
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ihm zugesandt und ihn aufgefordert, in der Öffentlichkeit befriedigende Erklärungen abzugeben,
5. die erbetene Druckerlaubnis zu seinem Buche "Leben Jesu" durch meinen Generalvikar amtlich ablehnen lassen.
Damit ist alles geschehen, was nach der bestehenden Praxis vom Ordinarius loci hat geschehen können.
Nachdem die S. Congregatio S. Officii die Verurteilung seiner Schriften mir mitgeteilt hat und Forderungen an Wittig gestellt hat, habe ich dies ihm mitgeteilt und ihn aufgefordert, diesen Auflagen bis zum 15. Oktober, an dem das neue Studien-Semester beginnt, zu gehorchen. Ob er dies tut, ist heute noch nicht gewiß.
Es ist meine Absicht:
1. zu Beginn des neuen Studien-Semesters die Theologie-Studierenden zu ermahnen, nichts zu tun, was mit der Ehrfurcht gegen die Entscheidung des S. Officium nicht vereinbar ist, und
2. dem Professor Wittig durch den Dekan der Theolog. Fakultät zu empfehlen, auf 6 Monate Urlaub zu nehmen, damit er selbst sich klarer werde und damit
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manch unliebsame Eindrücke und Unzuträglichkeiten vermieden werden.
Im übrigen mache ich auf Folgendes ganz ergebenst aufmerksam:
I. Gern bin ich bereit, Professor Wittig zu raten, daß er sein Amt als Professor niederlege. Ich frage an, ob ich ihm andeuten darf, dies sei der Wunsch des Heiligen Stuhles.
II. daß eine gewisse Vorsicht in der Behandlung des Falles notwendig ist, liegt in [sic] den Verhältnissen Deutschlands. Denn
1. Professor Wittig hat wegen seiner populären und belletristisch feinsinnigen Schreibweise einen sehr grossen Anhang in den gebildeten Kreisen, auch bei zahllosen treuen Katholiken.;
2. weite protestantische Kreise streben seit Jahrzehnten an, die Katholischen Theologischen Fakultäten aus dem Körper der Universitäten hinauszudrängen, weil die Stellung der Theologie-Professoren mit der "freien Wissenschaft" und "freien Forschung" nicht vereinbar sei; ein scharfes Vorgehen gegen Wittig wird diese Bewegung stärken; die Trennung der Theologischen Fakultäten von den Universitäten Deutschlands aber würde ein sehr schwerer, verhängnisvoller und nie wieder gut zu machender Schlag gegen den Katholizismus in Deutschland sein;
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3. die Verhandlungen über ein Konkordat zwischen dem hl. Stuhle und Deutschland werden im kommenden Winter beginnen; der Protestantismus kämpft schon seit einigen Monaten gegen jedes Konkordat; eine katastrophale Wendung im Falle Wittig würde eines der größten Hindernisse für diese Verhandlungen sein.
Diese Erwägungen nötigen mich, die weiteren Ereignisse und Schritte vor endgültigem Handeln Eurer Exzellenz zu unterbreiten, weil Interessen berührt werden, deren ganze Bedeutung Eurer Exzellenz auf Grund mehrjähriger Wirksamkeit in Deutschland sehr genau bekannt ist.
Sollten Eure Exzellenz besondere Wünsche oder Winke des hl. Stuhles vermitteln können, würde es mich zu grossem Danke verpflichten.
In tiefer Ehrerbietung bleibe
Eurer Exzellenz
ganz ergebener
A. Card. Bertram.
Empfohlene Zitierweise
Bertram, Adolf Johannes an Pacelli, Eugenio vom 03. Oktober 1925, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 16497, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/16497. Letzter Zugriff am: 28.03.2024.
Online seit 24.06.2016.