Dokument-Nr. 16777

[Preußische Regierung]: Anrechnung der auf österreichischen Universitäten von katholischen Theologiestudierenden zugebrachten Studienzeit, 23. März 1929

Die Prüfung der in der Besprechung vom 13. September 1928 anhand des Erlasses des Österreichischen Ministeriums für Kultus und Unterricht vom 4. April 1861 (Beck von Managetta und von Kelle, Die österreichischen Universitätsgesetze, 1906, S. 632) aufgeworfenen Frage hat folgendes ergeben:
Dem erwähnten Erlaß liegt eine an die Kuratoren der Universitäten u.a. gerichtete Verfügung des Preuß. Ministers der geistlichen, Unterrichts- und Medizinal-Angelegenheiten vom 5. März 1861 – Nr. 3016 U/116 - zu Grunde, die unter Aufrechterhaltung der Allerh. Kabinettsorder vom 30. Juni 1841 (nicht 1840!) (Gesetzsammlung S. 139) über die Anrechnung der auf den Universitäten Wien, Prag, Graz und Innsbruck zugebrachten Studienzeit auf das Triennium (Quadriennium) academicum Bestimmung trifft.
Durch Allerh. Kabinettsorder vom 13. Oktober 1838 (Gesetzsamml. S. 501) war der Besuch der Universitäten in den übrigen deutschen Bundesstaaten durch preußiche Untertanen wieder gestattet worden, jedoch mit der Maßgabe, daß diejenigen Studierenden, die sich in Preußen um ein öffentliches Amt bewerben wollten, eine Zeit lang auf einer Landesuniversität zu studieren verpflichtet sein sollten.
Die oben angeführte Kabinettsorder vom 30. Juni 1841 setzte diesen Zeitraum auf ein und ein halbes Jahr fest und gab die Möglichkeit der Dispensation.
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Unter einem "öffentlichen Amt" im Sinne der beiden Kabinettsorders von 1838 und 1841 ist zweifellos auch ein kirchliches Amt mitzuverstehen (vgl. z.B. Hinschius, Das Preuß. Kirchenrecht im Gebiete des allgemeinen Landrechts, 1884, S. 14).
Sofern daher die Rundverfügung vom 5. März 1861 bei Zitierung der Kabinettsorder von 1841 nur von "Anstellung im Staatsdienst" spricht, ist ihre Angabe unvollständig.
Die Rundverfügung kann und will hiernach, wie auch die Praxis jener Zeit zeigt, nicht besagen, daß der Besuch jener österreichischen Universitäten den Besuch preußischer Universitäten überhaupt entbehrlich mache.
Die Kabinettsorders von 1838 und 1841 sowie die Rundverfügung von 1861 sind aber, soweit es sich um die Vorbildung der Geistlichen handelt, durch das diese Materie neu regelnde Gesetz vom 11. Mai 1873 (Gesetzsamml. S. 191) außer Kraft gesetzt worden. Nach § 4 dieses Gesetzes ist zur Bekleidung eines geistlichen Amtes u.a. die Zurücklegung eines dreijährigen theologischen Studiums an einer deutschen Staatsuniversität erforderlich. Unter einer solchen ist, wie sich auch argumento e contrario aus § 5 a.a.O. ("außerdeutsche Staatsuniversitäten") ergibt, nur eine reichsdeutsche zu verstehen. Allerdings ist in § 5 a.a.O. eine Dispensmöglichkeit vorgesehen, sodaß auf diesem Wege auch die Anrechnung österreichischer Studiensemester möglich ist. Andererseits ist die frühere Bestimmung von 1841, wonach drei Semester auf einer preußischen Universität zugebracht werden müssen, als beseitigt anzusehen.
Dies Staatsrecht gilt noch heute.
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Nach der Staatsumwälzung sind mit der österreichischen Regierung Erörterungen über die Rechtsangleichung auf dem Gebiete des Unterrichtswesens eingeleitet worden. Diese haben u.a. zur Anerkennung der österreichischen Reifezeugnisse als ausreichend für die Zulassung zum Studium an deutschen Hochschulen (Erlaß vom 8.4.1922 – U I 21713 -) und zur Anerkennung von an den Staatsuniversitäten in Wien, Graz und Innsbruck erworbenen akademischen Graden, insbesondere des Dr. theol., geführt. Dagegen ist eine Übereinkunft über eine Gleichstellung von in Österreich verbrachten katholisch-theologischen Studiensemestern mit reichsdeutschen bisher nicht getroffen worden. Sachliche Bedenken dürften einer solchen Übereinkunft nicht entgegenstehen, wenn wenigstens einige Semester einer deutschen Hochschule (Universität, Seminar) vorbehalten bleiben.
Empfohlene Zitierweise
[Preußische Regierung], Anrechnung der auf österreichischen Universitäten von katholischen Theologiestudierenden zugebrachten Studienzeit vom 23. März 1929, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 16777, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/16777. Letzter Zugriff am: 29.03.2024.
Online seit 02.11.2015.