Dokument-Nr. 17098

[Preußisches Kultusministerium]: [Kein Betreff]. [Berlin], vor dem 27. März 1926

I. Allgemeines
Eine besondere Darlegung hierüber ist in der Anlage beigefügt.
II. Die Materien der bestehenden Zirkumskriptionsbullen
1. Ämterbesetzung
Bischofswahl
Von der für Preußische Regierung gebotenen allgemeinen Einstellung her (vgl. oben Ziffer I), sowie mit Rücksicht auf die Bodenständigkeit einer gerade in Preußen ununterbrochenen, im Volksleben verwurzelten geschichtlichen Entwickelung muß maßgebender Wert auf die prinzipielle Beibehaltung es Bischofswahlrechts der Domkapitel wie auf die Beibehaltung wirksamer Garantien für die Fernhaltung politisch bedenklicher Persönlichkeiten gelegt werden.
Unter Berücksichtigung der neueren Entwickelung des kanonischen Rechts läßt sich folgende Regelung denken:
Die Erzbischöfe und Bischöfe werden durch die Domkapitel gewählt. Nach Erledigung eines erzbischöflichen oder bischöflichen Stuhles reicht das betreffende Kapitel eine Liste von mindestens ... kanonisch geeigneten Kandidaten dem Apostolischen Stuhle ein, der seinerseits aus dieser Zahl drei Personen dem Kapitel für die endgültige Wahl benennt, nachdem er sich vorher bei der Preußischen Regierung vergewissert hat, daß diese gegen die Wahl keines dieser Kandidaten politische Bedenken hat. Unter den ihm vom Apostolischen Stuhl bezeichneten drei Kandidaten entscheidet das Kapitel in freier geheimer Wahl, die ohne vorherige öffentliche Ankündigung und ohne besondere Feierlichkeit stattfindet. Nach der Wahl sucht das
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Kapitel unverzüglich ihre Bestätigung durch den Apostolischen Stuhl nach.
Gegebenenfalls kann auch folgende Regelung in Betracht kommen:
Die Erzbischöfe und Bischöfe werden durch die Domkapitel gewählt. Nach Erledigung eines erzbischöflichen oder bischöflichen Stuhles reichen sowohl das betreffende Kapitel wie auch der Preußische Episkopat - dieser nach einem noch näher zu erörtenden Verfahren - je eine Liste von mindestens ... kanonisch geeigneten Kandidaten dem Apostolischen Stuhle ein, der seinerseits aus diesen Listen drei Personen dem Kapitel für die endgültige Wahl benennt, nachdem er sich vorher bei der Preußischen Regierung vergewissert hat, daß diese gegen die Wahl keines dieser Kandidaten politische Bedenken hat, worauf das weitere Verfahren sich in der vorhin erwähnten Weise abspielen würde.
Kapitelbesetzung
Die Kapitelbesetzung könnte etwa im Sinne der bayerischen Regelung erörtert werden, doch sollte politische Einflußnahme wenigstens bei den Dignitäten vorbehalten bleiben.
2. Zirkumskription
Die Frage der Zirkumskription ist faktisch nur im Osten angeschnitten, wo der Administraturbezirk Tütz der Regelung bedarf. In besonderem Maße fallen bei der Zirkumskriptionsfrage die oben dargelegten allgemeinen Schwierigkeiten ins Gewischt, denen die Preußische Regierung sich bei der konfessionellen Gliederung der preußischen Bevölkerung gegenübersieht und deren Lösung nur bei größter Beschränkung und Behutsamkeit erhofft werden kann.
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Die Anlage
Das Konkordatsproblem, wie es ohne Rücksicht auf Form und Inhalt einer Übereinkunft zwischen dem Staat und der katholischen Kirche im Folgendem kurz genannt sei, stellt die Preußische Regierung vor Schwierigkeiten ganz besonderer Art.
Zum Teil ergeben sie sich schon aus den politischen Kräfteverhältnissen des Landes. Weder die gegenwärtige noch voraussichtlich eine andere Gruppierung der parlamentarischen Parteien, welche unter Herrschaft des parlamentarischen Systems die Bildung und Politik der Regierung bestimmen, gewährt der Staatsleitung eine erhebliche Mehrheit in den gesetzgebenden Körperschaften. Die politische Situation ist also zur Zeit und voraussichtlich auf lange Zukunft durchaus labil.
Es kommt hinzu, daß die Regierungsparteien in Fragen der Religion und Weltanschauung keineswegs als eine geschlossene Einheit erscheinen. Jede Regierung wird daher gerade bei der Lösung der eben erwähnten Probleme mit lebhaftem Widerstande in großen ihr nahestehenden parlamentarischen Kreisen zu rechnen haben und deshalb nur mit wechselnden Mehrheiten positive Ergebnisse durchsetzen können.
Die Besorgnisse, die sich daraus ergeben, haben an Gewicht sehr gewonnen durch die Publikation des bayerischen Konkordates. Die öffentliche Meinung weitester Kreise in Preußen ist seitdem nur zu geneigt sich über Konkordatsfragen an der bayerischen Regelung zu orientieren und daraus einen prinzipiellen Widerspruch gegen jedes Konkordat für Preußen abzuleiten, da hier die bayerische
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Übereinkunft schlechthin untragbar sei. Dementgegen ist die Preußische Regierung überzeugt, daß auch dem Apostolischen Stuhl die großen Verschiedenheiten nicht entgangen sind, die in den meisten Beziehungen zwischen Preußen und Bayern obwalten und eine Übertragung der bayerischen Konvention auf Preußen nicht erlauben.
Es braucht nur an die Spannungen erinnert zu werden, welche in Preußen aus der nationalen und sozialen Zusammensetzung der Bevölkerung sich ergeben und die sich hier mit ganz anderer Schärfe auswirken, als es in dem ziemlich homogenen Staatswesen Bayerns der Fall ist. So sind sowohl an Preußens Grenzen wie in seinem Innern Sonderbestrebungen zu beachten, die teils in völkischer Fremdstämmigkeit beruhen, teils aber auch rein politischen Charakter tragen und vom Ausland nicht unbeeinflußt sind. Es dient ebenso sehr der Aufrechterhaltung des Friedens zwischen Staat und Kirche, wie es durch ein vitales Staatsinteresse verlangt wird, daß den Gefahren, welche aus den vorhin erwähnten Verhältnissen entstehen können, in einer Vereinbarung mit dem Apostolischen Stuhl durch entsprechend wirksame politische Garantien vorgebeugt wird.
Alle bisher genannten Momente werden jedoch an Bedeutung übertroffen durch den Einfluß, welchen die konfessionelle Gliederung der Bevölkerung auf das Konkordatsproblem ausübt. Schon für Bayern kann mit gutem Grunde behauptet werden, daß die Annahme des Konkordats im Landtag sich schwerlich hätte erreichen lassen, wenn nicht gleichzeitig entsprechende Verträge mit den dortigen evangelischen Kirchen zustande gekommen wären. Zur Evidenz steht dieser Satz jedenfalls fest für Preußen, wo die evangelische Kirche nicht wie in Bayern die Minderheit, sondern eine
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Zweidrittelmehrheit des Volkes umfaßt.
Nun ist jedoch das Verhältnis der evangelischen Kirche zum Staat in Preußen gegenwärtig weder rechtlich noch politisch völlig geklärt. Die enge Verbindung der evangelischen Kirchenverfassung mit der monarchischen Staatsform hat die evangelischen Kirchen nach dem Sturze der Monarchie zu einer Neuorganisation gezwungen; in deren Verlauf müssen auch zahlreiche Verknüpfungen staatlicher und kirchlicher Einrichtungen gelöst werden; dieser Prozeß ist indessen noch durchaus im Fluß. Auch die Einstellung großer Teile der evangelischen Bevölkerung zum Staat in seiner gegenwärtigen Form ist mindestens noch unsicher, vielfach aber durchaus negativ. Bei den tiefgreifenden politischen Gegensätzen ist eine wirkliche Klärung in diesem Punkte in Bälde nicht zu erwarten.
So erklärt es sich, daß aus dem evangelischen Lager nicht wenige Stimmen den Gedanken an Verträge zwischen Staat und Kirche für die Gegenwart überhaupt ablehnen. Selbst wo eine gemäßigtere Richtung des Protestantismus zu Worte kommt, fordert sie doch mindestens, daß gewisse Materien von vornherein ausgeschaltet werden müßten, da entsprechende Forderungen der evangelischen Kirchen an den Staat teils grundsätzlich nicht vorhanden seien, teils die Lage auf evangelischer Seite noch nicht so weit geklärt sei, als daß sie eine feste Bindung ertrüge; gleichzeitig wird jeder Behandlung dieser besonderen Probleme lediglich in einem Konkordat mit dem Apostolischen Stuhl der heftigste Widerstand angekündigt.
Überhaupt darf gesagt werden, je umfassender ein Konkordat sein würde, desto größere Angriffsflächen würde es
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bieten nicht nur für die Opposition anläßlich der parlamentarischen Verabschiedung, sondern auch für die hier speziell interessierende Erörterung des Fragenkomplexes in den evangelischen Synoden. Letzteres ist umso bedenklicher, als die evangelische Kirchenverfassung in Preußen den Synoden eine ganz andere Macht verleiht, als in Bayern. Die führende bayerische evangelische Landeskirche ist geleitet von einer evangelischen Hierarchie, diese wird ihrerseits unterstützt von einer angesehenen und beliebten kirchlichen Bürokratie, und der bayerische Staat brauchte nur die eben genannten beiden Faktoren gewonnen zu haben, um mit der Zustimmung der Synode rechnen zu können. Ganz anders verhält es sich mit Preußen. Hier wird die maßgebende evangelische Kirche beherrscht von synodalen Parteien, welche in Bayern fast ganz fehlen, und unterliegt demgemäß den gleichen, ja größeren Schwierigkeiten als der politische Parlamentarismus. Nicht nur rivalisieren diese Parteien untereinander, sondern sie unterliegen auch der Kontrolle und den Einflüssen der außersynodalen kirchlichen Öffentlichkeit in hohem Grade, und das gilt ganz besonders von den [sic] hier in Rede stehenden Angelegenheiten. Es versteht sich von selbst, wie unerwünscht überhaupt es solchen evangelischen Parteien sein muß, einem Vertrage mit dem Staate zuzustimmen, der zeitlich und inhaltlich durch ein Konkordat des Staates mit dem Apostolischen Stuhl veranlaßt ist; der Vorschlag eines einigermaßen umfassenderen Konkordates wird von ihnen gern zum Anlaß genommen werden, um ihren Konsens zu verweigern. Angesichts der oben bereits geschilderten parlamentarischen Schwierigkeiten einer kulturpolitischen
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Gesetzgebung und angesichts der nahen Beziehungen wichtiger synodaler Persönlichkeiten zur politischen Opposition würde eine derartige Abstimmung wohl das Vertragswerk im Ganzen zum Scheitern bringen. Das kann mit einer größeren Wahrscheinlichkeit angenommen werden, als in solchem Falle die parlamentarische Opposition gewiß zahlreiche Verbündete bei denjenigen Regierungsparteien finden würde, welche in Weltanschauungsfragen den Standpunkt der katholischen Kirche nicht teilen.
Nach alledem scheint in Preußen eine Aussicht auf das Zustandekommen einer konkordatären Vereinbarung dann, aber auch nur dann zu bestehen, wenn bezüglich der zu behandelnden Gegenstände Beschränkung geübt und bei der Fassung im einzelnen nicht bloß der allgemeinpolitischen, sondern auch der kirchenpolitischen Lage und der aus ihr sich ergebenden, durch das Staatsinteresse gebotenen Einstellung der preußischen Regierung Rechnung getragen wird.
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Die Westfragen sind zur Zeit noch ungeklärt.
3. Dotation.
Nach Überwindung den Inflation sind die dotatonsmäßigen Bezüge der Bistümer in voller Höhe in Reichsmark wiederhergestellt. Eine darüber hinausgehende Anpassung an den Bedarf wird im Einvernehmen mit dem Finanzminister erörtert werden können. Dabei würde an ein finanztechnisches System zu denken sein, das gegenüber dem in den Zirkumskriptionsbullen enthaltenen eine Modernisierung bedeutet. Der Gedanke "Radizierung" erscheint wirtschafts- und finanzpolitisch überholt und allgemeinpolitisch untragbar (Fürstenenteignung, Agrargesetzgebung östlicher Staaten usf.).
III. Schulfrage.
Um dringende Gefahren von dem Zustandekommen einer Übereinkunft abzuwenden, ist es wünschenswert, die Schulfrage in die Vereinbarung überhaupt nicht einzubeziehen. Allenfalls erscheint die Aufnahme einer allgemeinen Klausel über die religiöse Seite der Schule erwägenswert.
IV. Vorbildung der Geistlichen.Eine vertragliche Regelung dieser Materie erscheint diskutabel. Dabei wird grundsätzlich für ein kirchliches Amt die Zurücklegung jedenfalls eines Teiles des Studiums auf einer deutschen Hochschule (einschl. der Seminare) vorausgesetzt, ohne daß damit die Gleichwertigkeit der Ausbildung an einer Päpstlichen Hochschule in Frage gestellt werden soll.
Empfohlene Zitierweise
[Preußisches Kultusministerium], [Kein Betreff], [Berlin] vom vor dem 27. März 1926, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 17098, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/17098. Letzter Zugriff am: 28.03.2024.
Online seit 29.01.2018.