Dokument-Nr. 17120

Schmidlin, Joseph: Zur Rückgabe unserer deutschen Missionen, in: Germania, Nr. 317, 11. Juli 1929
Von
Prof. Dr. Schmidlin in Münster
Bei den Konkordatsverhandlungen, die gegenwärtig im Vordergrund des Interesses stehen, ist deutscherseits ein Punkt vergessen worden: die Zurückerstattung der uns vorab in den ehemaligen Kolonien geraubten Missionsfelder an ihre ursprünglichen Inhaber, die deutschen Missionsgesellschaften! Schon vor 3-4 Jahren habe ich in den Spalten dieses Blattes auf diese noch immer klaffende Wunde unseres Missionswesens hingewiesen und einen Alarmruf zur Aufrüttelung der öffentlichen Meinung im katholischen Deutschland erhoben, ohne daß seitdem etwas besser geworden oder erfolgt wäre, was mit jedem Tage abnormer und unerträglicher wird.
Um auf die Quelle des Unrechts zurückzugreifen, wissen wir, daß unsere Feinde im Kriege die meisten deutschen Missionare insbesondere aus unseren Schutzgebieten vertrieben und im Versailler Vertrag diese Ausweisung sanktioniert haben, daß andererseits die römische Kurie insofern in diese Maßnahme eingewilligt hat, als sie die verwaisten Missionsgebiete nichtdeutschen, zumeist französische Genossenschaften ohne irgend welche Entschädigung zuwies und als Ersatz dafür den Deutschen größtenteils minderwertige Arbeitsfelder vorab in Südafrika übertrug. Zwar schickte sie Mgr. Ceretti angeblich zur Rettung der deutschen Missionen zu den Friedensverhandlungen, wie auch der amerikanische Prälat Kelley in diesem Sinne sich bemühte; aber inzwischen haben wir durch die Enthüllungen über die Vorgeschichte der Lateranverträge erfahren, daß beide Prälaten mit ganz anderen Dingen sich beschäftigten, jedenfalls erreichten sie zu Gunsten der deutschen Missionen nichts.
Nun aber sind inzwischen die Ausnahmebestimmungen gegen unsere deutschen Glaubensboten von den meisten Staaten, insbesondere von England, allmählich abgebaut worden und damit die Schranken wider die Rückkehr der deutschen Gesellschaften zum größten Teil gefallen, so daß ihnen politisch nichts mehr im Wege steht. Die Folge ist, daß protestantischerseits viele deutsche Missionare seit Jahren in ihre früheren Arbeitsfelder wieder eingezogen sind und darin ungestört weiterwirken (so z. B. die Bremer in Togo und die Baseler in Kamerun, auch viele Gesellschaften in Ostafrika und Indien). Um so auffälliger und peinlicher muß es wirken, daß unsere katholischen Glaubenspioniere nach wie vor von ihren alten Missionen ausgeschlossen bleiben und vergeblich auf deren Wiedererschließung warten, nicht etwa weil die Regierungen sich ihnen widersetzen (außer den Franzosen), da die konfessionelle Behandlung hierin eine gleiche ist, sondern weil einerseits die mittlerweile eingetretenen nichtdeutschen Missionsgesellschaften nicht weichen wollen, andererseits Rom sie nicht dazu veranlaßt und sich zu keiner Rückberufung entschließen kann.
Wenn wir die fraglichen Missionsgebiete einzeln betrachten, so begegnen uns zuerst Togo und Kamerun, die wenigstens in ihren britisch besetzten Teilen für die deutschen Missionare wieder zugänglich wären, aber ihnen tasächlich verschlossen bleiben, jenes seitens der Lyoner für die Steyler, dieses von seiten der französischen Spiritaner und englischen Millhiller für die Pallottiner. In Ostafrika konnten teilweise seit kurzem die Benediktiner von St. Ottilien in ihre Präfektur Lindi zurückkehren; aber sowohl die Väter vom Heiligen Geist als auch die Weißen Väter sträuben sich dagegen, ihre ostafrikanischen Vikariate ihren deutschen Provinzen zurückzugeben und ihre nichtdeutschen Mitglieder davon zurückzuziehen. Während Südwestafrika den deutschen Oblaten wie auch Deutschneuguinea den Steylern und Neupommern den Hiltrupern verblieben ist, konnten die rheinisch-westfälischen Kapuziner nach ihrer Verdrängung durch die Japaner die Karolinen und Marianen nicht wiederbesetzen (jetzt unter spanischen Jesuiten). Von den nichtdeutschen Kolonien haben unsere deutschen Gesellschaften ihre Missionen im portugiesischen Mosambik und im britischen Vorderindien verloren; davon sind erst einige deutsche Jesuiten in Puna (nicht Bombay) wiedergekehrt, alle übrigen noch ausgeschlossen, auch die Salvatorianer in Assam, wo ihnen von der Propaganda zwar ein neu in Angriff zu nehmendes Teilgebiet angeboten wurde, die Hauptmission indes den italienischen Salesianern belassen werden soll.
Es wird wohl nicht zu viel verlangt sein, wenn wir angesichts dessen die dringende Bitte, ja Forderung aussprechen, daß unsere Missionare ihre sämtlichen Gebiete zurückerhalten, soweit die politischen Bedingungen es erlauben. Daran haben nicht bloß sie, sondern alle deutschen Katholiken und Deutschland selbst ein vitales Interesse. Wir dürfen nicht vergessen, daß finanziell betrachtet der Missionsbesitz letzten Endes vom katholischen Deutschland stammt. Nun ist zwar die kanonistisch oder missionsrechtlich durchaus nicht erwiesene und einwandfreie These aufgestellt worden, das Missionsgut gehöre letzten Endes dem Heiligen Stuhl oder der Propaganda, die daher frei darüber zugunsten anderer Gesellschaften verfügen könne; aber abgesehen davon, daß der nächste Besitzer oder Träger des Missionseigentums die betreffende Mission oder Gesellschaft ist, hindert diese juristische Konstruktion oder Fiktion des päpstlichen Obereigentums nicht, daß nur höhere Gewalt (wie sie eben im Kriege vorlag) die Entziehung der Mission gegenüber ihren Rechtsinhabern legitimieren kann und beim Aufhören dieses Hindernisses (wie es nunmehr eingetreten ist) wenigstens die Billigkeit eine Restituierung dringend nahelegt. Wir wollen also hoffen und wünschen, im Interesse des Deutschtums wie der Missionen, daß diese Wiedereinsetzung und Wiedergutmachung recht bald erfolge, indem die entscheidenden Instanzen ihre Schwierigkeiten aufgeben und auch unsere diplomatischen Vertreter in dieser Richtung tätig sind.
(Weitere Einzelheiten und die einschlägigen Materialien sind zu finden in meiner kürzlich innerhalb der Schreiberschen Sammlung "Deutschtum und Ausland" (Heft 16) erschienenen Schrift über das deutsche Missionswerk der Gegenwart.)
Empfohlene Zitierweise
Schmidlin, Joseph, Zur Rückgabe unserer deutschen Missionenin: Germania, Nr.317 vom 11. Juli 1929, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 17120, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/17120. Letzter Zugriff am: 29.03.2024.
Online seit 20.01.2020.