Dokument-Nr. 17435
N. N. an Pius XI.
vor dem 20. Oktober 1927

Heiligster Vater!
Zu Füssen des Thrones Eurer Heiligkeit liegend, wagt es der alleruntertänigst Unterfertigte, Eurer Heiligkeit beigeschlossen zwei Revuen zu schicken, von denen die eine den Artikel enthält, von welchem ich1 Eurer Heiligkeit in der Audienz vom [Leerstelle] dieses Jahres sprechen durfte, und der die merkwürdige Heranziehung des Ausspruches unseres Herrn und Heilandes über das in den Brunnen gefallene Haustier mit dem nicht zu verteidigenden ersten Satz der Weimarer Verfassung enthält. (Schönere Zukunft.)
Die Katholische Politik No. 7 vom 1. April 1927 2 wurde mir auch zugesandt, da sie eine Besprechung des obengenannten Artikels enthält, welche deutlich zeigt, wie man doch in manchen Lagern derartige bedauerliche Entgleisungen empfindet. Diese Zeitschrift, die sich noch nicht zu einem Tagesblatt hat entwickeln können, soll darauf hinarbeiten, in den Kreisen der Katholiken Stimmung dafür zu machen, dass das Zentrum wieder eine konfessionelle, id est eine katholische Partei, werden soll, die in erster Linie die katholischen Interessen unverwaschen auf die Fahne schreiben soll, nicht also das so beliebte Schlagwort der christlichen Grundsätze. Unter den materiellen Helfern jener Zeitschrift befinden sich u. a. Graf Stolberg und meine Wenigkeit, obgleich ich nicht mit allem einverstanden bin, was das Blatt bringt.
Im Übrigen wagt der alleruntertänigst Unterzeichnete Eurer Heiligkeit eine Angelegenheit mitzuteilen, die Eurer Heiligkeit zwar wahrscheinlich schon aus den Blättern erfahren haben. [sic]
Die enge Verbindung des Zentrums mit den Sozialisten hat wichtige Führer in eine rechte Sackgasse geführt, wobei sich recht deutlich die Gefährlichkeit dieser Politik wieder gezeigt hat. (Ich möchte mich
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dabei durchaus nicht auf einen exklusiven Standpunkt stellen und Euer Heiligkeit versichern, dass ich nei [sic] ein Hehl daraus gemacht habe und dass ich es durchaus verstehe, dass man im parlamentarischen Leben das eine oder andere Mal, je nach Gelegenheit, auch mit Persönlichkiten [sic] gehen kann, die weltanschaulich in einem ganz anderen Lager stehen, bloss das prinzipielle jahrelange Zusammengehen habe ich von jeher bekämpft (ich habe auch darüber dem hohen Staatssekretariat Eurer Heiligkeit, Monsignor Pizzardo, ein kleines Exposé auf Befehl eingereicht) und halte es wegen der Verwirrung der Geister, die sie auch in nichtpolitischen, also auch in Glaubens-Dingen anrichtet, für sehr gefährlich.)
In Deutschland existieren zwei sich bekämpfende Organisationen, die ungefähr das darstellen, was die Frontkämpferorganisationen in Italien sind, aus denen dann in den Jahren 1920-1923 der Faschismus entstand. Das eine ist der sogenannten Stahlhelm, konservativ und sehr national gesinnt, aber durchaus republikanisch, wenngleich in demselben sich wohl auch viele Mo<n>archisten befinden, die sich jedoch schon aus Klugheit irgend einer stärkeren Propaganda, wenigstens bis jetzt, enthalten haben. Die bedauerliche Entwicklung der nationalen Parteien in Deutschland, deren Hauptleitung in dem protestantischen Norddeutschland, liegt, hat natürlich in manche Teile des Stahlhelms auch antikatholische, antiklerikale Strömungen gebracht, jedoch sind sehr viele gute Katholiken dabei, ebenso wie Monarchisten bei dieser im ganzen republikanisch gesinnten Organisation mit arbeiten. Trotz all' der genannten in der Lage der Zeit beruhenden bedauerlichen Schattenseiten ist der Stahlhelm eine für Ordnung und Ruhe sehr wertvolle Vereinigung und besteht zumeist aus sehr anständigen Leuten.
Der Gegenpol dieser Verbindung ist der Reichs-banner, [sic] der von den Sozialisten, den Demokraten und leider auch dem Zentrum immer stark unterstützt worden ist. Der grösste Teil der Leute des Reichs-
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banners sind absolute, in der Wolle gefärbte Sozialisten, ganz roter und radikaler Gesinnung, welche natürlich bei irgendwelchen Unruhen ein gefährliches Instrument in den Händen der sozialdemokratischen Partei werden können. Trotz alledem hat sich das Zentrum stets voll und ganz auf die Seite des Reichsbanners gestellt, so zwar, dass z. B. Reichskanzler Marz [sic] eine wichtige Stellung in der Leitung des Reichsbanners inne hatte.
Schon früher hat die Haltung des Reichsbanners öfters genau gezeigt, welch' durchaus rote und umstürzlerische Tendenz in demselben herrschte. Neulich kam es nun zu einer für dans [sic] Zentrum äusserst unliebsamen Angelegenheit. Die Unruhen in Wien, die sich doch sehr bald absolut als das herausgestellt haben, was sie wirklich waren, ein bolschewistischer Vorstoss mit Moskauer Geld der gänzlich radikalisierten dortigen Kommunisten und Sozialisten, un [sic] die ja eine ausserordentliche Menge von Rohheitsakten widerlichster Art hervorgebrach haben, veranlassten den Führer des Reichsbanners, Hörsing, Regierungspräsidenten [sic] (Prefetto) der preussischen Provinz Sachsen, ein Sympathie- und Huldigungs-telegramm [sic] im Namen des Reichsbanners an die Revolutionäre von Wien zu schicken. Eure Heiligkeit können sich vorstellen, in welche Lage dadurch die Zentrumsführer kamen, dass von einer von ihnen [sic] stets so favorisierten Organisation ein derartiger ganz offener und offizieller Akt der Zustimmung zu der bolschewistischen Revolution in Wien abgegeben wurde. In der deutschen Presse erhob sich allgemein und laut die stürmische Frage, wie sich jetzt das Zentrum zum Reichsbanner stelle. Der kommunistisch angehauchte Oberpräsident Hörsing konnts [sic] sich sogar in dem sozialistischen Preussen nicht halten und musste seinen Posten als Oberpräsident verlassen. Ob er die Leitung des Reichsbanners ebenfalls niedergelegt hat, ist mir im Augenblick noch nicht bekannt, unter allen Umständen musste der
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Reichskanzler Marx aus der Leitung dieser Organisation austreten, doch war die ganze Sache für die grossen Führer des Zentrums eine ausserordentlich schmerzliche Ohrfeige, die man vermieden hätte, wenn man nicht in allen Dingen sich von der Angst beherrschen liesse, die teuren Freunde in dar [sic] sozialdemokratischen Partei ja nicht zu verkrumpeln. [sic] Ich frage mur [sic] was machen solche Dinge für einen Eindruck auf den gewöhnlichen Mann, wenn er hört, dass ein Reichskanzler Marx, ein bekannt frommer und edler Katholik, in der Führung einer Organisation ist, die einen derartigen rohen Aufstand, wie es der Wiener Aufstand war, ein Huldigungs- und Zustimmungstelegramm schickt. Dans [sic] muss doch in den Köpfen einfacher Leute eine Verwirrung sondersgleichen hervorbringen!
Es folgte hierauf ein weiterer Schritt, für den Klarblickenden nicht unerwartet, indem der ehemalige Reichskanzler Dr. Wirth den Reichskanzler Dr. Marx aufs gröbste angriff und die Partei des Herrn Hörsing ergriff, also damit indirekt auch die Partei der Revolutionäre in Wien, wenn man die Sache logisch weiter verfolgt. Die Angriffe sind in gröbster Form gehalten und es ist nicht begreiflich, dass das Zentrum aus Angst, Stimmen zu verlieren, diesem Mann, der nur mehr ganz äusserlich katholisch zu sein scheint, innerlich vollkommen auf marxistischem Boden steht, nicht das Consilium abeundi gibt.
Auch diese änsgtliche [sic] Untätigkeit der Zentrumsführer gegen Leute, die so die katholischen Prinzipien verleugnen, wie Herr Wirth, ist nicht dazu geeignet, die Verwirrung in den Ideen in Deutschland zu bessern. Wie will man, wenn man politisch alle Verirrungen schont und die Wählermassen, um sie nicht zu verlierenx, immer wieder in den Irrtum einwiegt, dass Katholizismus und Sozialismus im politischen Leben Dinge sind, die sich gut vereinigen lassen, von dem einfachen Mann verlangen, dass er doch in Dachen des Glaubens und der Moral der sozialistischen Lehre nicht folgen darf. Die Verwirrung
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der Ideen wird immer grenzenloser und man darf sich nicht wundern, wenn auch im wissenschaftlichen Gebiet die Grenzen des Erlaubten überschritten werden, wenn die Gelehrten in allen übrigen Gebieten des menschlichen Lebens sehen, wie allzu weitherzig mit den katholischen Prinzipien verfahren wird.
Ich3 füge endlich ausser diesem Bericht für Eure Heiligkeit noch einen Zeitungsartikel bei, welcher die Rede des Herrn Reichskanzlers Marx über die Weimarer Verfassung enthält, die er am diesjährigen Verfassungstag vor wenigen Tagen gehalten hat. Der Herr Reichskanzler verlangt, wie übrigens auch im vergangenen Jahr am Katholikentag, ohne die geringste Einschränkung zu wagen, Lieben, [sic] Achtung und Verehrung für unsere Verfassung. Es ist unbegreiflich, wie ein Mann, der täglich seinen Herrn und König in der heiligen Kommunion empfängt, in diesem Falle nicht den Mut aufringt, ein Wort über jenen durchaus mit der katholischen Lehre nicht vereinbarenden [sic] zweiten Absatz des ersten Paragraphen dieser Verfassung zu verlieren. Das katholische Volk, das eine solche Rede liest, die, ich wiederhole es, uneingeschränkt die Liebe für die Weimarer Verfassung fordert, kann unmöglich einen anderen Gedanken haben, als dass die ganze Verfassung gut und mit dem katholischen Glauben vereinbarlich [sic] ist, dass also auch der erste Paragraph mit unserer Lehre absolut übereinstimmt. Wo kommt man da hin!
Wollen Eurer Heiligkeit es dem alleruntertänigst Unterfertigten gütigst verzeihen, wenn er Allerhöchstihre [sic] Zeit mit dieser an sich geringfügig erscheinenden Sache in Anspruch genommen hat, da Euer Heiligkeit aber die Gnade hatten, mir zu erlauben, über wichtige Dinge zu berichten, so glaubte ich dieses Schulbeispiel für die funesten [sic] Folgen des schwarzroten Ehe in Deutschland Eurer Heiligkeit zur Kenntnis bringen zu dürfen.
In tiefster Ehrfurcht Euer Heiligkeit den Fuss und den Fischerring küssend, verharre ich als
1Links am Rand masch.: "N. 1".
2Links am Rand masch.: "N. 2".
3Links am Rand masch: "N°3=".
Empfohlene Zitierweise
N. N. an PiusXI. vom vor dem 20. Oktober 1927, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 17435, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/17435. Letzter Zugriff am: 19.04.2024.
Online seit 25.02.2019, letzte Änderung am 26.06.2019.