Dokument-Nr. 17708

[Eisele, Hans]: [Kein Betreff]. München, 16. April 1925

Geschichte der St. Josefs-Gemeinde von Porto Alegre.
Es ist eine alte Erfahrungstatsache jeder Auswandererseelsorge, daß sie nur da Erfolge hat, wo sie auf nationaler Grundlage die Katholiken zusammenfaßt und mit ihnen arbeitet. Auch in Brasilien lag das religiöse Leben der Auswanderer lange sehr im Argen, bis Ende der 60er und anfangs der 70er Jahre seeleneifrige deutsche Jesuitenpatres der alten Erfahrung folgend die deutschen Katholiken in deutschen Kirchengemeinden zusammenbrachten. Ein Gleiches taten anderswo polnische und italienische Seelsorger mit ihren Landsleuten. Auf den Landkolonien draußen entstanden so allmählich blühende Gemeinden mit Kirchen und Schulen und regem religiösen Leben. In Porto Alegre, dem Einfallstor für die große Auswandererkolonie des Staates Rio Grande do Sul, begann die Zusammenfassung der deutschen Katholiken durch Pater Gassner S. J. bereits im Jahre 1867 in einer katholischen, deutschen Gemeinde. Aus ihr wuchs noch im selben Jahr der St. Josefs-Verein und 1871 die St. Josefs-Gemeinde der deutschen Katholiken in Porto Alegre heraus. Sie faßte zunächst die Erbauung einer eigenen Kapelle und die Organisation und Gründung einer eigenen deutschen Kirchengemeinde ins Auge, welcher der hochwürdigste Herr Bischof von Rio Grande, Sebastião, der großmütige Freund der deutschen Katholiken Porto Alegres, gerne seinen Segen und seine Genehmigung erteilte. 1871 wurde bereits
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durch Umbau die St. Josefs-Kapelle hergestellt. Am 13. Dezember 1871 wurden vom hochwürdigsten Herrn Bischof Sebastião die vom Kirchenvorstand in einer Eingabe vom 8. Dezember gestellten Bitten um kanonische Einrichtung der St. Josefs-Kapelle und gesetzmäßige Garantien, daß, die sonst erforderlichen priesterlichen Eigenschaften vorausgesetzt, der jeweilige Seelsorger ein Priester deutscher Nationalität sei, daß die Predigten in deutscher Sprache erfolgen dürfen, usw. restlos bestätigt. Pater Stratmann S. J. wurde zum definitiven Kaplan für die Seelsorge in der St. Josefs-Kapelle ernannt. Ausdrücklich wurde vom hochwürdigsten Herrn Bischof in der Bestallungsurkunde zugesagt, daß der Kaplan der St Josefs-Gemeinde die Kinder aller in der Stadt wohnenden deutschen Katholiken taufen und das Sakrament der Ehe allen deutschen Katholiken spenden dürfe. Auch für die übrigen, gottesdienstlichen Handlungen hatte der hochwürdigste Herr Oberhirte die weitgehendsten Fakultäten gewährt.
Der Nachfolger des selig Entschlafenen, von den deutschen Katholiken aufrichtig betrauerten Bischofs Sebastião, der hochwürdigste Erzbischof D. Claudio José Ponce de Leão, hat alsbald nach seinem Regierungsantritt 1890 seinen "geliebten Söhnen["], den Deutschen der St. Josefs-Kapelle (allemãosinhos de S. José, wie er sie oft zärtlich nannte) die Pfarrechte via facti in aller Form zugestanden, sodaß von da an die Kapläne der St. Josefs-Ka-
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pelle als Pfarrkapläne angesehen wurden.
27 Jahre lang konnte in dieser Form die Josefs-Gemeinde sich dieser Sonderrechte erfreuen. Sie hat sich in dieser Zeit zu einer mustergiltig organisierten, von tiefem religiösem und kirchlichem Eifer beseelten Kirchengemeinde mit eigener Kirche, mit eigenem Friedhof, mit eigenen Schulen für Knaben und Mädchen, mit eigenem Gemeindehaus und vielen anderen, segensreich wirkenden Einrichtungen entwickelt. Ich möchte als Beweis für das religiöse Leben der Gemeinde nur die Zahl der Beichten und Kommunionen im Jahre 1923 anfügen, die in der längst zu klein gewordenen St. Josefs-Kapelle gespendet wurden: Beichten 9.000, Kommunionen 22.000. Dank der Opferwilligkeit der deutschen Katholiken im Staate Rio Grande do Sul und besonders in Porto Alegre wurde es möglich, daß schon im März 1925 die St. Josefs-Kirche, wohl unzweifelhaft die größte und schönste Kirche von Porto Alegre fertiggestellt und eingeweiht werden konnte. Leider nur in aller Stille und ohne ein deutsches Predigtwort aus dem Munde des hochwürdigsten Herrn Erzbischofs. Das ganze religiöse Leben, der in Jahrzehnten bewiesene Eifer der deutschen Katholiken in Porto Alegre und in ganz Brasilien für die katholische Sache sind leider auf eine harte Probe gestellt durch die Entziehung der einst der Josefs-Gemeinde von zwei hochwürdigsten Herren Erzbischöfen gewährten Sonderrechten als deutsche Pfarrei und durch den
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sich mehr und mehr auch äußerlich verschärfenden Konflikt des hochwürdigsten Erzbischofs D. João Becker mit den deutschen Katholiken seiner Diözese.
Folgen des Konfliktes mit der St. Josefs-Gemeinde.
Die staatlichen Behörden von Brasilien und auch vom Staate Rio Grande do Sul haben längst die in der ersten Hitze der Kriegspsychose nach dem Eintritt Brasiliens in den Krieg verhängten Maßregelungen gegen die deutschen Kirchen und Schulen wieder aufgegeben, die alten Rechte teils stillschweigend, teils ausdrücklich wieder zugestanden und so die alte Freiheit und den Frieden wieder hergestellt. Nur die erzbischöfliche Behörde in Porto Alegre hat bis zum heutigen Tage die Maßregelung, die durch keinerlei kirchliche oder religiöse Schuld verursachte Maßregelung der deutschen St. Josefs-Gemeinde in Porto Alegre aufrecht erhalten und die den deutschen Katholiken in Porto Alegre entzogenen ehemaligen Rechte nicht wieder zurückgegeben. Daraus entsteht ein sehr schmerzlicher Zwiespalt zwischen dem Verhalten der staatlichen und kirchlichen Behörden gegenüber den Deutschen Brasiliens. Daraus aber erwächst naturgemäß auch viel Unzufriedenheit und Erbitterung über die verschiedene Behandlung durch staatliche und kirchliche Behörden. Die Zahl der nur deutsch sprechenden und nur durch deutsche Seelsorge dem kirchlichen Leben
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zu erhaltenden Deutschen in Porto Alegre hat seit 1871 nicht abgenommen, sondern zugenommen. Sie hat sich namentlich im letzten Jahr stark vermehrt. Es bestehen also die Gründe, die einst für die Verleihung der Sonderrechte an die Josefs-Gemeinde bestanden, noch heute in verstärktem Maße fort. Es besteht deshalb die Gefahr, daß vielleicht, namentlich neueingewanderte Katholiken, durch den Konflikt mit dem Erzbischof von der kirchlichen und religiösen Betätigung abgestoßen werden, daß sie dann allmählich der religiösen Gleichgiltigkeit verfallen, ungläubig werden oder dahin gehen, wo das Deutschtum auch kirchlich ungehindert gepflegt werden kann, zu den deutschen protestantischen Gemeinden Brasiliens. Diese Gefahr ist umso größer, als gerade die Neueingewanderten vor allem deutschen Anschluß, deutsche Seelsorge benötigen und suchen. Die alteingesessenen deutschen Katholiken aber empfinden die Maßregelung der Josefs-Gemeinde umso härter, als Pfarreien anderer Nationen die alten Rechte behalten haben, die nur den Deutschen entzogen worden sind. Ich habe aus Briefen guter, deutscher Katholiken in Porto Alegre ersehen können, in welch tiefe seelische Konflikte gerade die besten deutschen Katholiken durch die geschilderten Verhältnisse geraten sind.
Aber auch die deutsche Regierung und die deutsche Presse haben ein Interesse an diesem Konflikt mit der St. Josef-Gemeinde, denn die Tragweite der
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Angelegenheit geht weit über das lokale, kirchliche Leben hinaus. Entweder gehen die ausgewanderten deutschen Katholiken in Porto Alegre ihrem Kirchtum und ihrem Deutschtum zugleich, oder wenigstens einem von beiden verlustig. Beides liegt nicht im deutschen Interesse. Es wird sich deshalb zweifellos bald die deutsche Presse mit dem Streitfall der St. Josef-Gemeinde in ausgiebiger Weise beschäftigen. Ich weiß, daß dies bisher nur deshalb nicht geschehen ist, weil angesehene deutsche Katholiken von Porto Alegre mit ihrem Einfluß es verhindert haben. Wenn die Angelegenheit in der deutschen Presse behandelt wird, dann wird daraus sicher für den Katholizismus in Deutschland und überhaupt für die Stellung der katholischen Kirche kein Vorteil entstehen. Nutzen werden daraus bestenfalls der Protestantismus in Deutschland und die Kirchenfeinde überhaupt ziehen. Eine weitere Folge der Behandlung der Angelegenheit in der deutschen Presse wird aber sein, daß die ganze, ungemein schwierige, fast nicht zu lösende Frage der Auswanderer-Seelsorge in Kirche und Schule bei der Beratung eines deutschen Konkordates mit dem Heiligen Stuhl aufgerollt wird. Wenn einmal der Abschluß eines deutschen Konkordates mit dem Heiligen Stuhl erwogen wird, dann wird die Aufrollung all dieser Fragen, zu denen der Konflikt in der St. Josef-Gemeinde den Anlaß gibt, den Abschluß eines Konkordates ungeheuer erschweren und verzö-
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gern. Darüber kann niemand in Zweifel sein, der die heutigen deutschen Verhältnisse kennt.
Der Weg zur Versöhnung.
Angesichts der Tragweite der Angelegenheit der St. Josefs-Gemeinde in Porto Alegre dürfte die Rechtsfrage allein die davon betroffenen Interessen nicht erschöpfend berücksichtigen. Nicht mit der Rechtsfrage ist der Konflikt aus der Welt zu schaffen. Wie die Dinge geworden sind, ist der Friede nicht hergestellt durch die Frage, wer recht hat oder nicht. Die Autorität des hochwürdigsten Herrn Erzbischofs steht über Allem und wird von niemand angezweifelt. Es ist nicht die Absicht der deutschen Katholiken, durch die Forderung nach Recht und Rechtsspruch sie zu erschüttern. Aber es ist dem hochwürdigsten Herrn Erzbischof die Macht und Möglichkeit gegeben, durch einen großmütigen, hochherzigen Gnadenakt den deutschen Katholiken seiner Josefs-Gemeinde ein Zeichen seiner Huld und Liebe zu geben. Wenn der hochwürdigste Herr Erzbischof, der zurzeit auf der Reise nach Rom auch das deutsche Vaterland seiner Vorfahren durchreist, als Gruß aus diesem deutschen Vaterland und als Gruß vom ewigen Rom seinen deutschen Katholiken in Porto Alegre diesen Gnadenakt schicken würde, dann würde in Porto Alegre und in der ganzen Erzdiözese ein Jubel der Dankbarkeit und Liebe unter den deutschen Katholiken entstehen, wie ihn der hochwürdigste Erzbischof wohl noch nie und nirgends erlebt hat. Es
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würden wieder die Herzen der deutschen Katholiken in Eintracht und opferwilliger Begeisterung ihm entgegenschlagen, wenn er aus Rom und aus der deutschen Heimat wieder zu ihnen nach Porto Alegre zurückkehrt. Mit diesem Gnadenakt eines großen Geistes und eines großmütigen Herzens würde alles ausgelöscht, was jetzt zwischen dem hochwürdigsten Herrn Erzbischof und den deutschen Katholiken seiner Erzdiözese liegt, was unzählige Gefahren und ungeheuerliche Verantwortlichkeiten in sich schloß und zum Unsegen werden müßte.
Aus all diesen Erwägungen heraus hoffen die deutschen Katholiken in Porto Alegre und in der ganzen Erzdiözese, daß der Heilige Vater in seiner unendlichen Güte und Liebe gerade für die so schwer heimgesuchten Katholiken Deutschlands sich auch der deutschen Katholiken Porto Alegres erinnere und mit einem milden Vaterwort den hochwürdigsten Herrn Erzbischof zu diesem Gnadenakt bewege. Dann wird die Romfahrt des hochwürdigsten Herrn Erzbischofs D. Joao Becker die glücklichste und segenvollste sein.
Empfohlene Zitierweise
[Eisele, Hans], [Kein Betreff], München vom 16. April 1925, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 17708, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/17708. Letzter Zugriff am: 25.04.2024.
Online seit 24.06.2016, letzte Änderung am 01.02.2022.