Dokument-Nr. 17710
Eisele, Hans an Pacelli, Eugenio
München, 05. August 1925

Euer Exzellenz!
Hochzuverehrender hochwürdigster Herr Nuntius!
ZahlreicheZuschriften aus Porto Alegre beweisen mir, in welch' schwerer Sorge die deutschen Katholiken in Brasilien der Entscheidung über die Pfarrrechte in der St. Josephsgemeinde Porto Alegre entgegensehen. Es ist allen klar geworden, dass von dieser Entscheidung für die Zukunft des Deutschtums und vor allem des kirchlichen Lebens der katholischen Deutschen in Brasilien unendlich viel abhängt. Durch die Massnahme des hochwürdig<st>en1 Herrn Erzbischofs Dom Jǒa [sic] Becker gegen die deutsche Pfarrei und durch die Entziehung der Pfarrrechte ist das Verhältnis zwischen dem Oberhirten der Erzdiözese und seinen deutschen katholischen Pfarrkindern leider sehr getrübt worden. Wenn schon unter gewöhnlichen Verhältnissen davon für das Seelenheil und für das kirchliche Leben einer Diözese unendlich viel abhängt, so gilt dies ganz besonders für die mit deutschen Einwanderern stark durchsetzte, besonders schwierig zu pastorisiernde katholische Kirchengemeinde St. Joseph in Porto Alegre. Daraus erklärt sich auch die tiefe Beunruhigung unter den deutschen Katholiken Brasiliens und die grosse Spannung, mit der sie der Europareise ihres Erzbischofs folgen.
Da der hochwürdige Herr Erzbischof Dom Jǒa Becker zurzeit im heiligen Lande weilt und voraussichtlich in diesen Tagen auch Rom
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und den heiligen Vater Papst Pius XI. besuchen wird so erlaube ich mir in aller Ehrerbietung Euer Exzellenz erneut die Sorgen der St. Josephsgemeinde von Porto Alegre ans Herz zu legen und Euer Exzellenz mit der ergebensten Bitte zu ersuchen, nochmals eindringlichst auch in Rom auf die schwere Gewissensnot und die Gefahren hinzuweisen, die aus einer Fortdauer des Konflikts zwischen dem hochwürdigen Herrn Erzbischof und der St. Josephgemeinde in Porto Alegre entstehen müssen. Die deutschen Katholiken Brasiliens hoffen noch immer, dass es Euer Exzellenz und den massgebenden Stellen im Rom gelingen möge, den Konflikt auf friedlichem Wege im Geiste des Verstehens und des Verzeihens zu schlichten. Wenn auch der hochwürdig<ste>2 Herr Erzbischof nach den Bestimmungen des kanonischen Rechts formell im Rechte sein mochte, als er der deutschen Katholikengemeinde St. Joseph in Porto Alegre die ihr von 2 Vorgängern verliehenen und feierlich bestätigten Pfarrrechte bei Beginn des Krieges mit Brasilien entzog, so glauben doch die deutschen Katholiken Brasiliens, dass schon aus Rücksicht auf die deutschen Auswanderer und die dadurch bedingten besonderen Verhältnisse und ganz besonders aus Rücksicht auf die Begleitumstände jener Maßregel des hochwürdig<st>en3 Herrn Erzbischofs aus Klugheitsgründen ihre Zurücknahme oder doch wesentliche Milderung angezeigt erscheine.
Die Maßregelung der St. Josephgemeinde durch die Entziehung der bisherigen Pfarrrechte ist zeitlich mit der Kriegserklärung Brasiliens an Deutschland und mit den Gewalttätigkeiten des brasilianischen Pöbels gegen die dortigen Deutschen zusammengefallen. Auch die brasilianische Regierung hat damals Maßregeln gegen die Deutschen ergriffen. Aber die brasilianische Regierung hat in staatspolitischer Klugheit und Nachsicht die politischen Maßregeln gegen das Deutschtum längst rückgängig gemacht, auch diejenigen, welche das Gebiet der Kirche und Schule betroffen haben. Um so schwerer drückt es die deutschen
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Katholiken Brasiliens, daß von kirchlicher Seite die allgemein als deutschfeindlich empfundenen Maßnahmen gegen die katholische deutsche St. Josephgemeinde nicht wieder beseitigt oder wenigstens gemildert worden sind. Die Haltung des hochwürdig<st>en4 Herrn Erzbischofs wird leicht und gern von übelgesinnten Kreisen als bewusste Deutschfeindlichkeit ausgelegt. Sie weisen darauf hin, dass der hochwürdig<st>e5 Herr Erzbischof den deutschen Katholiken nicht mit den gleichen Gefühlen entgegenkomme wie den Eingeborenen oder den Katholiken anderer Nationen. Sie haben darüber gespottet und gehöhnt, dass der hochwürdig<st>en6 Herr Erzbischof selbst die Einweihung der monumentalen neuen St. Josephkirche, die ein bleibendes Denkmal der Glaubensfreudigkeit und des Opferwillens der deutschen Katholiken Brasiliens darstellt, ungewöhnlich lange hinausgeschoben und schliesslich nur in aller Stille und ohne auch nur ein einziges deutsches Wort der Anerkennung zu sprechen, vollzogen habe. So ist es verständlich, dass das Gefühl immer weiter um sich greift, daß von oberster kirchlicher Stelle in Porto Alegre keine Nationalität so behandelt wird, wie die deutsche, obwohl die Einrichtungen der St. Josephgemeinde und der Pfarrei selbst wiederholt von höchster kirchlicher Stelle als mustergültig gerühmt worden sind.
Es ist leicht einzusehen, wie gross die Gefahr ist, dass diese Vorkommnisse auch in der deutschen Presse und im deutschen Reichstag zur Sprache gebracht werden, so sehr dies auch bisher massgebende Persönlichkeiten in Porto Alegre und in Deutschland zu verhindern suchten. Bei den zurzeit neu aufflammenden Kulturkampfgelüsten würde die Übertragung dieses Streites auf deutschen Boden zu neuen konfessionellen Verhetzungen benützt werden. Jch bin überzeugt, daß in der gegneri-
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schen Presse ein Sturm der Entrüstung beginnen wird, wenn die Verhältnisse der deutschen Katholiken in der Erzdiözese Porto Alegre und die Beschwerden über ungleiche Behandlung der Deutschen unter anderen Nationen vielleicht noch in übertriebener Weise bekanntgegeben werden. Jch habe schon in meinem früheren Schreiben darauf aufmerksam gemacht, dass die Aufrollung dieses Streitfalles auch dem Verhältnis Deutschlands zum hl. Stuhl und den Vorbereitungen zu dem Abschluß eines deutschen Konkordates nicht förderlich sein könnte. Es würde<n>7 damit den Gegnern eines solchen Konkordates und den Feinden Roms geradezu Waffen geliefert. Man wird es auch keinem Katholiken in Deutschland begreiflich mach können, dass das Vorrecht, das von 2 hochverehrten Oberhirten der Diözese Porto Alegre ausdrücklich der St. Josephsgemeinde verliehen, bestätigt und bis zur Kriegserklärung Brasiliens allgemein als segensreich, gut und recht anerkannt worden ist, nun plötzlich nach dem Ausbruche der brasilianischen Volksleidenschaft gegen das Deutschtum nicht mehr möglich und geziemlich sei. Bis 1917 hat die St. Josephpfarrei die ihr verliehenen Pfarrechte genossen und die deutschen Katholiken haben in Einigung und Liebe, in Ehrfurcht und kindlichem Gehorsam um ihren Oberhirten gescharrt bewundernswerte Werke des Glaubenslebens und kirchlichen Opferwillens geschaffen. Es gibt nicht einen einzigen Fall, in dem wegen dieser Pfarrechte Schwierigkeiten entstanden und berechtigte Klagen erhoben werden konnten. Die Bedenken und Einwände, die man heute gegen die Pfarrgemeinde St. Joseph in Porto Alegre erhebt, lassen sich mit demselben Recht gegen jede Großstadtseelsorge und Abgrenzung der Großstadtpfarreien geltend machen. Jn jeder Großstadtgemeinde ist es der Fall, dass die Gläubigen die Sakramente in einer anderen Pfarrei als der ihrigen empfangen und die Gottesdienste in einer anderen als ihrer Pfarrkirche besuchen. Wohnung, Herkommen, persönliche Vorliebe für diese oder jene Kirche, für diesen oder jenen Prediger oder Beichtvater spielen hier eine entscheiden-
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de Rolle. Umgekehrt genügt es nicht für einen Pfarrer, dass er die Sprache seiner Pfarrkinder spricht, er muß dass gleiche Herz wie seine Pfarrkinder haben, er muss von gleichem Blut und Stamme sein, muss denken und fühlen können wie sie selber. Es wäre undenkbar, dass Polen oder Jtaliener sich von italienischen sprechenden Deutschen in Jtalien oder in Südtirol pastoralisieren<ieren>8 lassen würden in der heutigen Zeit der scharfen nationalen Gegensätze. Auch in den Kolonien ist dies nicht der Fall. Sie gehen dann erfahrungsgemäß eher der Kirche und dem kirchlichen Leben verloren. Ebenso undenkbar ist es aber, daß die ausgewanderten Deutschen sich zwar von deutschsprechenden aber dem deutschen Wesen meist feindselig gegenüberstehenden nativistisch gesinnt<en>9 Geiste<lichen>10 Porte Alegres seelsorgerisch betreuen lassen. Lieber werden auch sie leider der Kirche und der Religion den Rücken kehren oder zum Protestantismus übergehen. Sache der deutschen Regierung wird es sein zu verhindern, daß sie auch ihrem Volkstum verloren gehen. Deshalb wird die deutsche Regierung mit allen Mitteln dafür eintreten müssen, daß die deutschen Auswanderer kirchlich nicht schlechter behandelt werden als die Auswanderer anderer Nationen; dabei wird die deutsche Regierung den Reichstag und das ganz deutsche Volk hinter sich haben.
Um Euer Exzellenz ein sachverständiges Urteil über die von dem hochwürdig<st>en11 Herrn Erzbischof Dom Joa Becker erhobenen Einwände gegen die Wiedergewährung der Pfarrechte auf dem Gnadenwege an die deutsche St. Josephgemeinde zu erhalten, habe ich mich an den langjährigen, noch heute in Porto Alegre allgemein verehrten Kaplan der St. Josephgemeinde Pater Dahlmann S. J. gewandt. Er hat mir die
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beiliegende Antwort gegeben.
Genehmigen Euer Exzellenz die Versicherung grösster Ehrerbietung und gehorsamster Ergebenheit, womit ich verbleibe
Euer Exzellenz
gehorsamst ergebener
Dr. Hans Eisele
1Hds. eingefügt, vermutlich vom Verfasser.
2Hds. eingefügt, vermutlich vom Verfasser.
3Hds. eingefügt, vermutlich vom Verfasser.
4Hds. eingefügt, vermutlich vom Verfasser.
5Hds. eingefügt, vermutlich vom Verfasser.
6Hds. eingefügt, vermutlich vom Verfasser.
7Hds. eingefügt, vermutlich vom Verfasser.
8Hds. gestrichen und eingefügt, vemutlich vom Verfasser.
9Hds. eingefügt, vermutlich vom Verfasser.
10Hds. gestrichen und eingefügt, vemutlich vom Verfasser.
11Hds. eingefügt, vermutlich vom Verfasser
Empfohlene Zitierweise
Eisele, Hans an Pacelli, Eugenio vom 05. August 1925, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 17710, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/17710. Letzter Zugriff am: 25.04.2024.
Online seit 24.06.2016, letzte Änderung am 23.02.2017.