Dokument-Nr. 1841

[Matt, Franz]: Beilage zum Schreiben vom 28. Mai 1921 an seine Exzellenz den Herrn Apostolischen Nuntius. [München], vor dem 28. Mai 1921

Ziff. IV Satz 1, Ziff. VIII, IX und X.
IV.
Der Religionsunterricht bleibt in allen Mittelschulen ordentliches Lehrfach.
VIII.
In allen Gemeinden, in denen die Eltern oder sonstigen Erziehungsberechtigten es beantragen, müssen katholische Volksschulen errichtet werden, insoweit eine genügende Schülerzahl dafür angemeldet ist.
IX.
In allen Volksschulen bleibt der Religionsunterricht im bisherigen Umfange ordentliches Lehrfach.
Den Schülern der Volksschulen wie der höheren Lehranstalten muß Gelegenheit gegeben werden zur Erfüllung ihrer religiösen Pflichten.
X.
Die Aufsicht über den Religionsunterricht und das religiös-sittliche Leben an den Volks- und Mittelschulen steht dem Diözesanbischof zu. Er übt es entweder direkt in eigener Person oder durch seine Beauftragten aus. Der Bischof legt auf Grund der gemachten Beobachtungen seine Beanstandungen oder Anträge der Staatsregierung vor, die das Notwendige zur Abhilfe veranlaßt .
Gegen den Vorschlag in Ziff. IV Satz 1 ist eine Erinnerung nicht zu erheben.
Die Fassung "bleibt" scheint darauf hinzuweisen, daß der Religionsunterricht in den Mittelschulen in dem seitherigen Umfange gesichert werden soll.
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Hinsichtlich der Volksschulen sieht Art.149 der Reichsverfassung (R.V.) und das zur Ausführung des Art. 146 Abs. 8 der R.V. zu erlassende Reichsgesetz, das zur Zeit im Entwurfe (nach der Beschlußfassung des Reichsrates) vorliegt und demnächst der endgültigen Beschlußfassung des Reichstages unterstellt werden wird, aus dem Gesichtspunkte der Einbeziehung von Religionsunterricht in den Lehrplan folgende Schularten vor:
1. Die Gemeinschaftsschule, bestimmt für alle Schüler ohne Rücksicht auf deren Religionsbekenntnis. Sie gewährt Religionsunterricht im Sinne des Art. 149 Abs.1 R.V. als ordentliches Lehrfach nach näherer Bestimmung des Landesrechts. Für Lehrer an dieser Schulgattung ist die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Bekenntnis nicht Voraussetzung der Anstellung.
2. Bekenntnisschule, bestimmt für Schüler eines bestimmten Bekenntnisses mit Religionsunterricht als ordentlichem Lehrfach und mit Zulassung der in dem Bekenntnis üblichen religiösen Übungen und Gebräuche. Die Lehrer müssen dem Bekenntnisse der Schule angehören.
3. Bekenntnisfreie (weltliche) Schule, die allen Schülern offen steht und an der Angehörige jedes Bekenntnisses und jeder Weltanschauung als Lehrer angestellt werden können. An diesen Schulen wird kein lehrplanmäßiger Religionsunterricht erteilt.
Eine Unterart der bekenntnisfreien (weltlichen) Schule ist sodann noch die Weltanschauungsschule zur Pflege einer gemeinschaftlichen Weltanschauung (gemeint sind solche Weltanschauungen, die nicht in den bereits unter 2. erwähnten Religionsbekenntnissen ihren Ausdruck finden).
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Von den hiernach künftig möglichen Volksschularten ist also der Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach für die Gemeinschaftsschule wie für die Bekenntnisschule durch Art. 149 Abs. 1 R.V. gesichert. Insoweit kann der Forderung der Ziff. IX Satz 1 der Punktationen Rechnung getragen werden. Ich sehe aber angesichts der Vorschriften der Reichsverfassung keine Möglichkeit die Erteilung des Religionsunterrichts auch für die anderen zugelassenen Volksschulgattungen (weltliche und Weltanschauungsschule) sicher zu stellen. Begriff und Zweckbestimmung dieser Schularten scheinen mir die Erteilung von Religionsunterricht eines bestimmten Bekenntnisses im ordentlichen Schulbetrieb auszuschließen. Es wird demnach die Fassung der Ziff. IX Satz 1 der Vorschläge ("bei allen Volksschulen") einer Einschränkung dahin bedürfen, daß die gestellte Forderung lediglich für solche Volksschulen aufrecht erhalten wird, an denen die Erteilung von Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach nach der derzeitigen Reichsgesetzgebung zugelassen ist. Dies wird auch vom kirchlichen Standpunkt um so eher ertragen werden können, als sich die weltlichen und Weltanschauungsschulen vermutlich zumeist in Städten befinden werden, in denen den Kindern auch Gelegenheit zum Besuch einer Bekenntnisschule oder wenigstens einer Gemeinschaftsschule mit pflichtmäßigem Religionsunterricht geboten ist. Eltern, die in solchem Falle für ihre Kinder die weltliche Schule aussuchen, würden wohl in der Regel selbst dann, wenn bei diesen Schulen Religionsunterricht wäre, geneigt sein, ihre Kinder diesem Religionsunterricht nach Art. 149 Abs. II R.V. zu entziehen.
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Übrigens soll die Erteilung von privatem Religionsunterricht außerhalb des Lehrplans an Schüler der weltlichen und Weltanschauungsschulen durch das kommende Reichsgesetz nicht ausgeschlossen werden; denn wie sich aus § 4 Abs. II Ziff. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. II des zur Zeit dem Reichstage vorliegenden Entwurfs, eines Reichsgesetzes zur Ausführung des Art. 146 Abs. II der Reichsverfassung ergibt, sind hier zur Ermöglichung eines privaten Bekenntnisunterrichtes Schulräume, Beheizung und Beleuchtung aus öffentlichen Mitteln bereitzustellen; die Wünsche der Beteiligten sollen dabei möglichst berücksichtigt werden. Die Voraussetzungen und der Umfang dieser Bereitstellung soll das Landesrecht bestimmen. Hiernach liegt es bei der Landesgesetzgebung im bezeichneten Rahmen Wünschen der Kirche Rechnung zu tragen.
Ziff. II Satz 1 der Vorschläge verlangt weiter, daß der Religionsunterricht an Volksschulen im bisherigen Umfang ordentliches Lehrfach bleibe. Art. 149 Abs. I R.V. stellt den Satz auf, daß die Erteilung des Religionsunterrichtes im Rahmen der Schulgesetzgebung geregelt wird und § 2 Abs. I des Entwurfs des Ausführungsgesetzes zu Art. 146 Abs. II der R.V. überläßt die Bestimmung des Umfangs des Religionsunterrichts bei der Gemeinschaftsschule der Landesgesetzgebung. Hinsichtlich der Bekenntnisschule enthält der Entwurf nur die Bestimmung, daß dem Unterricht (insgesamt) die allgemein bestehenden Lehrpläne zugrunde zu legen sind. Da die innere Einrichtung der Schulen im allgemeinen der Landesgesetzgebung überlassen ist, kann sonach angenommen werden,
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daß die Bestimmung des Umfangs des Religionsunterrichts in den Gemeinschaftsschulen wie in den Bekenntnisschulen künftig der Landesgesetzgebung zustehen wird.
Dies schließt eine Bindung der Landesgesetzgebung hinsichtlich des Umfangs des Religionsunterrichts durch ein Konkordat an sich nicht aus, und ich würde gegen eine derartige Bindung kein Bedenken tragen. Nun ist aber der Umfang des Religionsunterrichts an den bayerischen Volksschulen zur Zeit in den verschiedenen Regierungsbezirken, von denen jeder seine besondere Schul- und Lehrordnung hat, noch verschieden geregelt. Bei der Fassung nach dem Vorschlage in Ziff. IX Satz 1 würden die bestehenden Verschiedenheiten für unabsehbare Dauer festgelegt. Das wäre insofern mißlich, als die bayerische Regierung damit umgeht, für die Volksschulen des ganzen Landes einen allgemeinen Lehrplan aufzustellen, in welchem im Benehmen mit den kirchlichen Behörden auch der Umfang des Religionsunterrichts einheitlich geregelt werden soll. Um dies zu ermöglichen, dürfte sich bei Ziff. IX Satz 1 eine Fassung empfehlen, wonach der Umfang des Religionsunterrichts im Einvernehmen mit den kirchlichen Behörden (Bischöfen) bestimmt wird. Damit dürfte das Interesse der Kirche an einer ausreichenden Erteilung des Religionsunterrichts gewahrt sein und wäre gleichzeitig der Staatsregierung die erforderliche Bewegungsfreiheit bei einer künftigen Ordnung des Religionsunterrichts in der Volksschule gegeben, wie sie auch bei den höheren Schulen besteht und in Ziff. IV Satz 1 der Vorschläge ohne Erinnerung belassen ist.
Noch muß ich auf Art. 149 Abs. 2 R.V. hinweisen, wonach die Teilnahme der Schüler, an religiösen Unterrichts-
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fächern und an kirchlichen Feiern und Handlungen der Willenserklärung desjenigen überlassen ist, der über die religiöse Erziehung des Kindes zu bestimmen hat. Diese Bestimmung könnte durch eine vertragliche Festlegung im Sinne von Ziff. IV Satz 1 und Ziff. IX Satz 1 der Vorschläge natürlich keine Einschränkung erleiden.
Gegen Ziff. IX Abs. 2 der Vorschläge besteht keine Erinnerung. Der Entwurf eines Ausführungsgesetzes zu Art. 146 Abs. 2 der R.V. bestimmt in § 3 Abs. 2 Ziff. 4 für Bekenntnisschulen: "Die in dem Bekenntnis üblichen religiösen Übungen und Gebräuche sind, unbeschadet der Bestimmung des Art. 149 Abs. 2 der R.V. zuzulassen. Indes darf der Unterrichtsbetrieb im ganzen dadurch nicht beeinträchtigt werden." Daneben kann wie bisher in den Schulordnungen der verschiedenen Schularten die Erfüllung der religiösen Pflichten durch die Schüler sichergestellt werden, soweit eben die Erziehungsberechtigten mit der Teilnahme ihrer Kinder an den betreffenden religiösen Handlungen oder die nach der Landesverfassung schon religionsmündigen Schüler selbst damit einverstanden sind.
Wie bereits bemerkt, sieht der Entwurf des Ausführungsgesetzes zu Art. 146 Abs. 2 der R.V. die Einrichtung von Bekenntnisschulen in der Volksschule vor, allerdings teilweise unter anderen Voraussetzungen als sie Ziff. VIII der Vorschläge verlangt. Vergleiche §§ 6-14 und § 16 des genannten Entwurfs. Die in diesem Entwurf errichtete wesentlichste Schranke ist die Aufrechterhaltung eines "geordneten Schulbetriebs", für dessen Begriffbestimmung § 9 des Entwurfs einige konkrete Merkmale bezeichnet. Da die näheren Bestimmungen dem Landesrecht,
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die letzte Entscheidung allerdings möglicherweise dem Reichsverwaltungsgericht überlassen sind, wird die bayerische Regierung bemüht sein, bei Erlaß des Bayer. Ausführungsgesetzes zum fraglichen Reichsgesetze wie der sonstigen Ausführungsvorschriften dem Willen der Erziehungsberechtigten auf Errichtung von Bekenntnisschulen nach Möglichkeit Rechnung zu tragen, dies umso mehr, als in Bayern bisher die Bekenntnisschule gesetzliche Regel war und der überwiegende Teil der Bevölkerung an dieser Schulart festhält.
Es besteht daher gegen die in Ziff. VIII der Vorschläge erhobene Forderung kein grundsätzliches Bedenken. Nur dürfte eine etwas einschränkende Fassung zu wählen sein, die die Forderungen des Art. 146 Abs. 2 R.V. berücksichtigt, etwa so, daß an Stelle des Erläuterungsgesetzes am Schlusse der Ziff. VIII gesetzt wird: "insoweit die reichsrechtlichen Vorschriften hierfür kein Hindernis bieten".
Ziff. X der Vorschläge wird zunächst einer Erinnerung nicht begegnen, insoweit er das Aufsichtsrecht der Kirche über den Religionsunterricht verlangt, selbstverständlich mit der Einschränkung auf jene Fälle, in denen bekenntnismäßiger Unterricht an den Schulen überhaupt erteilt wird, also an den einschlägigen höheren Lehranstalten, in der Volksschule, an den Bekenntnisschulen, an den Gemeinschaftsschulen und an den weltlichen Schulen, soweit an diesen nach Maßgabe der oben angeführten Vorschriften ein privater Religionsunterricht erteilt wird. Für die Frage, ob die Erstreckung der kirchlichen Aufsicht auf das religiös-sittliche Leben an den Volksschulen und an den höheren Lehranstalten im künftigen Konkordate
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in Aussicht genommen werden kann, wird den Prüfstein bilden die demnächstige Landtagsberatung über eine Verordnung betreffend die Schulpflege, Schulleitung und Schulaufsicht an den Volksschulen. In dem Entwurfe dieser Verordnung ist nämlich dem Beauftragten der kirchlichen Oberbehörden die Beaufsichtigung nicht nur des Religionsunterrichtes ihres Bekenntnisses, sondern auch der religiös-sittlichen Erziehung der ihrer Gemeinschaft angehörigen Schulkinder überlassen und anheimgegeben, wegen etwaiger Beanstandungen der Lehrer die staatliche Dienstaufsichtsbehörde anzurufen.
Ein im Zusammenhange mit dem Entwurf eines Volksschulgesetzes im Jahre 1867 nach derselben Richtung gemachter Versuch der Unterstellung des "religiös-sittlichen Lebens" unter die Aufsicht der Kirche wurde damals in der Kammer der Abgeordneten mit großer Mehrheit abgelehnt, in der Kammer der Reichsräte allerdings angenommen. Das Gesetz kam aber nicht zu Stande. Die Vereinbarung, daß auch das religiös-sittliche Leben (ohne Einschränkung) der kirchlichen Aufsicht zu unterstellen sei, schiene mir auch heute in dieser weiten Fassung zum mindesten bei der Gemeinschaftsschule, die zwar bekenntnismäßigen Religionsunterricht hat, aber nach dem Reichsgesetze keine Schule mit bestimmtem religiösen Einschlag, auch keine christliche Schule werden soll, mit der Reichsverfassung nicht vereinbar. Dem Gedanken in Ziff. I der Vorschläge könnte hinsichtlich der Gemeinschaftsschulen wohl nur in der negativen Form Ausdruck gegeben werden, daß Mißstände im religiös-sittlichen Leben der katholischen Schüler oder offenkundig nachteilige
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und ungehörige Beeinflussungen derselben, die beim Religionsunterricht oder auch außerhalb der Schule wahrgenommen werden, besonders etwaige Verletzungen der Empfindungen der katholischen Schüler von den kirchlichen Organen förmlich beanstandet werden können, und daß begründeten Klagen seitens der staatlichen Aufsichtsbehörden abzuhelfen sei. Zu einer solchen Bestimmung böte wohl Art. 148 Abs. II R.V. einen Anhalt, wonach beim Unterricht in öffentlichen Schulen (allgemein) darauf Bedacht zu nehmen ist, daß die Empfindungen Andersdenkender nicht verletzt werden.
Das Gleiche wird für die höheren Lehranstalten zu gelten haben, die ebenso wie die Gemeinschaftsschule der Volksschule den Schülern ohne Rücksicht auf ihr Bekenntnis offen steht und an der Lehrer mit oder ohne Religionsbekenntnis Verwendung finden können.
Eine Berücksichtigung der Forderung in Ziff. X der Vorschläge halte ich dagegen in Rücksicht auf die in ihrem zweiten Satze gegebene Einschränkung bei den katholischen Bekenntnisschulen für möglich, da bei diesen nach dem Entwurfe des Reichsgesetzes die Lehren und Gebote des Bekenntnisses im ganzen Unterrichte berücksichtigt, die Schulbücher dementsprechend eingerichtet, die religiösen Übungen eingeflochten und bis zu einem gewissen Grade in der Schuleinteilung berücksichtigt werden können und müssen, die Übung des religiös-sittlichen Lebens also gewissermaßen einen Bestandteil der Schulerziehung selbst bildet. Die Beaufsichtigung selbst wird sich aber bei dem grundsätzlich staatlichen Aufbau des Schulwesens auch hier auf die Tätigkeit des Geistlichen im Religionsunterricht
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und daneben auf seine Wahrnehmungen in der Seelsorge usw. beschränken müssen.
Bei dieser Fassung wäre einerseits die Forderung des Art. 144 R.V., wonach das gesamte Schulwesen unter der Aufsicht des Staates steht, gewahrt, anderseits der Kirche für das Gebiet der Religionslehre und des religiös-sittlichen Lebens ein entsprechendes Aufsichtsrecht immer noch gesichert. Denn auch nach dem Vorschlage der Ziff. X soll ja der Kirche kein Anordnungsrecht zustehen, dieses vielmehr ausschließlich den Organen des Staates vorbehalten sein.
Immerhin ist nicht zu verkennen, daß ein Zugeständnis auch nur in dem eben bezeichneten Umfang an die Kirche bei einem ansehnlichen Teil der Volksvertretung auf Schwierigkeiten stoßen wird.
Ich nehme an, daß die durch Ausübung eines etwaigen kirchlichen Aufsichtsrechtes in den Schulen entstehenden Kosten nicht dem Staate zur Last fallen, sondern von der Religionsgesellschaft selbst getragen werden sollen.
Empfohlene Zitierweise
[Matt, Franz], Beilage zum Schreiben vom 28. Mai 1921 an seine Exzellenz den Herrn Apostolischen Nuntius, [München] vom vor dem 28. Mai 1921, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 1841, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/1841. Letzter Zugriff am: 20.04.2024.
Online seit 14.05.2013, letzte Änderung am 25.06.2013.