Dokument-Nr. 18539

[Sonntag, Josef]: Kapital und Wirtschaft.
Tägliche Sonderinformationen.
. Berlin-Steglitz, 20. Januar 1925

Nr. 16. Als Manuskript gebrdukt. Nachdruck verboten
Börse.
Während an der Börse die berufsmäßige Spekulation zum Teil mißtrauisch geblieben ist und sich vom Geschäft zurückhält, dauert die Nachfrage der außerhalb des Marktes stehenden Kapitalistenkreise an, von denen nur in einem geringen Umfange bisher Gewinnsicherungen vorgenommen worden sind. Das Geschäft im allgemeinen bleibt zwar ruhiger, aber es tritt eine ganze Anzahl von einzelnen Werten hervor, die besonders bevorzugt werden, und daher vermag sich noch weiterhin eine feste Gesamthaltung zu behaupten, zumal es nicht an Anregungen fehlt und die fortgesetzten Angriffe von links gegen das Kabinett Luther nicht mehr verfangen, die Börse vielmehr die politische Lage unverändert ruhig beurteilt. Obwohl im Wirtschaftsbericht der Deutschen Bank die Börsenlage als unsicher hingestellt wird, da der Kursstand zum Teil bereits übertrieben hoch wäre, hat diese Warnung doch keinen merklichen Eindruck gemacht. In den Kundenkreisen der Banken scheint man sich mehr an die günstigen Mitteilungen in der Generalversammlung des Phönix zu halten, die etwas überraschten. Ferner hat, wenigstens in Berliner Geschäftskreisen, ein Radiovortrag des Regierungsrats Staudinger über die wirtschaftlichen Aussichten, von denen ein recht freundliches Bild entworfen wurde, zweifellos anregend gewirkt.
In der Hauptsache geben die flüssigen Geldmarktverhältnisse immer wieder einen Anstoß zu Geschäftsbelebung. Nachdem die Banken, wie bereits angekündigt, die Kreditzinsen auf 5 Prozent herabgesetzt haben, erfolgt vielfach der Umtausch von Depositengeldern in Wertpapieren, und infolgedessen belebt sich die Nachfrage namentlich auf dem Einheitsmarkt in den billigeren und noch für aussichtsreich gehaltenen Industriewerten. Aber auch die Spekulation, die sich in voriger Woche glattgestellt hat und nun über flüssige Mittel verfügt, wird diese, trotz ihrer Neigung zur Vorsicht, nicht lange untätig liegen lassen, wenn keine Abschwächung wiederkehrt, sondern sich von neuem am Geschäft beteiligen, wie das auch bereits zu beobachten war. Jedoch muss bemerkt werden, daß die Kapitalkraft der Spekulation im Durchschnitt nur als sehr mäßig zu veranschlagen ist. Daher werden von der engeren Börse fast ausnahmslos nur Geschäfte von einem Tage zum andern gemacht, wobei infolge der öfteren Ueberraschungen die Geschäfte sich als verfehlt herausstellen und unter Verlust abgewickelt werden müssen. Nur verhältnismäßig wenig Börsenleute verfügen über ein hinreichend großes Kapital, um ein Engagement auch über verlustreiche Börsentage hinaus durchhalten zu können. Infolgedessen sind die letzten Kurssteigerungen bei weitem nicht so segensreich für die Spekulation geworden, wie das von Außenstehenden vielfach angenommen wird.
Bei den Rombacher Hüttenwerken wird das Stammaktien-Kapital von 170 Millionen auf 51 Millionen Rm. zusammengelegt. Diese Zusammenlegung entspricht den Schätzungen, die schon vor einiger Zeit an der Börse abgegeben
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wurden. Das Vorkriegskapital der Gesellschaft betrug 50 Millionen und wurde 1918 erstmals um 10 Millionen erhöht. Der Goldwert der späteren Kapitalerhöhungen dürfte sich auf ca. 4 Millionen stellen. Die Gesellschaft hat bekanntlich durch den Ausgang des Krieges ihren gesamten lothringischen Besitz verloren, was auch in einem Rückgang der Anlagen in der Bilanz von 86 Millionen auf 58,6 Millionen Rm. zum Ausdruck kommt. Eine schärfere Zusammenlegung dürfte allein dadurch vermieden worden sein, daß die Vorkriegsschuldenlast, die sich insgesamt auf ca. 19. Millionen stellte, durch die Inflation hinfällig geworden ist. Bemerkenswert ist, daß in der Reichsmarkeröffnungs-Bilanz ein Beteiligungskonto mit 5 1/4 Millionen Rm. ausgewiesen wird, das in der letzten Vorkriegsbilanz noch nicht erschienen ist. Auch die Effektenbestände sind, wie bei den meisten Gesellschaften, gegenüber 1914 bedeutend angewachsen, während die Effekten-Reversen von 25 Millionen auf 12,5 Millionen Rm. zurückgegangen sind.
Die Howaldts-Werte in Kiel, deren Aktienkapital sich zum großen Teil im Besitz der Rombacher Hüttenwerke befindet, legen ihr Aktienkapital wie die Rombacher Hüttenwerke, nämlich auch 10 : 3, von 21 Millionen auf 6,3 Millionen Rm. zusammen. Das Vorkriegskapital dieser Gesellschaft betrug 4,1 Millionen und wurde im Krieg bereits auf 10 Millionen erhöht. Bei den weiteren Erhöhungen dürfte der Gesellschaft knapp eine Million Goldmark zugeflossen sein. Es ist also hier ein erheblich größerer Substanzverlust zu verzeichnen als bei den Rombacher Hüttenwerken, obwohl auch die Howaldts-Werke durch die Inflation ihre Vorkriegsobligationsschuld von 2,6 Millionen verloren haben. Die ungünstige Zusammenlegung bei letzteren dürfte z. T. durch die mangelhafte Beschäftigung der Werften und z. T. darauf zurückzuführen sein, daß sich gerade die Werften in erheblichem Maße von der Kriegswirtschaft auf die Friedenswirtschaft umstellen mußten.
Am Markt der Textilwerke sind die Aktien der Kammgarnspinnerei Stöhr u. Co. A.-G. lebhafter beachtet. Es sollen weitere amerikanische Käufe vorliegen. Ferner verlautet, daß eine Herabsetzung des Aktienkapitals nicht notwendig sei.
Die Krupp-A.-G. hat mit der Broder Waggonfabrik ein Uebereinkommen getroffen, demzufolge die Kruppwerke ein größeres Aktienpaket der Broder Waggonfabrik übernehmen, und zwar zum Kurse von 145 Dinar. Die Kruppwerke werden in der Verwaltung und im Aufsichsrat [sic] des Unternehmens vertreten sein und verpflichten sich, in der Broder Fabrik Lokomotiven zu erzeugen. Im Falle der Durchführung dieses Abkommens würde der südslawische Staat der einzige auf dem Balkan sein, der selbst Lokomotiven erzeugt.
Die Schätzung des Absatzes an Reinkali für den Monat Januar wird von dem Kalisyndikat mit 1 3/4 Mill. Doppelzentner angegeben. In den ersten 14 Tagen sind Aufträge von 870.000 Doppelzentner an die Syndikatsmitglieder augegeben worden.
Neuerdings begegnen die Lindström-Aktien größerem Interesse, da die Gesellschaft zusammen mit einem amerikanischen Tochterunternehmen ein wertvolles Patent auszunutzen beabsichtigen soll. Es handelt sich um die Herstellung von neuen Grammophonplatten, deren Spieldauer wesentlich länger als die bisher übliche ist.
Von den Kaliwerken erfuhren die Kali-Industrie-Aktien als einzige keine Abschwächung in den letzten Tagen, sondern zogen sogar etwas an. Die Kali-Industrie-A.-G. ist die Finanzierungsgesellschaft des Wintershall-Konzerns. Es ist anzunehmen, daß die Gesellschaft von dem 12-Millionen-Dollarkredit von Wintershall, der mit 7 1/8 Prozent verzinst wird, in besonderem Maße profitieren wird.
Die Stahl u. Nölke A.-G. für Zündwarenfabrikation in Kassel stellt ihr Papiermarkkapital von 26.500.000 auf 3.180.000 Rm. um, nachdem 24.000.000 Pm. Vorzugsaktien in 500.000 Rm. Stammaktien umgewandelt worden waren. Für das Geschäftsjahr 1923/24 wird keine Dividende verteilt. Im Geschäftsbericht wird ausgeführt, dieZündwarensteuernovelle vom 9. Juli 1923 wirkte auf das Geschäft ungünstig ein, da die Zündholzfabrikanten durch die im Gesetze niedergelegte Zahlungsfrist für die Zündwarensteuer praktisch gezwungen wurden, mit 60 Prozent des Warenwerts für mindestens einen Monat dem Staate gegenüber in Vorschuß zu treten. Es muß unbedingt gefordert werden, daß gelegentlich der bevorstehenden Aenderung des Gesetzes auch in Bezug auf den Zahlungstermin die für den Verkehr unerläßliche Frist beachtet wird. Aber auch die ganze Anlage der Steuer selbst ist dringend reformbedürftig. Es muß die Umwandlung der Wert- in eine Mengensteuer gefordert werden, woran auch das Reich zur Erreichung annähernd bestimmer Steuererträgnisse ein großes Interesse haben dürfte.
Der Absatz hat nach vorübergehender Besserung Ende 1924 wieder nachgelassen. Ueber die Dauer dieses Zustands vermag Bestimmtes nicht gesagt zu werden. Die Preise sind infolge Ueberproduktion und scharfer Konkurrenz andauernd unbefriedigend.
Die der Gesellschaft nahestehenden Deutschen Zündholzfabriken A.-G.in Kassel setzen gleichfalls ihr Stammkapital von 26.500.000 Pm. auf 3.180.000 Rm. herab.
Handel.
In der Frage der lebhaft umstrittenen Baumwolleinfuhr hatte ich durch Aufnahme einer Zuschrift in den "Täglichen Informationen" vom 12. d. M.  Gelegenheit zu einem Meinungsaustausch gegeben. Nunmehr meldet sich die Geschäftsführung des Arbeitsausschusses der Deutschen Baumwollspinnereiverbände (Berlin W. 10, Rauchstr. 20) mit folgender Entgegnung, der ich angesichts des lebhaften Interesses an dieser Frage ebenfalls Raum gebe:
"Es wird der Baumwollspinnerei der Vorwurf gemacht, daß sie "zur Sicherung einer Monopolstellung auf dem deutschen Markt" übertriebene Zollforderungen stelle. Wie die Dinge in Wirklichkeit liegen, mögen die folgenden Ziffern beweisen: Die Zölle für Baumwollgarne sind noch die alten Gewichtszölle der Vorkriegszeit (Der Verfasser scheint der Annahme zu sein, daß bereits eine Zollerhöhung eingetreten sei. Diese Annahme ist falsch und damit entfallen die von ihm hieran geknüpften Schlußfolgerungen.) Für Baumwollgarne in mittleren Stärken stellten diese Zölle in der Vorkriegszeit einen Wertschutz von etwa 6 bis 7 Prozent dar. Infolge der Verteuerung der Rohbaumwolle und damit der Baumwollgarne auf das 2 1/2fache ist dieser Wertschutz heruntergesunken auf 2 bis 3 Proz.
Aber nicht einmal dieser Schutz ist vorhanden; denn der deutsche Baumwollspinner muß für die Garne, die er auf dem deutschen Inlandsmarkte absetzt, eine Umsatzsteuer von 2 1/2 bzw. 2 Prozent, bzw. jetzt seit dem 1. 1. 25 1 1/2 Prozent bezahlen.Die aus dem Auslande hereinkommenden Baumwollgarne sind dieser Umsatzsteuer nicht unterworfen, eine Tatsache, die von dem Artikelschreiber geflissentlich verschwiegen wird. Der wirkliche Zollschutz beträgt also kaum noch 1 Prozent des Wertes, der durch die gegenüber der ausländischen Konkurrenz höheren Produktionskosten der deutschen Baumwollspinnerei mehr als ausgeglichen wird. Die Baumwollspinnerei hat an Hand eingehenden zahlenmäßigen Materials nachgewiesen, daß die Erhöhung der Produktionskosten gegenüber der Vorkriegszeit mindestens 150 Prozent beträgt und dementsprechend eine Erhöhung der Garnzölle für den autonomen Tarif verlangt. Die Verwirklichung dieses Antrages würde für die deutschen Baumwollgarne einen Schutz nicht einmal in der Höhe der Vorkriegszeit bedeuten, obwohl doch die innere wirtschaftliche Kraft der deutschen Baumwollspinnerei wie aller Wirtschaftszweige stark geschwächt und auf der andern Seite die Auslandskonkurrenz stark verschärft ist.
Auch bei diesem Antrag ist es nicht geblieben; vielmehr hat im November 1924 zwischen der Baumwollweberei und der Baumwollspinnerei eine restlose Einigung über die Höhe der Gewebezölle und Garnzölle stattgefunden, die von den Spitzenorganisationen beider Zweige gemeinsam dem Reichswirtschaftsministerium unterbreitet worden ist. Die Behauptung des Artikelschreibers, daß die deutschen Baumwollspinnerverbände dank ihrer angeblichen Machtstellung übertriebene Zollforderungen durchgedrückt haben, kann nicht schlagender entkräftet werden als durch die Tatsache der Einigung mit der Weberei. Diese Einigung ist deshalb zustande gekommen, weil die Baumwollspinnerei sich materiell auf den Standpunkt gestellt hat, daß sie bereit ist, mit ausländischen Baumwollgarnen auf dem deutschen Markt unter gleichen Bedingungen in den Wettbewerb zu treten. Die Baumwollgarnzölle sollen also nur den Zweck haben, die innerdeutsche Vorbelastung auszugleichen. Wir glauben nicht, daß hierin etwas Unberechtigtes liegt, denn es wird wohl kaum verlangt werden können, daß ausländische Baumwollgarne auf dem deutschen Markt gegenüber den gleichen deutschen Erzeugnissen eine Vorzugsstellung genießen, wie es jetzt der Fall ist. So sieht es also in Wirklichkeit mit den hochschutzzöllnerischen und monopolistischen Bestrebungen der deutschen Baumwollspinnerei aus!
Nicht weniger irreführend und tendenziös sind die Behauptungen des Verfassers hinsichtlich der Handhabung derausländischen Garneinfuhr. Auch hier mögen an Stelle
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der von dem Verfasser beliebten Schlagworte nüchterne Zahlen sprechen: Das Jahr 1913 hatte die stärkste Baumwollgarneinfuhr in der Vorkriegszeit. Sie betrug damals etwa 10 Prozent der deutschen Baumwollgarnerzeugung. In den ersten 7 Monaten des Jahres 1924 betrug sie demgegenüber zwischen 16,5 und 40,7 Prozent, während in den gleichen Monaten die Beschäftigung der deutschen Baumwollspinnerei zwischen 71 und 90 Prozent geschwankt hat. So sieht es in Wirklichkeit mit der angeblichen Drosselung der Garneinfuhr aus. Der Erfolg dieser starken Garneinfuhr, die im Mai mit 40,5 Prozent der deutschen Produktion ihre höchste Ziffer erreichte, war, daß die Beschäftigung der deutschen Baumwollspinnerei im Juni nur noch 80,5 und im Juli nur noch 71 Prozent betrug. Es würde zu weit führen, im Einzelnen darzulegen, welche schädlichen Folgen die übertriebene Garneinfuhr nicht nur für die Baumwollgarnhersteller, sondern namentlich auch für die Garnverbraucher hat. Wir sind aber gern bereit, mit dem Verfasser des Artikels die Unterhaltung hierüber öffentlich oder privat fortzusetzen, nur müßte er diesem Zwecke aus seiner Anonymität heraustreten. Schließlich müssen wir den Verfasser des Artikels darauf ausmerksam machen, daß seine zahlenmäßigen Angaben über die Preisbewegung der Rohbaumwolle und der Garne falsch sind. New York notierte am 2. 9. 24 für middling loco nicht 26,65 Cts. per Pfund, sondern 25,65 Cents. Der Rückgang der Rohbaumwolle beträgt also nicht 2,45, sondern nur 1,45 Cts. per Pfund. Ebenso sind auch die vergleichenden Angaben über die Garnpreise am 2. 9. 24 und 2. 1. 25 unzutreffend. Die Preise für 20 Water betrugen in Deutschland am 2. 9. 24 etwa 88 bis 90 Cts. gegenüber etwa 92 bis 94 Cts. am 2. 1. 25. Es ist selbstverständlich, daß bei verstärkter Nachfrage auch die Preise für deutsche Baumwollgarne anziehen, denn auch bei uns herrscht wie überall und wie wohl auch der Verfasser des Artikels für sich in Anspruch nimmt, das Naturgesetz von Angebot und Nachfrage."
In der amerikanischen Oelfrage hatte bisher Präsident Coolidge jede Stellungsnahme vermieden. Da jetzt jedoch die Prozesse gegen die beiden Pächter des Reserve-Oelgebietes beginnen, hat der Präsident sich doch bewogen gefühlt, einen Ausschuß zu bilden, dessen Aufgabe die Erhaltung der Oelvorräte Amerikas sein soll. Der Ausschuß soll nicht nur für die Sicherung des zukünftigen Oelbedarfs der Luft- und Seeschiffahrt sorgen, sondern auch die Oelindustrie in den Bestrebungen, den jetzigen und zukünftigen Oelbedarf in anderen Ländern mit zu decken, kräftig unterstützen. Vor dem Ausschuß werden jetzt die Führer der amerikanischen Erdölindustrie gehört.
Der Weltmarkt hat an diesen Vorgängen insofern ein großes Interesse, als die Oelproduzenten Amerikas eine auffallende Besorgnis um den heimischen Markt zeigen. Es scheint, als ob zur Erhaltung der Oelvorräte der Vereinigten Staaten eine Beschränkung der Oelausbeutung erfolgen soll. Falls wirklich das freie Bohren nach Oel untersagt wird, tritt als unmittelbare Folge ein Steigen der Oelpreise und damit auch der Preise für Petroleum, Heizöl, Dieselöl und Schmieröl auch an den europäischen Märkten ein, da ja Europa zum großen Teil von der amerikanischen Einfuhr abhängig ist. Ferner wird daraus ein Verlegen der Oeltätigkeit nach den Oelfeldern Süd-Amerikas folgen, wo nur darauf gewartet wird, daß ein höherer Oelpreis die hohen Anlagekosten für Oelrohrleitungen, Tankanlagen usw. rechtfertigt. Ein deutliches Anzeichen dafür ist bereits die Flucht des amerikanischen Kapitals gerade nach den Oelfeldern Süd-Amerikas, nicht etwa nach andern privaten Unternehmungen. Präsident Coolidge scheint jedenfalls das billige Oel zu scheuen, weil es zur Verschwendung verleitet. Aber jede Form der Beschränkung der Oelförderung in den Vereinigten Staaten muß unfehlbar die Preise der ganzen Welt, die gegenwärtig immerhin über 70 Prozent des Weltölbedarfes aus den amerikanischen Feldern deckt, stark beeinflussen.
Nachdem die Rauchwaren-Veredelungs-Industrie nach einem durchaus nicht günstig zu nennenden Jahr seit etwa 14 Tagen einen besseren Geschäftsgang zu verzeichnen hatte, droht diesem durch einen in Aussicht stehenden Streit der Zurichter und Färber bereits wieder eine Unterbrechung. Da der kürzlich erhobenen Forderung einer 20prozentigen Lohnsteigerung seitens der Veredelungsindustrie natürlich nicht nähergetreten werden kann, andererseits die Arbeiterschaft unnachgiebig auf ihrem Standpunkt verharrt, wobei politische Gründe mitbestimmend sind, erscheint die Arbeitsniederlegung unvermeidlich.
Das Ausland vermehrt seit kurzer Zeit seine Anstrengungen, Leipzigs Weltgeltung in der Rauchwarenveredelung zu erschüttern Amerika namentlich preist in Persianern (Spezialität Leipzigs) eine höhere Qualität an. Für diese Behauptung vermag es allerdings den Beweis nicht zu führen. In einigen wenigen Arten hat zwar die amerikanische die deutsche Zurichtung schon erreicht, aber im großen und ganzen sind die aus Amerika z. B. nach England und Frankreich exportierten Produkte minderwertig, allerdings billiger. Zweifellos verfügt Amerika über eine vorteilhaftere Herstellungsmöglichkeit, da die amerikanischen Zurichtereien infolge der ständig anfallenden großen Warenmengen dauernd voll beschäftigt sind und ihre Wertanlagen voll ausnützen können, während die auch auf Massenproduktion eingestellten deutschen Betriebe noch stark eingeschränkt arbeiten.
Die milde Witterung hat das Geschäft in der Pelzkonfektion ungünstig beeinflußt, lediglich Pelzbesätze gehen besser. Hinsichtlich des Verlaufs der in dieser Woche stattfindenden Londoner Winterauktionen, die für die Preisgestaltung am Weltrauchwarenmarkt ausschlaggebend sind, herrscht noch Unklarheit, doch ist eine weitere feste Tendenz wahrscheinlich. Wenn erhebliche Steigerungen nicht eintreten, dürfte der deutsche Handel, der in London durch führende Leipziger und Berliner Häuser vertreten ist, größere Käufe tätigen.
Industrie.
Auf dem Stahlmarkt in England hat sich, wie mir aus London berichtet wird, der Ueberseehandel in der letzten Zeit etwas ausgedehnt. Die Käufer zeigen aber noch starke Zurückhaltung im Abschluß weiterer Geschäfte. Große Mengen wurden in letzter Zeit von deutscher Seite angeboten, daneben zu höheren Preisen auch von Belgien, Luxemburg und einigen französischen Firmen. Am Roheisenmarkt scheinen sich gesündere Verhältnisse anzubahnen. Da die Preise zu letzten Notierungen behauptet sind, besteht unter den Erzeugern die Absicht, weitere Oefen anzublasen. Ausländisches Eisen ist auf englischen Märkten nur wenig angeboten worden und zu Preisen, die nicht unter denen der englischen Erzeuger liegen. Auf dem Markt der halbfertigen Produkte war die Nachfrage gering, allerdings war auch kein großes Angebot vorhanden. Etwas besser war die Nachfrage nach Fertig-Stahlprodukten. Die Inlandsnachfrage lebt erst jetzt, nach den Weihnachtstagen und der Inventur wieder auf, und es besteht Nachfrage seitens größerer Gesellschaften, die ihre Lager ergänzen.
Auf dem Baumarkt sind in der letzten Zeit keine wesentlichen Veränderungen zu verzeichnen. Nach wie vor sind die Gemeinden die Hauptauftraggeber. So plant die Stadt Berlin die Erbauung von neuen Rathäusern in verschiedenen Stadtbezirken. Obwohl man nicht weiß, woher die für eine starke Bautätigkeit nötigen Kapitalien kommen sollen, werden immerhin doch Vorbereitungen getroffen, um beim Einsetzen der Bautätigkeit technisch vorbereitet zu sein. So will die Rheinickendorf-Liebenwalde-Groß-Schönebecker Eisenbahn den Ausbau der Bahn über Liebenwalde hinaus bis Zehdenick in diesem Jahre in Angriff nehmen. Die Zehdenicker Ziegeleien versorgen den Baumarkt des nördlichen Berlins.
Zu Besorgnissen gibt die Lage auf dem Holzmarkt Anlaß. Die kleineren und mittleren Sägewerke verfügen nicht über das nötige Kapital, um ihre Betriebe voll zu beschäftigen zu können. Man rechnete vor dem Kriege zur vollen Ausnutzung eines "Gatters" 5.000 Festmeter Holz. Zieht man nun in Betracht, daß die Preise für gesundes stehendes Holz im Augenblick mit 34 bis 36 Mark genannt werden (gekauft wird bei diesen Preisen nicht, denn sie lassen keine Rentabilität), während vor dem Kriege prima Ware mit 16 M. hoch bezahlt war, so ist es klar, daß ein großes Betriebskapital dazu gehört, um Sägewerke, die nur mit drei bis vier Gattern arbeiten, voll zu beschäftigen. Man befürchtet daher bei den Baufirmen, daß bei Einsetzen einer stärkeren Bautätigkeit besonders die Holzpreise stark weiter steigen werden.
Verkehr.
Eine Seilschwebebahn soll von Bad Harzburg über Molkenhaus auf den Brocken gebaut werden.
Von Tschechien wird der Bau einer Riesengebirgsbahn geplant, die von Freiheit über Markendorf nach Groß-Aupa und Petzer führen soll. Die Bahn soll in etwa 3
Jahren fertiggestellt sein.
Pizzardo fügte seinem Schreiben zwei weitere Exemplare der Denkschrift bei. Diese liegen auf 198v-199v und 200v-201v des gleichen Faszikels. Die Exemplare sind jeweils als Anlage einem Schreiben Josef Sonntags beigefügt (Dokument Nr. 18538).
Empfohlene Zitierweise
[Sonntag, Josef], Kapital und Wirtschaft.Tägliche Sonderinformationen., Berlin-Steglitz vom 20. Januar 1925, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 18539, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/18539. Letzter Zugriff am: 24.04.2024.
Online seit 24.06.2016.