Dokument-Nr. 18932

Preußische Regierung: [Kein Betreff], vor dem 22. Dezember 1927

Die Preußische Staatsregierung ist neuerdings durch Meldungen beunruhigt, die sich auf Verhandlungen zwischen dem Apostolischen Stuhl und der Tschechoslowakei beziehen und befürchten lassen, daß bei diesen Verhandlungen selbst oder in ihrer künftigen Auswirkung auf dem Wege über eine Abänderung der preußisch-tschechoslowakischen Diözesangrenzen der Frage der auf tschechoslowakischem Boden belegenen Güter des fürstbischöflichen Stuhles von Breslau in einer sowohl dem kirchlichen wie dem staatlichen Interesse abträglichen Weise präjudiziert werden könnte. Nach den ihr bisher zugegangenen Mitteilungen glaubte die Preußische Staatsregierung annehmen und vertrauen zu können, daß in Übereinstimmung mit dem von preußischer Seite wiederholt vertretenen Standpunkt der Apostolische Stuhl etwaigen tschechoslowakischen Wünschen auf Anpassung von Diözesan- an Landesgrenzen nur junctim mit einer befriedigenden endgültigen Sicherung der in der Tschechoslowakei belegenen preußisch-kirchlichen Güter näherzutreten bereit sei. Obwohl es der Preußischen Staatsregierung nicht unbekannt ist, daß in einer Reihe von Fällen der Apostolische Stuhl sich der angestrebten Angleichung von Diözesan- an Landesgrenzen schwer versagen kann, so glaubt die Preußische Staatsregierung in diesem ganz einzigartigen Fall doch die Aufrechterhaltung des Statusquo erwarten zu müssen. Während in den angedeuteten übrigen Fällen es sich um eine Folgewirkung der nach dem großen Weltkriege neugeschaffenen Ländergrenzen handelt, ist die hier in Betracht kommende Ländergrenze unverändert geblieben und damit bezüglich der
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Diözesanzirkumskription lediglich ein Zustand erhalten, wie er seit Jahrhunderten besteht und trotz mehrfacher Änderungen der politischen Lage unversehrt geblieben ist. Die Preußische Staatsregierung muß den Anspruch erheben, daß an diesem Zustande ohne ihre förmliche Beteiligung in keiner Weise gerührt werden darf und muß sich daher ihre Stellungnahme zu etwaigen Absichten, die in der Richtung der oben erwähnten Meldungen und Gerüchte liegen könnten, lediglich vorbehalten. Sie kann nicht zugeben, daß durch irgend eine noch so wohlgemeinte Abmachung des Apostolischen Stuhles mit einem Dritten der Freiheit der Stellungnahme der Preußischen Staatsregierung vorgegriffen werde.
Sollte in diesen politisch und kirchlich hochbedeutsamen Fragen eine endgültige oder vorbereitende Entscheidung erfolgen, die das Vertrauen der Preußischen Staatsregierung und die berechtigten Erwartungen der an der Ostgrenze ohnehin schon stark beunruhigten deutschen Öffentlichkeit enttäuscht, so würden zweifellos die allerungünstigsten Rückwirkungen auf die im Gange befindlichen Konkordatsverhandlungen Preußens eintreten und die nach der Natur der Dinge ohnedies vorhandenen Schwierigkeiten für die Preußische Staatsregierung voraussichtlich unüberwindlich werden.
Empfohlene Zitierweise
Preußische Regierung, [Kein Betreff] vom vor dem 22. Dezember 1927, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 18932, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/18932. Letzter Zugriff am: 20.04.2024.
Online seit 25.02.2019.