Dokument-Nr. 19403

Das Domfest in Mainz
Rede des Nuntius Pacelli
, in: Germania, Nr. 483, 17. Oktober 1928
Einer1 unermüdlichen, genialen Architektenarbeit ist es gelungen, den Mainzer Dom völlig gesichert wiederherzustellen. Die Neueinweihung des restaurierten Gotteshauses fand Dienstag, den 16. Oktober, statt. Bereits am Tage zuvor waren die an der Feier teilnehmenden Kirchenfürsten in der Bischofsstadt eingetroffen. Der Apostolische Nuntius Pacelli war feierlich vom Bahnhof abgeholt worden und erhielt abends eine besondere Ehrung durch den Fackelzug der katholischen Vereine und durch eine Serenade, während der der Dom in prächtiger Beleuchtung erstrahlte.
Bereits um 7.15 Uhr Dienstagmorgens begann die Altarweihe; um 10 Uhr war feierliches Pontifikalamt. Nachmittags 4.30 Uhr fand im Akademiesaal des Kurfürstlichen Schlosses eine akademische Feier mit Gesangvorträgen und Festrede statt. Die allgemeine Festfeier vollzog sich in der Stadthalle, um 6 Uhr beginnend. In der Reihe der Ansprachen hielt Nuntius Pacelli folgende mit großem Beifall aufgenommene Rede:
Bischöfliche Gnaden! Exzellenzen! Hochansehnliche Festversammlung! Lassen Sie mich Ihnen zuerst tiefgefühlten Dank aussprechen für die freundliche und ehrenvolle Begrüßung, die Sie mir als dem Vertreter Seiner Heiligkeit in Ihrer Mitte geboten haben.
Ich sage auch Ihnen allen meinen Gruß: Ihrem allverehrten Oberhirten, dem treubesorgten, unermüdlich tätigen Vater der ihm anvertrauten Gläubigen, den zum Feste erschienenen hochwürdigsten Bischöfen und Aebten, dem hochwürdigen Domkapitel, den verehrten Herren Vertretern der Stadt Mainz, der Landes- und Reichsregierung, allen werten Anwesenden, dem gesamten Klerus und Volk der Diözese Mainz und des Landes Hessen.
Mit meinem Gruß verbinde ich die herzlichsten Glückwünsche zur Vollendung des großen Werkes, dem die heutige Feier gilt. Ich kann nicht umhin, Euer Bischöflichen Gnaden und allen denen rückhaltlose Anerkennung, ja Bewunderung zu zollen, die den Mut und die Tatkraft besaßen, das Werk in Jahren schwerster Not zu beginnen und das Begonnene zu vollenden, wie auch allen, die aus feinem Empfinden für religiöse und künstlerische Werte heraus dem Unternehmen ihre moralische und materielle Unterstützung zuteil werden ließen.
Selten hatte ich in deutschen Landen so wie hier das Gefühl, auf einem Boden zu stehen, der durch eine große Vergangenheit geheiligt ist. Seit den Zeiten des Imperiums war Mainz, das die Sänger des Mittelalters ob seiner schimmernden Pracht das "goldene" nannten, ein Brennpunkt abendländischen Kulturlebens. Es darf sich rühmen, die Säkulargestalt eines Bonifatius, des Organisators und Metropoliten der Kirche im Frankenreich, unter seinen Oberhirten zu zählen. Dessen kraftvolle Nachfolger auf dem Mainzer Erzstuhle, die Herren und Hüter des Martindoms, lenkten später als Er<z>kanzler 2 "per Germaniam" weit über ein halbes Jahrtausend des Reiches Geschicke. Nicht zufrieden, in ihren wehrhaften Mauern reges geistiges Leben, ein aufstrebendes, wohlhabendes Bürgertum zu bergen, in ihrem Gebiete glänzende Hoftage und politisch und rechtlich bedeutsame Reichsversammlungen zu sehen, in ihrer ganzen Geschichte die wechselvolle Geschichte des Reiches widerzuspiegeln, hat die mächtige Bischofsstadt durch die weltbewegende Tat der Erfindung des Buchdrucks ihren Namen in das weite Erdenrund hinausgetragen. Als ich heute durch den hohen Dom schritt, da sprach aus ihm, aus seiner vielgestaltigen und doch harmonisch wirkenden Architektur, aus den köstlichen Kunstschöpfungen, die die Jahrhunderte in ihm angehäuft haben, die Vergangenheit der Stadt und des Reiches in tausend Stimmen zu meinem Herzen. Und ich empfand die ganze Größe des Verlustes, der mit dem Untergang eines solchen Meisterwerkes Deutschland und die Kulturwelt in berechtigte Trauer versetzt haben würde. Ihrem Wagemut und der Hochherzigkeit der Gönner danken wir es, daß wir heute nicht an einem Grabe stehen, sondern freudig Auferstehung feiern.
Ihr Dom,3 dieses mit seinen Türmen gewaltig zum Himmel weisende Gotteshaus, ist mir aber noch mehr ein Sinnbild Ihres katholischen Glaubens. Die Mainzer Kathedrale war von ihren ersten Anfängen, von den Zeiten des Bischofs Willigis an, ungewöhnlich oft den harten Schlägen vielfachen Mißgeschickes ausgesetzt. Sie hat sie nicht nur überstanden, sondern ist aus ihnen, aus jedem Jahrhundert, stärker und reicher hervorgegangen. Jede Zeit hat im Dom ihr Glauben und Hoffen in der ihr eigenen Kunstform zum Ausdruck gebracht und diesen Ausdruck ihrer religiösen Haltung dem Ganzen dienend eingefügt. Ich sehe darin ein Bild der Treue Ihrer Stadt, die ihren katholischen Glauben durch alle Stürme hindurchgerettet hat, ein Bild des religiösen Schaffens, der katholischen Tat, mit der Generation für Generation kostbarste katholische Lebenswerte hervorgebracht und den kommenden Geschlechtern hinterlassen hat.
Das 19. Jahrhundert ist es, in dem der katholische Tatgeist in Mainz dieg 4 <g>rößten5 Ausmaße annahm und über die Grenzen der Diözese hinaus ganz Deutschland erfaßte. Es genügt, an Werke zu erinnern, wie den "Katholik", das "Mainzer Journal", den "Katholischen Verein", der von hier seinen Ausgang fand an Namen wie Moufang, Heinrich und Bischof Haffner. Vor allem aber an eine Persönlichkeit, die an Fruchtbarkeit, an Weite und Tiefe ihres Lebenswerkes nur wenige ihresgleichen kennt in der katholischen Vergangenheit Ihrer Heimat, den Bischof, an dessen Gruft im Dome wir ehrfurchtsvoll das Haupt neigen, Wilhelm Emanuel von Ketteler. In dreifacher Beziehung möchte ich ihn Ihnen als den Führer der katholischen Generation von heute schildern.
Zunächst in seinem demütigen Gehorsam gegenüber dem Stellvertreter Christi. Von dem Augenblicke an, wo er, der vorher anderer Auffassung war, in dem Spruche des Papstes und der Kirche die Stimme Christi erkannte, ward er zum entschiedenen Vorkämpfer und Verteidiger der Unfehlbarkeit. Er, der westfälische Edelmann, der starke Charakter mit seiner zum Herrschen und Führen geborenen Natur, gab damit ein eingreifendes Beispiel kindlichen Gehorsams und vorbehaltloser Hingabe an den hl. Stuhl. Das war Geist vom Geiste des hl. Bonifatius! Möge unsere Zeit die ernste Lehre erfassen, die in dieser mutigen, echt katholischen Haltung Kettelers liegt.
Lassen Sie den Mainzer Bischof Ihnen ferner Führer sein auf dem Wege zur sozialen Ordnung und zum sozialen Frieden. Die sozialen Erkenntnisse mögen inzwischen klarer, reicher und reifer geworden sein. In einem bleibt der große Bischof, dessen apostolisches Hez [sic] wie kaum ein anderes blutete unter der Not der arbeitenden Massen, Wegweiser und Meister: in seinem Willen zur sozialen Tat.
Bischof Ketteler sei Ihnen endlich Vorbild in seiner den tiefsten Tiefen einer gottverbundenen Seele entstammenden übernatürlichen Gesinnung. Sein Wort und sein Handeln griff mehr als einmal über in die Welt der Politik. Aber dieser Teil seiner Tätigkeit war für ihn nur Mittel, nie Ziel. Sein kirchenpolitisches Arbeiten war Ringen um hohe und höchste Güter. Auch sein sozialpolitisches Wirken und Kämpfen stand bewußt und ganz auf religiöser und sittlicher Ebene. Das gab seinem Schaffen die imponierende Einheit und Gradlinigkeit, die immer die Weggenossen wahrer Größe sind. Damit erklärt sich die weittragende Wirkung dieses seltenen Lebens. Darin liegt Fingerzeig und Mahnung für Sie: Alles Schaffen für die Linderung der Nöte Ihres Volkes wird nur soweit gesegnet und fruchtbar sein, als es die äußeren Hilfsmaßnahmen mit einem Geiste echter Brüderlichkeit verbindet, der in übernatürlichem Glauben wurzelt und aus dem Glauben lebt.
Das Kleinod Ihrer Stadt, das Erbe einer glaubensstarken Vergangenheit ist durch Ihre Tatkraft und Ihren Opfersinn vor dem Schicksal bewahrt worden, dem kommenden Geschlechte als Ruine überantwortet zu werden. Sie haben es, um mit Ihrem großen Dichter zu sprechen, in Wahrheit "erworben, um es zu besitzen". In neuer Majestät und Schönheit steht es heute da, allen zur Freude und denen zur Ehre, denen dieses Werk der Erneuerung seine Durchführung verdankt. Sorgen Sie dafür, daß auch der geistige Gottestempel lebendigen und tatfrohen katholischen Glaubens, das heilige Erbe der Väter und Führer der Mainzer Kirche, in neuer Schönheit und Jugend, den Stürmen und Wettern der Zeiten trotzend, erstrahle - zum Wohle Ihrer Stadt, zum Heile Ihrer Diözese und Ihres ganzen Volkes.
Gegen 10 Uhr war die Feier in der Sadthalle [sic] zu Ende. Die Dombeleuchtung und ein Front- und Höhenfeuerwerk am Rhein bildeten den Ausgang des Festtages. Am Mittwoch um 9 Uhr findet ein feierliches Pontifikal-Requiem für die im Dom ruhenden Erzbischöfe, Bischöfe, Priester und Laien statt.
Die Festfeier der Domweihe wird noch lange in der Erinnerung der Teilnehmer fortleben, der Martindom selbst aber wird sein Amt, Hüter des "goldenen" Mainz zu sein, auf seinen gefestigten Fundamenten fortsetzen zum Segen der Stadt und ihres Glaubens.
Aus Anlaß der Domweihe hat der Papst den Bischof Ludwig Maria zum päpstlichen Thronassistenten und den Domdekan Prälat May zum Apostolischen Protonotar ernannt.6
129r, unterhalb des Titels hds. vermutlich vom Empfänger in blauer Farbe notiert: "842".
1Links des Titels hds. vermutlich vom Empfänger in blauer Farbe mit einem Schrägstrich markiert.
2Hds. von unbekannter Hand eingefügt.
3Links des Textkörpers hds. vermutlich vom Empfänger in blauer Farbe mit einem Schrägstrich markiert.
4Hds. von unbekannter Hand gestrichen.
5Hds. von unbekannter Hand eingefügt.
6Rechts des Textkörpers hds. vermutlich vom Empfänger in blauer Farbe mit einem Schrägstrich markiert.
Empfohlene Zitierweise
Anlage vom 17. Oktober 1928, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 19403, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/19403. Letzter Zugriff am: 19.04.2024.
Online seit 20.01.2020.