Dokument-Nr. 19406

Langenstein, Edmund: Der Festkommers des K. V.
Ansprache des Nuntius
, in: Germania, Nr. 250, 31. Mai 1928
Das Jubelfest der katholischen Studentenvereine Askania Burgundia erreichte gestern abend auf dem Festkommers seinen wohl kaum zu überbietenden Höhepunkt. Der Kaisersaal des "Rheingold" war im Bankett und auf den Galerien bis auf den letzten Platz besetzt. Unter den Klängen eines schneidigen Marsches nahmen gegen 9 Uhr die über 100 Chargierten ihren Einzug. Die Chargierten in ihrer Aufstellung auf erhöhtem Podium beherrschten das Saalbild, das duch die von Damen reich besetzten Galerien eine prächtige Flankierung erhielt. Die Leitung des Kommerses lag in den Händen des Ordners der Askania, cand. iur. W. Mertens, der bewußt und gewandt die überaus große und freudig bewegte Festkorona immer wieder als Ganzes unter sein Kommando zwang. Nach dem ersten Liede, das mächtig und begeistert durch den weiten Saal scholl, wurde ein Festgruß vorgetragen, den der Aachener Dichter W. Hermanns eigens zum Jubelfeste geschaffen hatte. Herzlichen und dankbaren Willkommensgruß richtete der Leiter an die große Anzahl von führenden Männern, deren Erscheinen den festlichen Charakter des Kommerses in so eminenter und ehrender Weise steigerte. Begeisterter Jubel, hauptsächlich junger K. V., unterstützte die Begrüßungsworte des Ordners an die hohen Gäste, der besonders spontan und stark hervortrat beim Empfang Se. Exz., des Hochwürdigsten Herrn Nuntius Pacelli, der schon so oft Gelegenheit nahm, seine herzliche Teilnahme an den Schicksalen der akademischen katholischen Jugend Deutschlands zu bekunden, und des Herrn Reichskanzlers Dr. W. Marx (Arm., E. d. Ask), der immer kartellfreudig und –freundlich als vorbildlicher Repräsentant echten K. V.-Geistes bei Jung und Alt im Kartell sich größter Beliebtheit erfreut. Neben diesen beiden ganannten Herren waren des ferneren erschienen Justizminister Schmidt (E. d. Gm.), Landwirtschaftsminister Steiger (E. d. Göth.), Reichsjustizminister a. D. Emminger (Ask.), Landeshauptmann Dr. Horion (Ask.), die Staatssekretäre Pünder (E. d. Ask.), Lammers (Ask.) und Hölscher (Thur.), Dr. C. Sonnenschein (E. d. Ask.), Universitätsprofessor G. Briefs (E. d. Ask.), Chefredakteur Dr. Buhla (E. d. Ask.), Geheimrat Carl Bachem, Köln (Ask.), die Präsidenten Dr. P. Kaufmann (Ask.) und Dr. Bumm (E. d. Burg.), Generaldirektor Callenberg (Burg.), Professor Scholz (Ask.), Geheimrat Pankau (Ask., E. d. Güestphalia). Gleich zu Anfang nahm
Se. Exz., der Hochw. Herr Nuntius Pacelli, der die Ehrenmitgliedschaft der Askania anzunehmen die Güte hatte, in fließender deutscher Sprache das Wort:
Zunächst ist es mir eine besondere Ehre und Freude, Ihnen die Antwort zu überbringen, die Seine Heiligkeit Papst Pius XI. Ihrem Verbande auf dessen Huldigungsadresse zu geben geruht hat. Sie lautet in deutscher Uebersetzung:
"Der Heilige Vater hat die Huldigung des Verbandes der katholischen Studentenvereine anläßlich seines fünfundsiebenzigjährigen Bestehens dankend entgegengenommen, und indem er ihm seine väterlichen Wünsche für eine glückliche Zukunft und ein weiteres fruchtreiches Wirken zum Besten der Kirche und des Volkes ausdrückt, erteilt er von ganzem Herzen dem Verband, allen seinen Mitgliedern und deren Familien den apostolischen Segen. Kardinal Gasparri."
Sie haben mich soeben als Ehrenmitglied in Ihre Familie freundlichst aufgenommen. Nehmen Sie dafür meinen verbindlichsten und herzlichsten Dank entgegen! Am heutigen Jubiläumstage geleitet Sie Ihr Verband durch die eigene Ahnenreihe, durch die stattliche Zahl aller derer, die Sie mit Stolz und Ehrfurcht nennen, und um die sich, wie überhaupt um die führenden Männer in den katholischen Studentenverbänden, ein gutes Stück der Geschichte des katholischen Lebens im Deutschland der letzten hundert Jahre webt. Wenn ich diese Ahnenbilder an meinem Blicke vorüberziehen lasse, so sind es zwei Charakterzüge, die, bei allem Reichtum der persönlichen Eigenart, diese Männer doch als Söhne derselben Familie, als beseelt von derselben Lebensidee, erweisen: Ihre Männer waren Männer des Volkes. Sie haben gebetet, gearbeitet, gekämpft für ihr Volk und mit dem vollen Bewußtsein ihrer Verantwortung für das Volk. Sie kennen das Wort der alten Zeit: Adel verpflichtet. Ergänzen Sie es durch das andere Wort, das immer gegolten hat und heute eine Ihrer heiligsten Pflichten ausspricht, das Wort: Bildung verpflichtet. Ihre höhere Bildung verplichtet Sie dem ganzen Volke, dem einfachen Volke gegenüber, heute mehr denn je!
Ihre Väter stehen sodann vor Ihnen als Männer, die mit ihrem ganzen Wesen in der katholischen Weltanschauung verwurzelt waren. Die neue Zeit, die Zeit der Offenbarung der materiellen Kräfte, aber auch die Zeit der Umwertung aller ideellen Werte, braust wie ein Orkan über die Völker dahin und droht sie gleichsam dem Boden zu entreißen, aus dem sie herausgewachsen sind. Ich sehe in den vielen Gedenkfeiern unserer Tage, in dieser ständigen Rückschau die Angst des Menschen von heute vor dieser Entwurzelung, sein instinktives Bestreben, das wirklich Wahre und Wertvolle der Vergangenheit in die neue Zeit hinüberzuretten. Wir Katholiken haben der Zukunft die besten Werte der Vergangenheit, die absoluten, in Gott verankerten, darum der Menschheit jeder Zeit unentbehrlichen, Leben, Glück und Frieden der Völker in ihrem Schoße tragenden Werte zu übermitteln. Aus dieser Ueberzeugung heraus haben sich Ihre Väter so mannhaft für ihren Glauben, für die hl. Kirche, für die Durchdringung des ganzen, auch des sozialen und politischen Lebens mit deren Anschauungen und Grundsätzen eingesetzt. Das ist die Aufgabe, die sie Ihnen hinterlassen haben. Erfassen Sie diese Aufgabe in kindlicher Liebe und gläubigem Vertrauen gegenüber dem Stellvertreter Christi auf Erden, mit der vollen Kraft Ihrer Ueberzeugung und mit der ganzen Glut Ihres Herzens. Sie sind als die am meisten Mitverantwortlichen für Kirche und Volk hineingestellt in Jahre der Entscheidung, wie sie der tausendjährige Lauf der Geschichte nur selten gesehen hat. Aus Ihnen allen katholische Männer zu schaffen, die durch Sein und Tat, durch Wort und Beispiel für die Erhaltung der höchsten Volksgüter, der katholischen Lebenswerte eintreten, das ist das Wesensziel, das sich Ihr Verband gestellt hat, das Wesensziel, das sich alle katholischen Studentenverbände und Bünde der studierenden Jugend stellen müssen. Gott segne Ihren Verband, damit er sein Lebensideal einmal an Ihnen vollkommen verwirklicht sehen möge.
Nach der Rede erfolgte die feierliche Publikation der in Berlin nunmehr 5. Kartellkorporation, des K. St. V. Rheinpreußen. Die Festrede hielt Herr Staatssekretär Dr. Aloys Lammers (Ask.), der sie auch auf dem 50. Jubelfest als junger Kammergerichtsreferendar gehalten hat. In tiefen Erwägungen und meisterhafter Sprache richtete der Redner an alle, besonders an die Jugend, ungefähr folgenden Appell:
Die Schöpfer unserer Gemeinschaft schrieben über die Pforte des Hauses, das sie hier auf märkischer Erde zu bauen begannen, drei Worte: Religion, Wissenschaft, Freundschaft; zuerst aber schrieben sie das eherne Wort "Religion". Daß sie so schrieben und nicht anders schrieben war schöpferische Idee. Damit gaben sie den geistigen Schatzkammern dieses Hauses ein Juwel unvergänglichen Wertes zu getreuer Hut. Haben wir dieses Vermächtnis mit reinen Händen durch die Jahrzehnte getragen, forte in fide, contra torrentem? Solche Einkehr müßte ein jeder halten, wenn das Fest einen Sinn haben sollte. Mit Freude und Dankbarkeit dürfen wir es bekennen: Mehr und mehr haben wir der Kirche und dem Staat Männer gestellt, die im Dienst für das große Ganze ihre Kräfte verzehrten. Dankerfüllt blicken wir auf die Vergangenheit, aber die Weltgeschichte enthält Geheimnisvollres und Größeres als menschliches Ahnen und Planen zu fassen vermag. Zeiten wandeln sich, in den Bezirken von Geist und Leben überstürzen sich die Ereignisse, so sind auch wir aufgebrochen zum Marsch der Geister in ein neues Zukunftsland. Wer noch aus dem gärenden geistigen Chaos die Sehnsucht nach der schöpferischen Einsamkeit in sich trägt, dem wird die Erkenntnis, daß Aufbau und Läuterung nicht auf kritische Verneinung das Handelns der Anderen, sondern auf seine ureigenste Aktivität und Selbstaufopferung, auf das Stirb und Werde seines Ichs gegründet werden kann, das mit tiefer Verpflichtung zur Verantwortung in eine Gemeinschaft eingefügt ist. Wie der Stein, der in das Wasser geworfen, Kreis nach Kreis um sich zieht, deren letzter und feinster unserem Auge entschwindet, der aber doch da ist, so zieht auch jede Tat, sei sie gut oder verwerflich, ihre Kreise durch das Leben derer, die mit und die nach uns leben, wenn wir auch selbst nicht die nächste, geschweige denn die letzte und feinste Wirkung zu sehen vermögen. Dieser Gemeinschaftsgedanke der organischen Verknüpfung aller Einzelseelen zu einer großen sie umfassenden Gemeinschaft wird geadelt, mit blutvollem Leben durchtränkt und über die Grenzen von Raum und Zeit gedehnt durch die communio sanctorum der katholischen Kirche, dieses ewige Geben und Nehmen geheimnisvollen Lebens, dieses Verbundensein der Jahrtausende, diesen ewigen Brückenschlag vom Diesseits zum Jenseits, dieses Verwobensein in alles Leiden, Streiten und Triumphieren vom Aufgang bis zum Niedergang. So ist der katholische Mensch niemals einsam in der Einsamkeit, ihn erfüllt immer und überall das Miteinandersein und Füreinandersein, das Miteinanderleiden und Miteinanderhoffen. Dieser Geist des Opferns muß vor allem unsere Jugend beseelen. Deutsche katholische akademische Jugend, auch dich ruft dein deutsches Volk aus wunder Seele, es will wieder ein warmes Leuchten goldener Sterne sehen, zeige du sie ihm. Greife du hinein in die Truhen göttlicher Lebensweisheit und hebe aus ihnen heraus die leuchtenden Diademe und Kleinodien der Reinheit, der Selbstverleugnung, der unbeirrbaren Gerechtigkeit und des Brudersinns; in den tiefen deiner Seele wird wahrhaft die Kultur deines Staates und Volkes geboren. Wenn unsere Hände nicht mehr bauen können am majestätischen Gottesdom der Zukunft, dann wollen wir die Werkzeuge aus müden Händen in die frische Tatkraft Ihrer Hände legen. Ich glaube an diese Jugend, ich glaube an den Adel ihrer Seele, und darum vertraue ich auf ihren Willen zu reiner und großer Tat. Jeder müsse später vor seinem Gewissen sagen können: Wir haben unserem deutschen Volke, als es die Leidenskrone trug, unser Herzblut gegeben: die schöpferische, opferfrohe Liebe.
Nach der Festrede, die sichtlichen erhebenden Eindruck hinterließ, reihten sich Reden und Lieder in flotter Folge aneinander. Herzlich gehaltene Telegramme lösten Jubel und Begeisterung aus. Unter den vielen wird das Telegramm des Reichspräsidenten, in dem er den "in Berlin versammelten alten und jungen Studenten" der festgebenden Vereine dankt für das Treuegelöbnis und die Grüße, die er "mit den besten Glückwünschen herzlichst" erwidert, besonders stürmisch empfangen. Unter endlosem Applaus richtet der Herr Reichskanzler Dr. W. Marx an die Festcorona kernige, aus reicher Erfahrung geschöpfte Worte. Auch die drei "Randbemerkungen" des mit der katholischen Studentenschaft so unzertrennlich verbundenen Dr. C. Sonnenschein (E. d. Ask.) fanden freudigste Resonanz. Auch der hochw. Herr Abt Zeller-Trier nahm neben den studentischen Vertretern des Vorortes Westerverbandes, der C. V. und der U. V., das Wort zur Begrüßung und Glückwunsch. Das imposante, freudig bewegte Saalbild, die von hoher Warte gehaltenen Reden, der wuchtige klingende Schlag der Kommandos, die den weiten Raum durchbrausenden Lieder schufen aus dem Abend einen Kommers von seltenem Formate und von seltener seelischer wirkung.
Heute morgen trafen sich die Festteilnehmer zu dem feierlichen Requiem in der Clemenskirche, das von Alten Herren des Verbandes gehalten wurde. Im Anschluß daran legten die Chargierten der festgebenden Vereine Kränze nieder an den Gefallenen-Denkmälern der Hochschulen, an den Gräbern der Gründer Friedrich von Kehler und Eduard Müller.
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Empfohlene Zitierweise
Langenstein, Edmund, Der Festkommers des K.V.Ansprache des Nuntiusin: Germania, Nr.250 vom 31. Mai 1928, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 19406, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/19406. Letzter Zugriff am: 28.03.2024.
Online seit 20.01.2020.