Dokument-Nr. 20559

Katholische Aktion und politisches Leben.
Aeußerungen des "Osservatore"
, in: Germania, Nr. 553, 28. November 1928
Allegato al Rapporto N. 40444
Am 17. November brachte der "Osservatore Romano" an leitender Stelle längere Ausführungen unte dem Titel: "Die Katholische Aktion und das soziale und politische Leben." Sind diese auch veranlaßt durch Verhältnisse und Vorfälle, die zunächst nur Italien berühren, so kommt ihnen dennoch auch eine prinzipielle Bedeutung zu, abgesehen davon, daß sie auch das Verhältnis des Heiligen Stuhles zur gegenwärtigen Regierung Italiens beleuchten. Der "Osservatore" schreibt:
"Des öfteren und gerade in der letzten Zeit haben wir uns mit [Stell]ungnahmen und Maßregeln bezüglich gewisser Personen, [Ver]einigungen und Veranstaltungen der Katholischen Aktion [besc]häftigen müssen, die alles andere dartun als Verständ[nis fü]r ihr Wesen, ihre Bestimmung und die Bande, die sie un[mittel]bar mit dem Hirtenamt der Kirche, deren Ausfluß sie ist []nden."
[Der] "Osservatore" erinnert an die behördlichen Schikanen gegen die katholischen Wochenblätter in der Provinz Cuneo und die angeordnete Unterdrückung von zwei unter den vier religiösen Wochenblättern der Diözese Novara. In Coreggio wurde eine Lehrerin strafversetzt weil sie dem Pfarrer in der katholischen Vereinstätigkeit an die Hand geht; und etwas ähnliches wird von anderswo betreffs eines Lehrers gemeldet. "Das kann nicht wunder nehmen wenn man bedenkt, wie vielerorts Beamte und Angestellte öffentlich-rechtlicher Einrichtungen nur deshalb beargwöhnt werden, weil sie der Katholischen Aktion angehören." In gewisssen Landesteilen zwingt man die katholischen Jünglingsvereinigungen zum Anschluß an den Nationalverband "Feierschicht", während häufig Versammlungen der Katholischen Aktion behindert, verboten oder nachträglich mit Strafen bedacht werden.
"Man kann nicht sagen, daß es sich dabei um irrtümliche Auslegungen und Anordnungen handle, die durch lokale Verhältnisse und Strömungen beeinflußt sind; ist doch selbst hier in Rom am 7. Oktober im Auftrag der Regierung ein Carabinierileutnant am Sitz der Zentralleitung erschienen, um die Statuten der Katholischen Aktion und Mitteilungen über die leitenden Persönlchkeiten und die Zahlenverhältnisse der verschiedenen (ihr angeschlossenen) Vereine zu verlangen, was er damit begründete, daß die Katholische Aktion zu den Vereinigungen gezählt wird, die nach dem Wahlgesetz das Recht haben werden, für die kommenden Wahlen Kandidaten vorzuschlagen. Als man ihm entgegnete, das sei nicht erreichbar mit der Eigenart, der Tätigkeit und den Zielen unserer Vereine und den ausdrücklichen Bestimmungen der höheren kirchlichen Behörde, bestand der Offizier dennoch auf seinem Verlangen, und am 12. erschien ein Marschall der Carabinieri, um im Auftrag des Innenministeriums die verlangten Unterlagen abzuholen."1
Die Katholische Aktion und die tatsächlichen Vereine.
Da schrieb der Präsident des Zentralrats an den Innenminister, indem er darlegte, daß die K. A. keineswegs unter den Vereinigungen einbegriffen sein könne, die im Art. 51 des das Wahlgesetz bestätigenden Königlichen Dekrets gemeint sind.
Die katholischen Organisationen - so erläuterte der Brief -, aus denen sich die italienische Katholische Aktion zusammensetzt, sind ihrem Wesen nach religiös. Wenn sie auch kulturelle, erzieherische, Wohlfahrts- und Propagandazwecke verfolgt, wie es im angezogenen Artikel heißt, so sind das nur Mittel, und sie werden erstrebt und aufgefaßt in jener innigen und unmittelbaren Abhängigkeit von der kirchlichen Autorität, die die Aufgabe der K. A., als einer Teilnahme am hierarchischen Apostolate der Kirche, in allen Ländern über und Außerhalb der politischen Betätigung stellt. Folglich – so schloß der Generalpräsident – ist der Generalrat der Ansicht, daß der besagte Artikel 51 sich nicht auf unsere Organisationen bezieht. Dennoch sind dieselben auf die Förderung des allgemeinen Wohles der Nation bedacht, indem sie ihre Mitglieder zur Betätigung und Verteidigung jener Grundsätze der Religion und der christlichen Sitte anleiten, die für die Individuen und die Gesamtheit auf allen Gebieten des privaten und öffentlichen Lebens die wirksamste Kraft der Veredelung und Hebung bildet.
Es ist klar, daß dieses Schreiben Erklärungen und Weisungen wiederspiegelt, ja wiederholt, die so und so oft bei tausend Anlässen auch feierlicher Art vom Hl. Vater selbst ausgesprochen und getroffen worden sind, in Uebereinstimmung mit der beständigen Auffassung seiner Vorgänger, wie sie bei gegebenen Anlässen während der mehr als sechzig Jahre des Bestehens der K. A. immer wieder zum Ausdruck gekommen ist. Ja, man könnte das Schreiben sogar für überflüssig halten, wenn man bedenkt, daß es auf drei grundlegenden Gedanken beruht, die Pius XI. klar herausgestellt hat, um uns nur auf ihn zu berufen, der es verstanden hat, das Wesen der K. A., ihre Aufgaben und übernatürlichen Ziele so sorgfältig zu umgrenzen und faßlich darzustellen.
Das Wesen der Katholischen Aktion.
Vor allem hat der Papst bereits in der Enzyklika "Ubi arcano Dei", in der er sich zum ersten Male an die Welt wandte, erklärt: "Die Katholische Aktion ist unleugbar ein Bestandteil des Hirtenamtes und des christlichen Lebens". Und in seiner Ansprache vom 13. März 1926 hat der Heilige Vater die verschiedenen Anwendungen dieses Grundsatzes in die Worte gefaßt: "Die Katholische Aktion ist die Anteilnahme der Laien an jenem apostolischen Wirken, das die Fortsetzung des Wirkens Christi zum Heile der Seelen ist." Aus der Geschichte der Kirche, angefangen von den apostolischen Zeiten, erbrachte er den Beweis, daß ihr dieser Charakter zukomme. "Seit den Zeiten der Apostel treten die Mitarbeiter der Apostel auf, und die Apostel selbst erwähnen diese Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen mit Auszeichnung in ihren Schriften." Daraus folgt: "Die Katholische Aktion, aufgefaßt als die Mitwirkung der Laien am wahren und eigentlichen Apostolate der Kirche, ist nicht eine Neuerung unserer Zeit, wie manche sich einbilden, während andere diese Neuerung nicht annehmen wollen und nicht recht leiden können. In Rom selbst ist die erste Ausbreitung des Christentums auf diese Weise, nämlich durch die Katholische Aktion vor sich gegangen." (Vgl. die Ansprachen vom August 1926 und März 1927.)
Es genügen diese drei sichtvollen Aeußerungen desjenigen, der als Oberhaupt der Kirche Haupt und oberster Gesetzgeber der Katholischen Aktion ist, um zu begreifen, daß sie nicht anders aufgefaßt und ins Werk gesetzt werden darf, daß sie weder von ihren Mitgliedern, die ihre Mitgliedschaft als einen apostolischen Beruf auffassen, noch von Außenstehenden, denen dieses ihr wahres Wesen in allen Beziehungen zum öffentlichen Leben, also auch zu den Einrichtungen und Gesetzen des Staates nicht verborgen bleiben kann, mit keiner anderen sozialen und bürgerlichen Betätigung verwechselt werden darf.
Verwechslungen.
Wenn wir nun mit dem Lichte des bescheidensten gesunden Menschenverstandes die obenerwähnten Vorfälle betrachten, so erscheint klar der Irrtum und das Mißverständnis, auf denen sie beruhen. Entweder verwechselt man unter dem Gesichtspunkte der Steuer- oder Sozialgesetze unsere Vereine mit denen, die von einer Partei oder von Privaten im Verfolg materieller Interessen gegründet werden, oder man wertet unsere Presse und maßregelt sie nicht als Organ des Hirtenamtes, sondern als eine von den örtlichen Behörden abhängige Tätigkeit, die also nach den Gesichtspunkten des politischen Gleichgewichts in den einzelnen Provinzen zu behandeln ist. Oder endlich – und das ist das Schlimmste – man verdächtigt und maßregelt und behandelt Personen oder Vereine, als handle sich es darum, Parteibestrebungen zu verfolgen, die eine Gefahr für die öffentliche Ordnung oder das Regime bilden, und nicht um ausgesucht religiöse und pfarrliche Angelegenheiten.
"Sicher aber konnte man diesen Mangel an Verständnis nicht besser dokumentieren als mit jenen Ansuchen an die A. K., sie solle sich zu jenen Verbänden gehörig betrachten, die das Wahlrecht auszuüben verpflichtet sind. Und das zur selben Zeit, wo sich die Verdächtigungen und Anfeindungen gegen dieselbe verschärfen, weil man befürchtet, sie könne unter einer religiösen Hülle politische Bestrebungen verbergen. Erst vor einigen Tagen erhoben sich aufgeregte Proteste gegen den Redakteur eines [sic] unserer Zeitungen, der auf die Möglichkeit hingewiesen hatte, es könnten die katholischen Organisationen als tatsächliche Verbände im Sinne des Wahlgesetzes betrachtet werden. Man sah darin nichts Geringeres als eine unbedachte Offenbarung von politischen Bestrebungen und politischem Ehrgeiz. In den Spalten dieses Blattes wandten wir uns dagegen und bezeichneten die Ausführungen als unangebracht und übrigens als rein persönliche Arbeit des Verfassers.
"Man hätte damals nicht ahnen können, daß nach einigen Tagen schon höhere Verfügungen den Beweis dafür erbringen sollten, daß - trotz der entstandenen Aufregung und unserer beruhigenden Erklärungen - jene These einer amtlichen Auffassung des Gesetzes entsprach, obwohl sie keineswegs der Natur und den Zielen der K. A. gemäß den päpstlichen Weisungen Rechnung trug."
Die katholischen Staatsbürger.
"Diese päpstlichen Weisungen erhalten also eine neue und authentische Erklärung in dem erwähnten Schreiben des Generalpräsidenten des Zentralrats gerade auch in jenem Teile, in dem ausdrücklich hervorgehoben wird, daß die katholischen Organisationen, wenn sie auch nicht aus sich politische und Wahlhandlungen vornehmen können, dennoch indirekt, aber doch erfolgreich dazu beitragen, daß die politische Betätigung sich orientiere an jenen hohen und heilsamen "Grundsätzen", die in gleicher Weise das religiöse wie das bürgerliche Leben beherrschen."
"In seiner ersten Enzyklika schrieb denn auch der Heilige Vater: "Die K. A. hat den Zweck, immer mehr vollkommene Christen heranzubilden, und so auch immer vollkommenere Bürger, eine so ausnehmend christliche Gewissenhaftigkeit heranzuziehen, daß sie in jedem Augenblicke und in jeder Lage des öffentlichen und privaten Lebens die christliche Lösung der mannigfachen Fragen, die auf diesen beiden Lebensgebieten sich erheben können, finden ober sie wenigstens begreifen und anwenden."
Die Mitgliederdieser K. A. die ausschließlich die religiöse und sittliche Bildung und Verteidigung zum Zwecke hat, werden als christlich erzogene Staatsbürger alle ihre Pflichten erfüllen, einschließlich der Stimmabgabe bei den Wahlen gemäß den Bestimmungen des Schreibens "Il fermo proposito" (Pius X., 1905). Sie werden sie abgeben mit katholischer Gewissenhaftigkeit.
Die Wahlbeteiligung seitens einer ansehnlichen Wählermasse, die statt einer Partei einem Prinzipe huldigen und einer moralischen Disziplin statt einer politischen Richtung Treue halten, kann daher bei den Vertretern der staatlichen Macht keinerlei Besorgnisse erregen. Es wird genügen, daß man die Kandidaten unter jenen Personen aussucht, die vom religiösen und sittlichen Gesichtspunkt aus von Bürgern gewählt werden können, die mit katholischer Gewissenhaftigkeit ihre Stimme abgeben.
Unmißverständlich.
Ja gerade deshalb werden ein aufrichtig gemeintes Programm, das Wohl und die Ordnung der Gesamtheit eine nur größere Gewähr des Erfolges und der Beständigkeit haben. So vermag die Katholische Aktion auch auf diese Weise in vollkommenem Grade ihre Aufgabe zu erfüllen, Gemüt, Geist und Gewissen zu formen, wie sie Religion und Kirche im Laufe der christlichen Jahrhunderte erfüllt haben und wie sie diese auch heute noch erfüllen. Auf diese Weise haben sie mit ihrem rein geistlichen Apostolate eine Kultur, eine gesellschaftliche Sitte, eine staatliche Ordnung, eine wirtschaftliche Gerechtigkeit und eine politische Moral geschaffen, und das auf Grund jenes Evangeliums, das, indem es das ewige Heil der Seelen vermittelt, auch im Zeitlichen die Völker heilbar und glücklich macht.
Gleichwie aber niemand deswegen die Kirche als ein Element oder eine Organisation der Politik betrachtet hat, gleichwie die Kirche wegen ihres wesentlich übernatürlichen und universellen Charakters sich niemals an Parteidisziplin und -kräfte binden ließ, ebenso muß auch die Katholische Aktion, die zu ihrem Amtsbereich gehört, nach diesem Maßstab von anderen beurteilt werden und in ihrem Wirken sich nach demselben richten.
Dieser Sachverhalt und die logische Folgerichtigkeit der daraus sich ergebenden Folgerungen wurde übrigens klar empfunden vom Haupt der Regierung und Innenminister, als die katholischen Jugendorganisationen eben wegen ihrer vorherrschend sittlichen und religiösen Zwecke von der Anwendung des Gesetzes über den Landesverband Balilla, das für alle Jugendorganisationen erzieherischen Charakters gelten sollte, ausnahm.
Der "Osservatore" schließt: Wir hegen die Hoffnung, daß dieselbe Klarheit und Bestimmtheit der Ideen endlich auch von der öffentlichen Meinung, dem Regime und allen Behörden sowohl an der Zentralregierung als auch an der Peripherie geteilt werde und die Katholische Aktion in Ruhe, ja unter dem Schutze ihrer Aufgaben ihre ganze Tätigkeit entfalten könne, die nichts anderes bezweckt, als so viel wie möglich das segensreiche Wirken der Kirche und das erhabene Sittengesetz des Christentums ins Volk zu tragen.
1Hds. ergänzt: "75084".
Empfohlene Zitierweise
Anlage vom 28. November 1928, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 20559, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/20559. Letzter Zugriff am: 24.04.2024.
Online seit 20.01.2020.