Dokument-Nr. 2784

Bayerische Volkspartei: Unsere Stellungnahme zur Schulfrage mit besonderer Rücksicht auf die Volksschule. Leitskizze für den kirchen- und schulpolitischen Unterrichtskurs, vor dem 09. Januar 1919

"Wer die Jugend hat, dem gehört die Zukunft."
A.
Grundsätzliche Beurteilung der Schulfrage, geschöpft aus der Natur der Dinge selbst.
I. Die Schule (die Hochschule ausgenommen) ist und muss wesentlich Erziehungsanstalt sein; und je jünger die Schüler sind, desto mehr muss sie all ihrer Tätigkeit auf die eigentliche Erziehung schauen.
Denn die Kinder, welche die Schule besuchen, zumal die Volksschüler, aber auch die Mittelschüler, sind alle noch im erziehungsbedürftigen Alter. Ein Unterricht, der bloß Kenntnisse vermittelt, ohne auch das Herz zu bilden, schafft höchstens eingebildete und auffällige Großsprecher, aber noch keine Charaktere, keine wohlgesitteten Menschen und arbeitsfreudigen Bürger des irdischen wie himmlischen Vaterlandes. Wir schicken unsere Söhne und Töchter in die Schule, damit sie dort unterrichtet und erzogen werden.
Daher muss in jeder Volks- und Mittelschule die Religion das Haupterziehungsziel und zugleich Haupterziehungsmittel sein, von Schulwegen gelehrt und geübt werden. Sonst bleibt die Schule und ihr Schaffen ein elendes Stümperwerk.
II. Die geborenen Rechtsträger der Erziehungsaufgabe die folglich auch den allerersten Anspruch auf die Schule haben, sind
1. Die Eltern.
Diese haben mit dem Leben, das sie dem Kinde gaben, auch die unveräußerliche Pflicht übernommen, das hilflose Wesen zu einem rechten und ganzen Menschen heranzubilden; aber eben damit haben sie auch das Recht erhalten, ihrem Kinde die notwendige Erziehung zu geben und zwar bis zu deren Vollendung. Darauf weist auch die gegenseitige Zuneigung hin, welche ja die Vorbedingung einer erfolgreichen Erziehung und Belehrung ist. Gerade um der notwendigen Erziehung willen muss die Familie bestehen.
Wenn ein Mann von normalem Verstand und gewissenhafter Sorgfalt sich jeden fremden Eingriff, auch seitens der Staatsgewalt, in die Verwaltung seines eigenen Vermögens mit Entschiedenheit verbittet, darf er sich dann gefallen lassen, dass ihn dieselbe Staatsgewalt in der Verwaltung seines kostbarsten Gutes, d. h. in der Erziehung seiner gottgeschenkten Kinder, entmündige? Den verständigen und gewissenhaften Eltern nun die gewöhnliche Erziehung und Belehrung ihrer Kinder wegnehmen und dieses Recht etwa auf den Staat übertragen wollen, das wäre doch die stärkste und beschimpfendste Entmündigung dieser Eltern! Dazu haben sich die Familien nicht zu Gemeinden und Staaten zusammengeschlossen, damit ihnen dort ihre wesentliche und angeborene Rechte unterdrückt, sondern vielmehr geschützt und gefördert würden.
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Folglich kann und darf die Schule, wohin die Eltern ihre Kinder zur Erziehung und zum Unterricht schicken, nur eine Hilfsanstalt der Eltern sein.
2. Zur Erziehung geboren und zwar durch eine besondere Anordnung ihres gottmenschlichen Stifters, des Herrn der ganzen Schöpfung, ist ferner auch die Kirche.
Die religiös-sittliche Erziehung aller, die in Christus wiedergeboren sind, hat er ganz der Oberleitung durch seine Kirche unterstellt; vgl. Mth. 28, 19. 20. Keine Gewalt auf Erden darf an dieser göttlichen Ordnung rütteln. Dementsprechend hat auch die Kirche stets gearbeitet. "Das Verdienst der Gründung und Erhaltung der Schule gehört fast ausschließlich der Geistlichkeit" (Raumer, Gesch. d. Hohenstaufen IV, 428).
Daraus folgt, dass
a) die christlichen Eltern, wie die geborenen Erzieher ihrer Kinder, so auch in der sittlich-religiösen Unterweisung derselben die geborenen Beauftragten der Kirche sind und der kirchlichen Oberleitung unterstehen. Das verleiht den christlichen Eltern zugleich eine neue und höhere Würde.
b) Der Kirche kommt schon nach göttlicher Ordnung ein Mitaufsichtsrecht über alle Schulen zu, worin katholische Kinder unterrichtet und erzogen werden.
c) Die Kirche muss verlangen, dass mit dem religiösen Unterricht in der Schule auch die praktische Einführung ins religiöse Leben, die Gewöhnung zur Mitfeier des Gottesdienstes, zum Sakrament empfang und überhaupt zu einem gottesfürchtigen Christenleben verbunden werde.
d) Die Kirche hat das Recht, zu unter suchen, ob nicht gewisse Schulen, Lehrpersonen oder Lehrmittel für die christliche Erziehung ihrer Kinder gefährlich und schädlich seien, und dieselben dann ihren Gläubigen nach Umständen zu verbieten; und die Gläubigen sind an ein solches Verbot alsdann auch im Gewissen gebunden. Vgl. Simultanschulen!
e) Die Kirche hat schließlich auch das Recht, selber und in eigener Zuständigkeit Schulen zu gründen und zu leiten und für dieselben die notwendigen Geldmittel zu erheben.
III. Der Staat
hat seinem Wesen und Entstehen nach die Aufgabe, für die öffentliche Ordnung und Wohlfahrt zu sorgen, und insoweit auch für die allgemeine Wohlfahrt, dass es den einzelnen Bürgern möglich ist, durch ihre eigene Tätigkeit ihr Lebensglück zu finden und zu erreichen. Der Staat ist daher nicht berechtigt, die Vorrechte eines Familienhauptes oder einer Religionsge sell schaft, wenigstens Christen gegenüber, sich zuzuschreiben, oder für sich ein Schulmonopol für die ganze erziehungsbedürftige Jugend zu beanspruchen, oder von allen Bürgern Kenntnisse zu verlangen, die über das normale Maß hinausgehen und für eine ehrliche und auskömmliche Selbstversorgung jedes Bürgers überflüssig wären.
Der Staat hat zwar ein starkes Interesse an der Bildung und Erziehung seiner künftigen Bürger; aber das gibt ihm noch kein Recht, sich in deren Bildung und Erziehung auch unmittelbar und unbedingt einzumischen. Hat er ja auch ein Interesse an der Ehe, die ihm seinen Fortbestand ermöglicht; aber darf er deswegen auch zum Heiraten zwingen, die Paare auswählen und dergleichen mehr?
Welches sind also die Rechte und Pflichten des Staates in betreff der allgemeinen Schulbildung und Erziehung? Diese:
a) Die elterliche Erziehungs- und Lehrtätigkeit zu unterstützen, indem er Schulen errichtet, besonders dort, wo die Eltern sonst keine hätten und sie doch bräuchten; auch anderweitig bestehende, aber sonst unvermögende Schulen mit öffentlichen Mitteln zu unterstützen. Aber nimmermehr hat der Staat das Recht, die Kinder gerade in seine Schulen zu zwingen oder gar den Kindern eine Erziehung aufzudrängen, die dem Erziehungswillen ehren- und gewissenhafter Eltern widerspräche.
b) Die Lehr- und Erziehungstätigkeit der Schulen zu kontrollieren, aber nur dort, wo ein triftiger Grund dazu vorhanden ist.
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Darf denn irgendwo auf Erden die Staatsgewalt einen Menschen, der noch nichts verbrochen hat und sonst gesunden Sinnes und ehrlichen Willens ist, schon darum unter Polizeiaufsicht stellen, weil er eben Untertan jener Staatsgewalt ist?
c) Die Eltern zur Erziehung und Heranbildung ihrer Kinder zu drängen, wenn sie dieselbe über Gebühr vernachlässigen; auch den Eltern die Erziehung und Ausbildung ihrer Kinder völlig wegzunehmen für den Fall, aber auch nur für den Fall, dass die Eltern ihren Kindern die notwendige Erziehung und Ausbildung weder selbst noch durch Stellvertreter geben könnten oder ihre Kinder verwahrlosen ließen oder sie zur Schlechtigkeit erzö gen.
d) Dagegen Schulen zu verhindern und zu unterdrücken, in denen die Jugend zur Gottlosigkeit, Religionsfeindschaft, Unsittlichkeit, Widerspenstigkeit gegen Eltern und Vorgesetzte und rechtmäßige Obrigkeit oder zu sonstiger Schlechtigkeit, sei es ausdrücklich oder stillschweigend, angeleitet würde.
B
Unsere Forderungen unter den gegebenen Verhältnissen.
I. 1. Wir fordern zurück vom Staate das angeborene Grundrecht der Eltern und der Religionsgesellschaften, für die Erziehung und den Unterricht der Jugend Schulen jeglicher Art in gleicher Weise zu eröffnen wie der Staat.
Der bisherige Polizeistaat hatte dieses Recht immer mehr unterdrückt. Im freien Volksstaate ist dieses Recht schon vom Gesichtspunkte der Freiheit aus eine Selbstverständlichkeit. Um so unerhörter und unsittlicher ist die Forderung des Freiheit rufenden Sozial istenstaates, dass nur Staatsschulen bestehen dürfen und die ganze Jugend in diese sozialistische Staatsschule hineingezwungen werden solle (Erfurter Programm 1891, Nr. 7). Auch der Liberalismus knebelt grundsätzlich und praktisch das elterliche und kirchliche Recht der Schulfreiheit.
2. Für die Erziehung und den Unterricht der Volksschuljugend, die von kirchentreuen Eltern stammt, fordern wir die konfessionelle Volksschule und verlangen, dass dieselbe nicht weniger aus öffentlichen Mitteln unterhalten werden wie alle anderen öffentlichen Schulen.
Religionslose und kirchenlose Eltern mögen, wenn sie wollen, ihre Kinder in heidnische Schulen schicken; wir wollen sie nicht daran hindern. Schiedlich – friedlich?
Die Sozialdemokratie, deren Programm die neuen Gewalthaber ausgesprochenermaßen durchführen wollen, hat die Religion zur "Privatsache" erklärt und dementsprechend auch die völlige "Weltlichkeit der Schule" auf ihr Programm gesetzt (Erfurt, 1891). In Frankreich, z. B. ist diese "Weltlichkeit der Schule" bereits durchgeführt. Die Früchte sind aber auch darnach; vgl. die Statistik der jugendlichen Verbrecher. – Der Liberalismus fordert und fördert, wo er kann, die Simultanschule unter der Schwindelphrase der Förderung des konfessionellen Friedens; in Wahrheit aber um das religiöse Leben nicht recht aufkommen zu lassen. Die Simultanschule fördert um so mehr den konfessionellen Zwist unter den Schülern und hemmt den Lehrer in seiner lebensvollen Tätigkeit.
3. Wir verlangen die Beibehaltung des konfessionellen Religionsunterrichtes als Pflichtfach in der Volks- und Mittelschule (den sogen. "höheren Lehranstalten").
Die Religionslehre nur als freies Wahlfach in den Lehrplan aufnehmen, ist eine Schmähung der Religion und des Schöpfers und muss auch bei den Schülern zu einer Geringschätzung der Religion führen.
4. Wir verlangen ferner eine gebührende Einflussnahme der Eltern, beziehungsweise der Schulgemeinde auch auf die Besetzung der Lehrstellen an
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allen Volksschulen, die aus öffentlichen Mitteln unterhalten werden; ebenso einen gebührenden Einfluss der Eltern und der Religionsgemeinschaften auf die Auswahl und Einrichtung der Lehrmittel.
Die Magistrate der unmittelbaren Städte berufen ihre Beamten alle selber; sie präsentieren auch auf alle Lehrstellen ihrer Volksschulen. Diese Selbstverwaltung der Gemeinden muss weiter ausgebaut und auf das ganze Land ausgedehnt werden. Das gehört zum demokratischen System.
5. Die Volksschule soll schließlich die einheitliche Grundschule des Volkes sein. Auf raschen Aufstieg von besonders begabten Schülern ist dabei Rücksicht zu nehmen. In der Volksschule herrsche ferner allgemeine Schul geldfreiheit, für Kinder unbemittelter Eltern und Lern mittelfreiheit.
II. Wir treten ein für die
1.  Trennung von Kirchen- und Schuldienst.
In größeren Städten überall, aber auch auf dem Lande schon mancherorts durchgeführt.
2. Desgleichen für die Fachaufsicht; wir verlangen aber dazu eine gesetzliche Vertretung der Religionsbehörden im örtlichen, Bezirks-, Kreis- und Landesschulrat.
Die geistliche Schulaufsicht war jedenfalls die sicherste Garantie für die religiöse Richtung unserer Volksschulen. Für die Protestanten war sie in die Verfassung, für die Katholiken dem Sinne nach im Konkordate festgelegt. Die bayerischen Bischöfe auf ihrer Versammlung in Freising vom 18. Dezember d. J. protestierten nur gegen die einseitige und gewalttätige Lösung des bisherigen Rechtszustandes ohne Fühlungnahme mit der zuständigen Kirchenbehörde.
3. Für Schaffung eine den modernen Verhältnissen angepassten Lehrerrechtes, und für eine auskömmliche Bezahlung aller Lehrpersonen.1
Eine Selbstverständlichkeit!
1Textpassage "Die geistliche […] aller Lehrpersonen" am linken Seitenrand hds. markiert, vermutlich vom Empfänger.
Empfohlene Zitierweise
Bayerische Volkspartei, Unsere Stellungnahme zur Schulfrage mit besonderer Rücksicht auf die Volksschule. Leitskizze für den kirchen- und schulpolitischen Unterrichtskurs vom vor dem 09. Januar 1919, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 2784, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/2784. Letzter Zugriff am: 18.04.2024.
Online seit 04.06.2012.