Dokument-Nr. 2797

Die Kurie und die bayerische Regierung, in: Bayerischer Kurier und Münchener Fremdenblatt, 26. Juni 1919
Mehrere an uns gesandte Zuschriften aus geistlichen Kreisen führen berechtigte Beschwerden darüber, daß die Frage der Besetzung der katholischen Pfarreien in Bayern immer noch nicht geregelt ist; seit Ausbruch der Revolution sei keine Pfarrei mehr besetzt worden, die Seelsorge wie die Interessen des Klerus würden dadurch aufs empfindliste geschädigt.
Die Schuld an diesen völlig unhaltbaren Zuständen trägt einzig die bayerische Staatsregierung, die es bis jetzt noch nicht für angemessen hielt, sich zwecks Regelung der schwebenden Rechtsverhältnisse mit der Kurie ins Benehmen zu setzen. Der überwiegende Teil der bayerischen Bevölkerung sieht in dem Papst sein geistliches Oberhaupt und verlangt eine Ordnung der kirchenpolitischen Verhältnisse im Einverständnis mit dem höchsten geistlichen Souverän der katholischen Kirche; die "demokratische" Regierung Bayerns aber glaubte, die religiösen Empfindungen der Mehrheit der Bevölkerung ungestraft mißachten und mit Füßen treten zu dürfen. Die Einsicht, daß die religiösen Interessen so mannigfaltig mit dem staatlichen Leben verknüpft sind, daß eine Verständigung zwischen den staatlichen und kirchlichen Stellen ganz unabhängig von der besonderen Form der Regelung der kirchenpolitischen Fragen im beiderseitigen Interesse liegt, diese Einsicht hat selbst im Reiche zu einer Anknüpfung der Beziehungen zum Vatikan geführt. In Bayern aber verbot der engherzigste und beschrängteste Parteidoktrinarismus einen ähnlichen Schritt. Verständlich ist zur Not, daß sozialistische Parteiagitatoren und Vereinsvorstände, denen die Religion nichts anderes ist als eine "phantastische Wiederspiegelung" (Engels), denen staatliche Notwendigkeiten ebenso gleichgültig oder unbekannt sind, wie die internationalen Verkehrsformen, vor der Wiederaufnahme der Beziehungen zur Kurie zurückschrecken. Wenn aber "Staatsmänner" einer demokratischen Republik im Widerspruch zu dem Willen der Mehrheit der Bevölkerung in ihrer amtlichen Stellung eine ähnliche Haltung, einnehmen, so ist das nicht mehr verständlich, sondern ein öffentlicher Skandal. Im Zusammenhang damit sei auch an die Haltung erinnert, die das Ministerium Hoffmann in der für Bayern so wichtigen Nuntiaturfrage eingenommen hat, insbesondere an die seltsame Form, in der die Regierung der Nuntiatur für die ungeheuerlichen Vorkommnisse während der Rätezeit "Genugtuung" geleistet hat.
Die Revolution hat im Reiche eine Aenderung der kirchenpolitischen Rechtsverhältnisse zur Folge gehabt, und diese Aenderung ist auch für Bayern bindend. Das schließt aber nicht aus, daß im Rahmen der neuen Reichsverfassungsbestimmungen eine Verständigung über die der Landesgesetzgebung vorbehaltenen Fragen zwischen dem päpstlichen Stuhl und der bayerischen Regierung erfolgt.
Noch weniger ausgeschlossen wird durch die neue reichsgesetzliche Regelung eine vorläufige Verständigung über das Recht der Uebergangszeit. Was insbesondere die Frage der Besetzung der Pfarrstellen anlangt, so wird man, gestützt auf die Gepflogenheiten der Kurie, kaum mit der Annahme fehlgehen, daß der Vatikan der Schaffung eines modus vivendi keineswegs abgeneigt ist; es wäre so denkbar, daß dem Staate das Präsentationsrecht unter der Voraussetzung der Gewährung der vertraglich ausbedungenen Gegenleistungen auch weiterhin eingeräumt wird. Eine solche Verständigung, die ebenso im staatlichen wie im kirchlichen Interesse liegt, ist indes nur möglich, wenn die bayerische Regierung die durch die Revolution unterbrochenen Beziehungen zur Kurie wieder aufnimmt. Ohne eine solche Wiederanknüpfung ist eine befriedigende Regelung der Frage gänzlich unmöglich; die bayerische Regierung, die es bis jetzt abgelehnt hat, den Schritt zu tun, den der Reichspräsident unbedenklich gegangen ist, trifft demnach die alleinige Verantwortung für die beklagenswerten Verhältnisse. Die da und dort verbreitete Meinung, daß es die Ordinariate irgendwie an der Wahrung der Interessen der Seelsorge und des Klerus hätten fehlen lassen, ist deshalb sachlich völlig unbegründet.
Wenn eine der oben erwähnten Zuschriften ene "möglichst rasche provisorische Lösung dieser Angelegenheit" als unbedingt notwendig bezeichnet, so können wir diese Forderung nur unterstützen. Wir erwarten von den Vertretern des christlichen Teiles des bayerischen Volkes, daß die Frage nach ihrer praktischen wie nach ihrer grundsätzlichen Seite im Landtag mit der erforderlichen Bestimmtheit besprochen wird. Die Anfrage, die Dr. Wohlmuth vor kurzem gestellt hat, wird dazu ja den Anlaß geben.
Empfohlene Zitierweise
Anlage vom 26. Juni 1919, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 2797, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/2797. Letzter Zugriff am: 29.03.2024.
Online seit 04.06.2012.