Dokument-Nr. 2822
Pacelli, Eugenio an Matt, Franz
München, 16. Juni 1923

Euerer Exzellenz
beehre ich mich den richtigen Empfang des sehr geschätzten Schreibens vom 8. ds. zu bestätigen und beeile mich wunschgemäss Euerer Exzellenz die Stellungnahme des Heiligen Stuhles zu den weiteren Punkten des Gegenentwurfes eines neuen Konkordates höflichst zur Kenntnis zu bringen.
Art. II.
Der Heilige Stuhl wünscht – um allen Missverständnissen vorzubeugen – es möge noch als Erläuterung angefügt werden, dass unter dem Ausdruck "Orden und religiöse Kongregationen" auch die ordensähnlichen Genossenschaften verstanden werden.
Art. III.
Zu § 1. Der Heilige Stuhl legt ein ganz besonderes Gewicht darauf, dass der von Ihm im September 1922 vorgeschlagene Wortlaut aufrecht erhalten bleibe. Diese Fassung entspricht nämlich nicht nur der gerechten und sehr gemässigten Forderung des Heiligen Stuhles, da es sich um Professoren handelt, welche die Priesteramtskandidaten in die hl.
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Wissenschaften einführen müssen, sondern auch dem Stande in anderen Ländern, so z. B. in Polen, wo nach einer für die theologische Fakultät an der Universität Warschau von der Regierung genehmigten Satzung der Kandidat vor der staatlichen Ernennung die missio canonica vom Bischof erhalten muss.
Zu § 2 stimmt die lateinische Uebersetzung mit dem deutschen Text nicht überein. Ueberdies wäre es vorzuziehen, den Satz "unbeschadet seiner staatsdienerlichen Rechte" nicht im Konkordat selbst zu belassen, weil es sich hier um eine Sache handelt, die sich kaum für eine Vereinbarung des Staates mit der Kirche eignet. Der Heilige Stuhl ist aber zu der Erklärung bereit, Er wolle nicht entgegen sein, dass "der beanstandete Professor die Civilrechte, welche er zufolge der Ernennung inne hatte, weiter behalte".
Art. IV.
Der Heilige Stuhl nimmt die Redaktion des Gegenentwurfes unter der Bedingung an, dass die Regierung die versprochene schriftliche Erklärung abgibt.
Art. V. § 5.
In der lateinischen Uebersetzung fehlt das Wort "etiam"
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(auch), das sich im deutschen Text findet.
Art. X.
In der Erläuterung zu Art. X, die mir Euere Exzellenz mit sehr geehrtem Schreiben vom 6. März lf. Js. zugehen zu lassen die Güte hatten, wird die Ergänzung der vom Konkordat des Jahres 1817 vorgesehenen Bezüge für die Erzbischöfe, Bischöfe, Dignitäre, Domkapitulare und Domvikare als freiwillig bezeichnet. Der Heilige Stuhl kann diese Bezeichnung nicht unwidersprochen lassen. Um nicht zu reden von der Säkularisation, welche der Kirche Güter von unschätzbarem Wert wegnahm, die mehr als genügend gewesen wären, ihre Bedürfnisse ohne Staatszuschüsse zu befriedigen, sieht sich der Heilige Stuhl der bayerischen Staatsregierung gegenüber genötigt, darauf aufmerksam zu machen, dass die in Art. IV vorgesehene Dotation hätte ausgeführt werden müssen in bonis fundisque stabilibus, die der freien Verwaltung (liberae administrationi) der Kirche hätten unterstehen und für immer sicher und ungeschmälert hätten erhalten werden sollen (salvae semper et integrae conservandae erunt). Diese Güter hätten heute für die Kirche in Bayern einen unvergleichlich höheren Wert als staatliche Gehälter und würden einen unvergleichlich höheren Ertrag als die erwähnten Ergänzungen abwerfen. Die konkordatsmässige Verpflichtung wurde indessen von der bayerischen Regierung bis heute nicht erfüllt, obwohl der Heilige Stuhl, vor allem weil Ihm sehr am
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Herzen lag dem Klerus die notwendige Freiheit und Unabhängigkeit zu sichern, darauf drängte und die Bezüge in Bargeld nur als provisorisches Surrogat annahm. Das erhellt, um einige Beispiele anzuführen, aus den zwei Noten des Herrn Kardinal Staatssekretärs Eminenz Consalvi an den Herrn Grafen von Rechberg, bayerischen Minister des Aeussern, vom 18. April 1821; – ferner aus den an denselben Minister gerichteten, oft in starken Ausdrücken und bitteren Klagen abgefassten Noten des mit der Ausführung des Konkordates von 1817 betrauten Apostolischen Nuntius in München, Mons. Serra di Cassano, vom 28. Oktober 1819, 3. Juni, 7. Juli, 8. August, 3., 19. und 26. September 1822, 12. Januar, 5. April, 13. Juli und 31. Oktober 1823; – aus dem Bericht (N. 350 vom 5. Oktober 1825) desselben Nuntius an den Herrn Kardinal Staatssekretär Eminenz Della Somaglia, und aus dessen Antwort (N. 10026 vom 27. desselben Monats); – aus dem Schreiben des Herrn Kardinal Staatssekretärs Eminenz Albani an den Hochwürdigsten Nuntius Mons. d'Argenteau vom 10. September 1829; – aus den Schreiben des Herrn Kardinal Staatssekretärs Eminenz Bernetti vom 2. und 28. Juni 1831 an denselben Nuntius, worin mit allem Nachdruck auf die Ausführung dieses Punktes gedrungen wird, und aus den Berichten des Nuntius selbst (NN. 442 vom 1. Mai und 458 vom 15. Juni 1831), welcher seine diesbezüglichen Bemühungen mitteilt und sich zu gleicher Zeit beklagt über die geringe Geneigtheit der Regierung, einen so oft
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feierlich zugesicherten und vereinbarten Akt der Gerechtigkeit zu erfüllen, indem er besonders an die nicht ausgeführte Erklärung des Königs Max Joseph vom 2. Februar 1821 erinnerte; – aus den Instruktionen an den Apostolischen Internuntius Mons. Sacconi vom 23. Dezember 1849; – aus dem Schreiben des Herrn Kardinal Staatssekretärs Eminenz Antonelli an den Apostolischen Nuntius Mons. de Luca (N.
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vom 25. April 1855). Derselbe Herr Kardinal Staatssekretär wies nochmals in einer Note vom 4. Januar 1856 an Baron Riederer, Geschäftsträger s. M. des Königs von Bayern beim Heiligen Stuhl, ausdrücklich auf die konkordatäre Verpflichtung der Dotation in bonis fundisque stabilibus hin, um zu verhindern, dass das Schweigen von irgendjemand, wenn auch zu Unrecht, als stillschweigender Verzicht auf jenes Recht ausgelegt werde.
Derselbe Ausdruck "freiwillig" wird allgemein auch in der Erläuterung zu den Artikeln XIII und XIV betreffend Ergänzung des Einkommens der Seelsorgegeistlichen angewendet. Auch diese Bezeichnung kann der Heilige Stuhl aus mannigfachen Gründen nicht gelten lassen. Zur kurzen Begründung dieses Standpunktes möchten 3 Arten von Pfarreien (und andern Seelsorgestellen) unterschieden werden: 1.) Pfarreien, deren sehr wertvolle Güter säkularisiert wurden. Es ist klar, dass dem Staat, welcher die Güter dieser Pfarreien eingezogen hat, die Pflicht obliegt, dieselben Pfarreien aus staatlichen Mitteln zu erhalten
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und deren Seelsorgern ein standesgemässes und den jeweiligen wirtschaftlichen Verhältnissen angepasstes Einkommen zu sichern. Die Zahl dieser Pfarreien ist sehr bedeutend. 2.) Die übrigen zur Zeit des Abschlusses des Konkordates von 1817 bestehenden Pfarreien. Wie aus der Geschichte des Konkordates hervorgeht, wurde für sie eine staatliche Dotation in demselben nicht vorgesehen, weil sie schon mit ausreichendem Einkommen ausgestattet wären; es genügte infolgedessen die Bestimmung des Art. VIII, der die volle Erhaltung dieser Güter sicherstellte (bona… parochiarum, beneficiorum, fabricarum omniumque aliarum ecclesiasticarum fundationum, semper et integre conservanda erunt). Im Widerspruch zu diesem Artikel verloren aber jene Pfarreien durch staatliche Massnahmen den grössten Teil ihrer Einkünfte. Zunächst nämlich wurden ihnen, vor allem kraft des Gesetzes vom 4. Juni 1848 grösstenteils die ihnen rechtlich zustehenden Zehnten, grundherrlichen und andere Rechte genommen. Bei der zwangsweisen Umwandlung dieser Rechte in Geldrenten wurde die Kirche schon nach dem damaligen Geldwerte bedeutend geschädigt; die jetzige Geldentwertung hat die Rente überhaupt so gut wie wertlos gemacht. Ausserdem hat der Staat kraft des von ihm nicht in Uebereinstimmung mit dem Konkordat beanspruchten Kuratel- und Aufsichtsrechtes über das Pfründevermögen die Benefizien auch in der Folgezeit gezwungen, ihre sehr bedeutenden Stiftungskapitalien in Papieren anzulegen, die heute so viel wie keinen Wert mehr
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haben. So sind die meisten Stiftungen fast mittellos geworden. Die ausserordentlich schwere Schädigung, welche auf diese Weise die Benefizien in Widerspruch zu der durch das Konkordat übernommenen Verpflichtung erlitten haben, verbindet den Staat zu einer angemessenen Entschädigung. 3.) nach dem Abschluss des Konkordates von 1817 errichtete Pfarreien. Für diese ist der bayerische Staat zu der "Anweisung angemessener Bezüge" gehalten kraft Art. XII f desselben Konkordates. Auch diese Bezüge nun müssen zweifellos, um als "angemessen" bezeichnet werden zu können, den jeweiligen Verhältnissen angepasst sein. – Obwohl der Heilige Stuhl der jetzigen finanziellen Lage des bayerischen Staates gerne Rechnung zu tragen bereit ist, so erachtet Er es doch mit Rücksicht auf das Heil der Seelen als seine Pflicht, den Fortbestand der in ihrer Existenz gefährdeten Seelsorgestellen so gut als möglich zu sichern.
Der Heilige Stuhl kann schliesslich der in der erwähnten Erläuterung zu Art. XIII ausgesprochenen Ansicht nicht beipflichten, dass die "administrativen und finanziellen Verbindlichkeiten", die im Gegenentwurf vorgesehen werden, über jene des Konkordates von 1817 hinausgehen. Wenn auch gern anerkannt wird, dass besagter Gegenentwurf insofern einige Vermehrung der finanziellen Leistungen aufweist, als die Bezüge für die sechs bayerischen Bischöfe gleichmässig ausgesetzt und das Gehalt für die Koadjutoren alter oder dienstunfähiger Domkapitulare vorgesehen ist, so ist das doch
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nur wenig im Vergleich zu den Herabminderungen der konkordatären Verpflichtung im Bezug auf die Seminarien, die nach Art. V des Konkordates eine vollständige Dotation in bonis fundisque stabilibus hätten erhalten müssen, einer Verpflichtung, die der bayerische Staat auch in den Verhandlungen betr. den Vollzug des Konkordates anerkannt hat.
Zu Art. X § 1 h möchte der Heilige Stuhl das Wort "bestehenden" gestrichen sehen. – Was die Vermehrung der Zuschüsse an die bischöflichen Seminarien im Falle der Unterdrückung von Lyzeen betrifft, so nimmt der Heilige Stuhl die in der Erläuterung zu Art. X vorgeschlagene Erklärung unter der Voraussetzung an, dass die besagte Vermehrung wirklich genüge, um zum Ersatz für den Ausfall der Lyzeen philosophisch-theologischer Kurse an den betreffenden Seminarien gemäss den Normen des kanonischen Rechtes einzurichten. – Was die Diözese Speyer anlangt, so wird gerne zugegeben, dass zur Zeit "die finanzielle Lage des Staates (wie in derselben Note bemerkt wurde) dort die Errichtung eines Lyzeums oder eines vollen Priesterseminars auf Staatskosten verbietet"; daraus folgt aber nicht, dass dieser Zustand für immer andauern müsse, und es darf daher die genannte Diözese nicht für alle Zeiten des ihr unbestreitbar zustehenden Anrechtes verlustig gehen, in dessen Besitz sie, gleich den übrigen bayerischen Diözesen, nach Art. V des Konkordates von 1817 ist. Der Heilige Stuhl nimmt infolgedessen den Regierungsvorschlag in
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diesem Punkte an mit Einschränkung auf die gegenwärtigen Verhältnisse und mit Vorbehalt für die Zukunft.
Zu § 2 desselben Art. X wünscht der Heilige Stuhl, dass die Worte beigefügt werden "et instituta".
Art. XIII.
Den Abschnitt "im Hinblick… (Ratione sumptum, quosponit)" in § 1 möchte der Heilige Stuhl so gefasst haben, dass nicht bloss die Tatsache der Bezahlung betont wird, sondern auch die Pflicht der Regierung zur Zahlung, z. B. "ponendos suscipit". Er findet ausserdem den Ausdruck "Besoldung" nicht glücklich, der deshalb geändert werden wolle, z. B. in Bezüge oder Gehalt. Diese Bemerkungen gelten auch für den analogen Abschnitt zum Art. XIV § 3.
Art. XIV.
§ 2. – Der Heilige Stuhl schlägt vor, dass die Besetzung der Kanonikate an den Metropolitan- und Kathedralkirchen (ausgenommen die der Dignitäten, welche nach Massgabe des can. 396 dem Heiligen Stuhl reserviert sein werden) zweimal vom Bischof "audito Capitulo", und einmal vom Kapitel mit Zustimmung des Bischofs erfolge.
§ 3. – In der ersten Periode findet der Heilige Stuhl den Ausdruck "Gelegenheit zur Erinnerung geben" zu unbestimmt und schlägt die in den österreichischen Landen gebräuchliche Form vor, wonach die bischöfliche Behörde zwecks der Zahlungen der
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Regierung von den Ernennungen Mitteilung macht; wenn die Regierung nach einem Monat keine Erinnerung erhebt, so gelten sie als angenommen. Es versteht sich ausserdem, dass diese Bestimmung entsprechend dem Text ("Ernennung der Pfarrer") und gemäss der gegenwärtigen Praxis nur für die Pfarrer im eigentlichen Sinn des Wortes gilt und nicht für Pfarrvikare nach Massgabe des can. 458. – Zur zweiten Periode wünscht sich der Heilige Stuhl, dass die Regierung in einer Note erkläre, unter der forma usitata ("in der bisherigen Form") sei ein Terna-Vorschlag vonseiten des Bischofs verstanden.
Indem ich zugleich den Gefühlen vorzüglichster Wertschätzung Ausdruck verleihe, habe ich die Ehre zu verharren als
Euerer Exzellenz
ergebenster
(gez.) Eugen Pacelli Erzbischof von Sardes,
Apostolischer Nuntius.
Empfohlene Zitierweise
Pacelli, Eugenio an Matt, Franz vom 16. Juni 1923, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 2822, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/2822. Letzter Zugriff am: 29.03.2024.
Online seit 24.10.2013.