Dokument-Nr. 286
Meyding, Robert an Bolz, Eugen
Stuttgart, 03. September 1926

Copie
Persönlich
Hochgeehrter Herr Minister!
Zu Ihrer fernmündlichen Frage nach dem Material, betreffend den vertragsmässigen Charakter der Bestimmungen über das Bischofswahlrecht des Domkapitels beehre ich mich folgendes mitzuteilen:
Die Bestimmungen der Bulle Ad dominici gregis custodiam vom 11. April 1827 über das Recht der Domkapitel der oberrheinischen Kirchenprovinz zur Bischofswahl (Reg. Bl. 1827 S. 470), deren Annahme und Genehmigung die württ. Regierung durch das K. Reskript vom 24. Oktober 1827 (Reg. Bl. &. 435) zur Nachachtung bekannt gemacht hat, beruhen auf den Verhandlungen, die die beteiligten Regierungen in den Jahren 1819 bis 1827 mit dem Päpstlichen Stuhl geführt haben.
Bei Einleitung dieser Verhandlungen haben die vereinigten Regierungen (Ziff. V der Deklaration vom März 1819, abgedruckt bei Longner, Beiträge zur Geschichte der oberrheinischen Kirchenprovinz 1863 S. 630) und der Päpstliche Stuhl (Ziff. 13 der Note vom 10. August 1819, in Uebersetzung abgedruckt bei Münch, vollständige Sammlung aller älteren und neueren Konkordate 1831 II S. 378) die Besetzung der bischöflichen Stühle durch Wahl als "alte Disziplin der deutschen Kirche" vorausgesetzt. Die vereinigten Regierungen versuchten jedoch in der Deklaration eine Erweiterung des Wahlkollegiums zu erreichen, indem zu den Mit
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gliedern des Domkapitels eine gleiche Zahl von Wahlmännern treten sollte, die von den Landdekanen aus der Geistlichkeit des ganzen Landes gewählt werden sollten. Der Päpstliche Stuhl stellte in der genannten Note von 10. August 1819 (Ziff. 13) fest, dass "nach der Disziplin der deutschen Kirche, welche man beibehalten wolle, zur Wahl der Bischöfe nur die wirklichen Domherrn der Kapitel zugelassen werden", und lehnte diese Aenderung der alten Disziplin der deutschen Kirche ab (Ziff. 14). In der Note vom 5. September 1819 haben die Regierungen, in der Antwort vom 24. September 1819 der Päpstliche Stuhl ihren Standpunkt festgehalten (Longner S. 490 und 499). Auf der Grundlage der Deklaration vom März 1819, die für die Landesherrn ein weitgehendes Mitwirkungsrecht in Anspruch genommen hat, ist eine Einigung nicht erzielt worden. Bei der Errichtung der Bistümer durch die Bulle Provida solarsque [sic] vom 16. August 1821 (Reg. Bl. 1827 S. 436) ist die Frage der Bischofswahl zurückgestellt worden. Eine neue Grundlage haben die Verhandlungen über die Bischofswahl durch die Vorschläge der päpstlichen Note vom 16. Juni 1825 erhalten; sie sehen die Wahl des Bischofs durch das Domkapitel vor (Longner S. 559 f.). Die Antwort der vereinigten Regierungen vom 4./7. September 1826 (Longner S. 571) hat diese als Ultimatum bezeichneten Vorschläge über die Bischofswahl und andere Gegenstände mit gewissen Bedingungen und Beschränkungen angenommen, zu denen der Päpstliche Stuhl in seiner Note vom 6. Januar 1827 Stellung genommen hat (Longner S. 574); das Wahlrecht der Kapitel hat dieser weitere Schriftwechsel, abgesehen von der nicht mehr praktischen Frage der landesherrlichen Rechte, nicht mehr berührt. Die der Päpstlichen Note vom 16. Juni 1825 beiliegenden Vor
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schläge über das Wahlrecht der Kapitel sind ohne Aenderung in die endgültige Fassung der Bulle übergegangen.
Wenn auch eine Vertragsurkunde über das Bischofswahlrecht nicht ausgefertigt, sondern die Willensübereinstimmung der Regierungen und des Päpstlichen Stuhles nur durch Notenwechsel hergestellt worden ist, so ist doch im Einklang mit völkerrechtlichen Grundsätzen anzunehmen, dass das Recht der Bischofswahl, somit insbesondere auch das Wahlrecht der Domkapitel, in rechtlich bindender Weise vereinbart ist. Diese auch in der Wissenschaft (Stutz, Der neueste Stand des deutschen Bischofswahlrechts, 1909, S. 24 und S. 34 n. 1) feststehende Auffassung, auf die auch schon Stellen der beiden Bullen (Reg. Bl. 1827 S. 437 "conciliari" und S. 469 "concilianda"; das nicht veröffentlichte Anbringen des Kultministeriums vom 17. August 1827 über die Bekanntmachung der Bullen, Akten des Kultministeriums Konkordat X, Bund D/  73, wonach die beiden Bullen "vom Papst nach vorgängiger Uebereinkunft mit den vereinten Regierungen erlassen worden sind"; vergl. auch das K. Fundationsinstrument für das neu errichtete Bistum Rottenburg vom 14. Mai 1828, Reyscher 10 S. 1067: "Die erforderlichen Verabredungen mit dem Oberhaupt der katholischen Kirche") hinweisen, ist von der Regierung und dem Päpstlichen Stuhl in der Konvention von 1857 (Reg. Bl. S. 109) vorausgesetzt worden, deren Art. 1 lautet: "In Betreff der Besetzung des bischöflichen Stuhles von Rottenburg, der Canonicate und der Präbenden an der Domkirche, bleibt es lediglich bei dem mit dem heiligen Stuhle früher vereinbarten Verfahren." (ea tantum servabuntur, de quibus cum Sancta Sede jam conventum est.") Von dieser Auffassung geht ohne
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besondere Erörterung der Frage des Wahlrechts des Kapitels auch die Begründung des Gesetzes über die Kirchen aus (Landtagsverh. 1922 Beil, 850 S. 603).
Falls Sie von den bisher nicht im Wortlaut veröffentlichten Aktenstücken Einsicht nehmen wollten, in denen die Vereinbarung über das Wahlrecht der Kapitel zu erblicken ist (der päpstlichen Note vom 16. Juni 1825, der Note der vereinigten Regierungen vom 4./7. September 1826 und der päpstlichen Note vom 6. Januar 1827), würden Sie am besten die im Staatsarchiv befindlichen Akten des Ministeriums der auswärtigen Angelegenheiten beiziehen (nach einer Angabe des Herrn Geheimrats Dr. Wintterlin: V. 63 F 182/38 und F 183/37 und 67), da in den Akten des Kultministeriums (Konkordat X Bund B  /1 C /33, D /33 und 40) die seinerzeit an das Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten zurückgegebene Note der Regierungen vom 4./7. September 1926 nicht enthalten ist. Soweit Sie die angeführten Bücher einsehen wollten, könnten sie aus der Bücherei des Kultministeriums zur Verfügung gestellt werden.
Mit ausgezeichneter Hochachtung
Ihr ergebenster
Ministerialrat
(gez.) Meyding.
Empfohlene Zitierweise
Meyding, Robert an Bolz, Eugen vom 03. September 1926, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 286, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/286. Letzter Zugriff am: 20.04.2024.
Online seit 29.01.2018.