Dokument-Nr. 2868

Fuchs, Friedrich Fritz: … und wir Katholiken?, in: Hochland, Nr. 8, S. 113-116, Mai 1919
Hochland
Monatsschrift für alle Gebiete des Wissens, der Literatur u. Kunst. Herausgegeben von Karl Muth.
Separatabdruck aus 16. Jahrg. Heft. Mai 1919.
Jos. Kösel'sche Buchhandlung, Kempten und München.
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und wir Katholiken?! Die ersten Worte der Vernunft und Güte dringen von Frankreich her über ein Meer von Haß und Verbitterung zu uns. Im sozialistischen Pariser ‚Populaire‘ richtet Henri Barbusse, der noch inmitten des Mordens in seinem Roman ‚Le feu‘ reiner Menschlichkeit erschütternd Stimme geliehen hat, im Verein mit mehreren Freunden einen Aufruf an die geistigen Kämpfer der noch gestern feindlichen Länder. ‚Hellseherisch, den sich forterbenden Haß verachtend‘ streckt er uns brüderlich die Hand entgegen. Die französische Gruppe des internationalen Frauenkomitees für dauernden Frieden wendet sich in einer Sympathiekundgebung an die deutschen Frauen und fordert sie auf, im Bunde mit ihr den Krieg aus allen Seelen zu reißen und für ihre Kinder die gemeinsame Stadt des Frieden und der Liebe zu bauen. Romain Rolland übermittelt der Berliner ‚Republik‘ ein Manifest der Vereinigung der revolutionären sozialistischen Studenten Frankreichs, in dem mit äußerster Energie gegen die Stellungnahme der Mehrheit der französischen Intellektuellen, die sich zu Dolmetschern des entfesselten Völkerhasses machten, protestiert wird.
Verhaltenen Atems horchen wir, ob sich nicht auch aus der Christenheit der westlichen Völker eine Stimme der Versöhnung lösen will. Aber sieh da, wir lauschen vergebens! Das rote Banner der sozialistischen Internationale sammelt in Genf die Abgesandten der feindlichen Völker zu versöhnender Aussprache. Die christliche Internationale verschanzt sich zu Luzern und Paris in zwei Lagern, ‚ein Reich, das geteilt ist wider sich‘.
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Die französischen und belgischen Katholiken lehnen es ab, sich an dem Luzerner internationalen christlichen Arbeiterkongreß, der von der Schweiz, Holland, Litauen, Österreich und Deutschland beschickt wird, zu beteiligen, und veranstalten in Paris einen eigenen Kongreß.
Zum Schauspiel und Gespött sind wir Katholiken so der Welt geworden. Die Heiden beschämen uns. Sie haben die Seligpreisung der Friedensstifter, die Kinder Gottes genannt werden, an sich gerissen. Tyrus und Sidon wird es erträglicher sein am Gerichtstage als uns Wir sind stolz auf die Universalität unserer Kirche und preisen sie sie nicht wenig in wortreichen Diatriben. Doch verbindet uns denn der eine Glaube, dieselben Sakramente, ein einiges Opfer, wenn die Herzen uneins sind? Haben wir so ganz vergessen, was Christus fordert: ‚Geh‘ zuvor, dich zu versöhnen mit deinem Bruder, und dann komm und opfere!‘? Dies ist auch den Nationen gesagt. Christus, der Völkerhirte, will die Völker sammeln; wer aber nicht mit ihm sammelt, der zerstreut. Dies gilt all denen hüben wie drüben, die ihrer Christenpflicht damit zu genügen glauben, daß sie den Haß ablegen und Gleichgültigkeit dafür annehmen. Sammeln sollen wir mit Christus! Sein Stellvertreter hat diese Weisung verstanden und ist ihr schon während der Kriegsjahre, ohne den Mut sinken zu lassen, unverdrossen gefolgt. Doch täuschen wir uns nicht darüber, wie begrenzt die Reichweite des päpstlichen Versöhnungswerkes ist! Autorität ist in der Sphäre so feiner seelischer Vorgänge wie Sichverständigen und Sichfinden keine Macht, eher Hemmnis. Versöhnung läßt sich empfindlichen, auf ihre Freiheit eifersüchtig bedachten Herzen nicht auferlegen wie eine Last. Von selber müssen sich die entzweiten Völker die Hände reichen.
Wartet man darauf, wer zuerst die Rechte ausstreckt? Wem wäre diese Gebärde natürlicher als dem Sieger? Tief verwunderlich ist es, daß Frankreich, das ritterliche, christliche Frankreich, nach seinem Siege diese großmütige Geste, die ihm so leicht fallen müßte und ihm so gut stände, noch nicht gefunden hat. Ließ es sich nicht an Haß gegen den Feind übertreffen, solange er auf seinem Boden stand, so müßte es doch jetzt, da er darniederliegt, die befreiende Gebärde finden, wenn es sich nur auf sich selbst besinnen wollte. Aber es findet sie nicht. Sollte mit seiner Seele etwas vorgegangen sein? Doch nein, wir glauben noch – und sollte auch dieser Glaube von einigen kindlich gescholten werden – an die alte Ritterlichkeit des katholischen Frankreichs. Aber dieses katholische Frankreich ist nicht frei. Vor dem Krieg schien es eine Weile, als machte es die Verfolgung frei. Nun aber hat es sich ganz in den Bann des Staates und seiner Machthaber begeben in der Hoffnung, von diesen wieder in sein Recht eingesetzt zu werden. Drum macht es die Vergewaltigungspolitik seines Verfolgers mit, drum warten wir vergebens auf ein versöhnliches Wort von unsern Brüdern in Frankreich.
Und doch, sie verleugnen uns umsonst. Sie verstehen nicht die Zeichen der Zeit. Nie hat die Kirche weniger vom Staate zu erwarten gehabt, sei es in Frankreich oder im übrigen Europa, als zu dieser Stunde. So scheint
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es fast, als müßte erst die Tuba eines neuen Weltgerichts, wie es von Osten droht, erdröhnen, damit die Mauern des Hasses, welche die Völker trennen, einstürzen. Viele verstehen den Sinn der Stunde noch nicht.
Kürzlich ließ sich Kardinal Mercier also vernehmen: ‚Der Friede muß auf der Grundlage der Gerechtigkeit aufgebaut sein, ohne die Schuldigen zu vergessen . . . Die Stunde des christliche Erbarmens wird später kommen.‘
Hat denn Gott uns allesamt noch nicht genug gezüchtigt, daß wir uns wie die Kinder in sein Regiment setzen und uns gegenseitig zu Richtern aufwerfen? Die Stunde des christlichen Erbarmens aber dauert immerdar, seitdem der Vorhang im Tempel in zwei Stücke riß; sie läßt sich nicht mehr aufschieben. Ich weiß, man erwartet von uns ein öffentliches Konfiteor. Aber wenn wir uns auch schuldig wissen – schämen wir uns heute doch der Art, wie wir zur theologischen Kasuistik griffen, um den Einfall in Belgien zu rechtfertigen -, so wären wir doch Heuchler, legten wir ein einseitiges Schuldbekenntnis ab und verhehlten dabei, daß wir die Schuld auch auf der anderen Seite sehen. Wie weit aber die Schuld geht, kann zur Stunde weder hüben noch drüben übersehen werden. Wo der Wille zum Verzeihen da ist, wird man sich die Schuld gegenseitig schenken, ohne die Höhe zu errechnen.
Diesen Versöhnungswillen werden wir nicht bei den offiziellen Größen des katholischen Frankreichs suchen, die sich teils klug zurückhalten, meist aber einem hemmungslosen Nationalismus huldigen. Unsere Hoffnung setzen wir auf das junge katholische Frankreich, auf das Hermann Platz in seiner Schrift ‚Die Früchte einer sozialstudentischen Bewegung‘ das junge katholische Deutschland hingewiesen hat. Die Sympathien, die uns zu ihm hingezogen, haben selbst die letzten Jahre nicht auszulöschen vermocht. Wenn wir von den Lücken hörten, die der Krieg in seine Reihen riß, trauerten wir mit ihm. Wir empfehlen das junge katholische Frankreich dem Schutze seiner in den ewigen Frieden eingegangenen Führer Lotte, Péguy, Psichari und all der namenlosen Helden, die es verlor, um an ihnen Fürsprecher zu gewinnen. Auf das überlebende junge Geschlecht aber vertrauen wir, daß es ein Herz, weit, tapfer und gläubig genug, habe, um die Einheit der Christenheit zu ersehnen und zu verwirklichen. Wer ein Buch, so frei von aller Menschenfurcht, so unerbittlich und so glühend von der Liebe zu Christus, wie den ‚Immolé‘ geschrieben hat, kann nicht versagen, wenn es gilt, den ewigen Gedanken Christi über die haßverzerrten oder stumpfen Zeitgedanken zum Siege zu verhelfen. Emile Baumann wird uns nicht enttäuschen. Oder Francis Jammes! Unmöglich ist uns der Gedanke, daß auch nur ein Tropfen Giftes die Reinheit und Sanftmut dieser franziskanischen Seele getrübt haben könnte. Nur ein gutes Wort aus solchem Munde, es wird wunderkräftig sein! Ja, wir bitten um dieses gute Wort. Es ficht uns nicht an, wenn man uns schmält, wir liefen Frankreich nach. Wir wissen, daß wir uns nichts hergeben. Denn der Stolz der Jüngerschaft Christi erfüllt uns.
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Wir haben uns zuerst an Frankreich gewandt, weil der französische Katholizismus ein ausschlaggebendes Gewicht in die Wagschale zu legen hat und weil uns der Widerstand, den wir gerade dort am stärksten spüren, am meisten zur Überwindung reizt. Wir vergessen darüber nicht das katholische Belgien, Italien, England und Amerika. Der englische Katholizismus hat seit seiner Emanzipation unsere Sympathien besessen. Wir schätzen seine Sozialpolitiker wie Manning, seine Gelehrten wie Acton, wir begeistern uns an den Oden seines Dichters Francis Thompson, und wir neigen in Verehrung unser Haupt vor seinem größten Theologen Newman. Wir wünschen den englischen Katholiken weitgehenden Einfluß auf die kirchenpolitische Regelung der Ostfragen. Mit Spannung verfolgen wir den politischen Zusammenschluß der italienischen Katholiken und begleiten ihn mit unsern guten Wünschen.
Die Katholiken der neutralen Länder aber seien auf das Vorbild der skandinavischen lutherischen Bischöfe verwiesen, die unter Führung des Erzbischofs von Upsala, Nathan Söderblom, sich um die Wiederherstellung der durch den Krieg so schwer erschütterten Einheit des Christentums, vor allem um das Zustandekommen einer internationalen christlichen Konferenz, bemühen. In den Olaus Petri-Vorlesungen zu Upsala haben sich protestantische Theologen aus England, Ungarn, Finnland, Dänemark, Norwegen und Deutschland über den christlichen Einheitsgedanken ausgesprochen.
In Deutschland selbst wird eine gewisse Zweifelsucht zu überwinden sein, die durch die bitteren Erfahrungen seit dem Waffenstillstand verstärkt worden ist. Aus einem Aufruf zur Verständigung hört der Skeptiker nur tönende Worte, nicht aber den Herzschlag heraus, der sie begleitet, oder er lächelt kleingläubig über die paar Idealisten, die Bergen von Haß gebieten wollen, sich hinweg zu heben. Doch das ist's, was uns ja allen fehlt, der Gaube und der Mut, Toren um Christi willen zu sein. Als der Krieg die Menschheit entzweite, sah uns Katholiken die Welt ohnmächtig, es zu verhüten. Vier Jahre währte der Krieg, und wir taten nichts, um uns geistig wiederzufinden. Seit einem halben Jahre ruhen die Waffen, und noch stehen wir abgewandt voneinander. Um des Ärgernisses willen, besinnen wir uns doch in zwölfter Stunde, wenigstens wir, daß wir alle eines Blutes sind, des Blutes Christi, und reichen wir uns die Hände.
Möge dieser schwache Ruf, der wie ein Lichtlein mit der Kraft der Liebe wider Sturm und Dunkel ankämpft, nicht ohne Widerhallt untergehen!
* * * Nachschrift der Redaktion. Diese Kundgebung, mit deren Abfassung wir unseren, der jungen katholischen Generation angehörenden Mitarbeiter Fritz Fuchs betrauten, ist der Ausdruck des Geistes, der unsere Monatsschrift und einen großen Teil seiner Mitarbeiter während des Kriegs beseelte. Die Zeitschrift brachte in diesem Zeitraum Nachrufe auf Joseph Lotte, Charles Peguy, Ernest Psichari, Albert de Mun, Würdigungen Emile Baumanns, Mauriacs, Vallery-Radots und Goyaus.
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Hochland erscheint in monatlichen Heften à 128 Seiten mit mindestens je einer Kunstbeilage am ersten eines Monats und kann durch alle Buchhandlungen und Postanstalten, sowie direkt von der Verlagsbuchhandlung bezogen werden. I Preis pro Quartal Mark 6.-, bei frankierter Einzelzusendung jedes Heftes unter Kreuzband Mark 6.60.
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Empfohlene Zitierweise
Fuchs, Friedrich Fritz, … und wir Katholiken?in: Hochland, Nr.8, S.113-116 vom Mai 1919, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 2868, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/2868. Letzter Zugriff am: 19.04.2024.
Online seit 04.06.2012, letzte Änderung am 24.10.2013.