Dokument-Nr. 2892
Hollweck, Josef an Pacelli, Eugenio
Eichstätt, 22. Juli 1919

Hochwürdigster und Gnädigster Herr!
Ew. Exzellenz!
Sofort nach Erhalt des gnädigsten Schreibens Ew. Exzellenz d. d. Rorschach 5. Juli habe ich mich an das eindringende Studium der Sache gemacht u. was ich in den 3-4 Tagen, die dazwischen liegen, da ich erst am 17. Juli das Schreiben erhielt, finden u. sammeln konnte, fasse ich kurz in die folgenden Sätze zusammen, von denen ich jedoch nicht zweifle, daß die Sache erschöpfend u. richtig aussprechen werde [sic].
I. Die in Frage stehende staatliche Exklusive ist keineswegs ein Kronrecht. Die preußische Regierung u. dienstbare Kanonisten belieben ja hier von einem Kronrecht, auch Majestätsrecht zu sprechen (vergl. z. B. Stütz, Prof. in Berlin, Die kath. Kirche u. ihr Recht, Bonn 1915, S. 4 flg.) aber der ist kirchlicherseits nicht anzuerkennen, oder auch nur nachzuforschen. Abgesehen von anderen kirchlichen Grundsätzen, die in im Wege stehen, kann nicht einmal ein historisches Recht
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von Seite der preußischen Regierung geltend gemacht werden, das durch eine gleichmäßige Übung begründet worden wäre. Die preußische Regierung hatte vor dem Jahre 1815, vor dem Wiener Kongreß, gar keine Gelegenheit ein solches Recht durch Übung zu begründen, da sie überaus geringe katholische Gebiete im 18. Jahrhundert unter sich hatte, wo sie ein solches Recht durch Übung hätte begründen können. Erst durch den Wiener Kongreß gingen die katholischen Gebiete u. Diözesen in den preußischen Staatsverbund über, so daß solche Übung hatte bestätigt werden können. Aber schon wenige Jahre nach dem Wiener Kongreß spricht das päpstliche Breve Quod de fidelium v. 16. Juli 1821 von der Verpflichtung, jede persona regi minus grata bei Wahlen auszuschließen. Die preußische Regierung hat auch nachmals keine einheitliche Übg, um mißfällige Wahlkandidaten den Wählern zu bezeichnen, eingehalten. Auch die vorherige Einreichung einer Kandidatenliste hat sich nur nach u. nach festgesetzt. Die Wähler wurden kirchlicherseits dazu nicht verpflichtet. Sie haben selbst diesen Weg beschritten u. es ist auch dieser Weg nicht als der ausschließliche von der Regierung bei den verschiedenen Erledigungsfällen anerkannt worden. Sehr häufig wurde über die Kapitel hinweg durch direkte Verhandlung mit der römischen Kurie eine Besetzung herbeigeführt. Das in Frage stehende "Recht" ist vielmehr eine tatsächliche, in einigen Fällen betätigte, also rein faktische Übung, welche sich versteht aus den von rein
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protestantischen Anschauungen beherrschten Regierungsgrundsätzen der preußischen Könige. Durch denselben hielten sie sich als Staatsoberhäupter auch ohne weiteres für die Inhaber geistlicher Gewalt, waren für die Protestanten die Landebischöfe schlechthin, übten das jus circa sacra u. auch das jus in sacra. Als sie katholische Gebiete erhielten, konnten sie den Katholiken gegenüber da Kirchenregiment (jus in sacra) nicht ausüben, sondern mußten es den Bischöfen überlassen, übten aber dafür ein um so mehr betontes jus circa sacra, eine sogenannte Kirchenhoheit als jus majestaticum. Alle deutschen Fürsten, protestantische u. katholische, sind von diesen genuin protestantischen Theorien angesteckt worden. Die Bischöfe erschienen darunter lange nur mehr als staatliche Beamte u. von diesen Gesichtspunkten aus ist auch die Einmischung in die Besetzung der Bistümer in Deutschland zu verstehen. Die Kurie, welche diese Anschauungen wohl kannte, hat die Wähler angewiesen, daß sie bei der Wahl aus Klugheitsrücksichten von allen Kandidaten absehen sollten, von welchen sie im Vorhinein wissen konnten, daß ihnen von Seiten der Inhaber der Staatsgewalten Schwierigkeiten in der Ausübung der geistlichen Gewalt entstehen würden. Das ist aber nicht nur Verleihung oder Anerkennung eines Kronrechts seitens der Kirche. Also weder Übung noch Anerkennung konnten ein sog. Kronrecht schaffen. Davon soll man kirchlicherseits auch jetzt nicht reden, denn es wird das wahrscheinlich sofort aufgegriffen u. als Anerkennung geltend gemacht. Gerade die Darlegung des Professor Stütz (der überhaupt eine bedeutende Rolle spielen dürfte) in der oben angezogenen Schrift ist schon ein
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ein Beweis hiefür.
II. In Anbetracht unserer gegenwärtigen Lage, die sich nur langsam klärt und heftigst u. wahrscheinlich noch ernsten Erschütterungen nach innen ausgesetzt bleibt, wäre es bei eintretenden Vakaturen, wie mir scheint, überaus wünschenswert, daß sofort der hl. Stuhl die Sache der Kirchenbesetzung vollständig an sich zieht u. durchführt. Es bedarf einer festen und einheitliche n Leitung, dabei, die nur durch den heiligen Stuhl garantiert ist. Es sind namentlich auch die Einflüsse sogenannter katholischer Politiker abzuweisen, die auch während des Krieges sich eingemischt viel mehr störend als fördernd für die Kirche gewirkt haben. Die Anschauungen, die politischen Interessen, die sich oft verbergen, die Einflüsse wissenschaftlicher Kreise, selbst Beziehungen mit akatholischen Kreisen, sind so vielgestaltig, daß besser auf Vorschläge hin, die eingeholt werden, als durch Wahlen u. vorausgehende Verhandlungen der Wahlkörper mit den Regierungen die Besetzung erfolgt, welche dann in freier einheitlicher Würdigung aller Verhältnisse durch den heiligen Stuhl vollzogen werden kann. Auch für Bayern würde ich das durchaus wünschenswert halten. Überhaupt dürfte es sich empfehlen, eine einheitliche Ordnung der kirchl. Verhältnisse für das ganze Reich anzustreben, etwa in einem Reichskonkordat, das ja Kardinal Consalvi schon auf dem Kongreß in Wien 1815 anstrebte. –
Das ist meine unmaßgebliche Anschauung in den von Ew. Eminenz den H. H. Staatssekretär aufgetragenen Punkten. Ich bitte ergebenst, dieselben zu übermitteln mit meinen ehrfurchtsvollsten Empfehlungen. Wie oft dachte u. denke ich an Rom! Die weiteren Anfragen werde ich in einem folgenden Schreiben zu erledigen suchen.
In tiefster Ergebenheit zeichnet
Ew. Exzellenz
untertänigster Diener
Dr. J. Hollweck, Can. u. Prof.
Empfohlene Zitierweise
Hollweck, Josef an Pacelli, Eugenio vom 22. Juli 1919, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 2892, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/2892. Letzter Zugriff am: 25.04.2024.
Online seit 04.06.2012.