Dokument-Nr. 3188

Dunkmann, Karl: Der interkonfessionelle Friedensbund. Seine Begründung und seine Aufgabe. [Berlin], vor dem 05. Oktober 1920

Wer das Verhältnis der beiden Konfessionen in Deutschland, wie es sich jeweils geschichtlich darstellt, willkürlich zu ändern oder zu meistern versucht, der rührt an die wundeste und empfindlichste Stelle des deutschen Geisteslebens. Es ist daher sehr zu überlegen, ob es nicht geraten ist, dies gegenseitige Verhältnis lieber den Imponderabilien der religiösen Entwicklung zu überlassen. Nur das dringendste Erfordernis, das für beide Konfessionen gleichmäßig vorhanden wäre, dürfte daher die Berechtigung zu einem solchen Vorgehen abgeben. Wir sind nun allerdings der Meinung, dass ein derartiges Erfordernis, ja eine gebieterische Notwendigkeit vorliegt. Wir sind uns dann aber auch des ganzen Umfangs der Schwierigkeiten bewusst, die wir zu überwinden haben.
Beides muss daher zur Aussprache kommen. Wir haben eine politische Katastrophe hinter uns, die noch lange nicht zum Abschluss gekommen ist, die aber sicherlich nichts mit dem religiösen Konflikt zu tun hat, der sonst unser Vaterland auch politisch zermürbte. Dieser hinter uns liegende Weltkrieg war kein Religionskrieg und wenn bei seinem Ausgang der alte deutsche Parteihader in nie erlebter Heftigkeit wieder zum Ausbruch kam, wenn also auch der in diesen Parteien krystallisierte [sic] Gegensatz der Weltanschauungen und Konfessionen dabei eine Rolle spielte, so kann man doch sagen, dass weder der Krieg als solcher, noch der vom Feind endgültig diktierte Gewaltfriede nach keiner Seite hin religiöse oder gar konfessionelle Motive in sich trug. Was aber das Wiederaufleben des parteilichen und damit zum Teil des konfessionellen Haders betrifft, so hat sich sehr schnell gezeigt, dass eine völlige Umorientierung aller Parteien erforderlich ist, um den neuen Aufgaben gerecht zu werden. Doch davon später. An
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den Anfang unserer Charakterisierung der inneren Lage im Vaterland stellen wir die Tatsache, dass der Krieg selbst und sein Ende ein politisches und wesentlich ein wirtschaftliches Ereignis bildet.
Wir fragen, in welcher Verfassung an seinem Ende die Konfessionskirchen in Deutschland dastehen. Man antwortet gemeinhin so, dass man den Katholizismus als den siegreichen, den Protestantismus als den geschlagenen Faktor hinstellt. Man begründet das mit der durch die Revolution herbeigeführten Trennung von Staat und Kirche, die für den Protestantismus grundstürzend, für den Katholizismus vielmehr erleichternd gewesen sei. Allein in Wirklichkeit haben beide Teile ihren Schaden und beide ihren Vorteil dabei gehabt. Zwar ist nicht zu bestreiten, dass die Loslösung vom Staat die protestantische Kirche in der Wurzel schwer getroffen hat, zumal sie in einer Zeit erfolgt ist, in der auch im Innern der Protestantismus ohne ein festes Bekenntnisband als eine Summe zentrifugaler Kräfte befunden wird. Allein es ist dagegen zu bedenken, dass die protestantische Kirche außerhalb Preußens, schon in den alten Provinzen nicht annähernd so in Mitleidenschaft gezogen ist, wie im alten Preußen und zweitens ist daran zu erinnern, dass die eigentlichen Sieger in diesem Völkerringen, England und Amerika, protestantische Völker sind, auf die sich der deutsche Protestantismus mehr stützen kann, als dies der deutsche Katholizismus etwa in Beziehung auf Frankreich und Italien vermag. Und was die innere Auflösung des Protestantismus angeht, so besteht bei aller steigenden Differenzierung dennoch eine gemeinsame Geschlossenheit gegenüber dem christlichen Typus des Katholizismus. Beide Konfessionen stehen sich daher nach wie vor wie zwei religiöse Racen einander gegenüber, die in den politischen und wirtschaftlichen Erschütterungen der Zeit so gut wie unverändert geblieben sind.
Dabei aber hat sich doch von selbst eine tiefgehende Umstellung
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der innerpolitischen Orientierung für beide Konfessionen herausgestellt. Die Glieder der Protest. Kirche sind in erhöhtem Maß auf die politische Mitarbeit fast sämtlicher Parteien angewiesen. Diese Kirche kann ganz unmöglich fortan noch auf eine bestimmte Partei sich stützen, auch in ihrem positiven Teil nicht mehr wie früher. Es würde ihr sicherer Ruin als Volkskirche sein, wenn sie dies tun würde. Sie hat sich um ihrer selbst willen von aller Politik fernzuhalten. Genau derselbe Prozess macht sich aber auch auf katholischer Seite nunmehr nachdrücklich bemerkbar. Solange der Katholizismus im alten Deutschland in der Defensive stand, solange mochte er im alten Zentrum eine katholische Parteipolitik treiben, ob schon auch damals bereits die klare Erkenntnis vorwaltete, dass der Begriff einer katholischen Politik, wie Windhorst selbst formulierte, absurd sei. Denn Politik kann man nur treiben aus dem Interesse des Ganzen, des Vaterlandes, das Katholische aber umfasst nur einen Teil der vaterländischen Interessen, sowohl quantitativ, wie qualitativ. Von dem Moment aber an, wo dies selbe Zentrum, als ursprünglich katholische Defensivpartei zur positiven Mitarbeit im hohen Grade sich aufgerufen fühlte, mussten die rein politischen Interessen vorwiegen und die Einigkeit der Partei sprengen. Daher die Sezession der bayrischen Volkspartei, der christlichen Volkspartei und der Anhänger der deutsch-Nationalen und deutschen Volkspartei mit im Ganzen über einer Million Stimmenverlust. Der Prozess ist unaufhaltsam und er geht seinen weiteren notwendigen Gang. Eine integral geleitete Zentrumspartei ist solange ein Unding, als es sich hier um aufbauende Gesamtpolitik handelt und nicht mehr wie sonst um Geltendmachung der vermissten Parität. Jedenfalls führt die politische Entwicklung in Deutschland beide Konfessionen aus dem früheren Antagonismus heraus, führt sie zu einem ganz unbeabsichtigten Zusammenstehen. Katholiken und Protestanten finden sich mehr und
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mehr in allen Parteien zusammen und wenn bereits früher die christlichen Gewerkschaften auf neutralem politischen Boden beide Konfessionen vereinten, so ist nunmehr die Innenpolitik Deutschlands von selbst solch neutraler Boden geworden, auf dem die religiösen Differenzen so gut wie ganz zurückgetreten sind. Wir kämpfen heute um unsere Existenz als Volk, als Nation. Diese uns auferlegte bittere Aufgabe lässt die Gegensätze der Weltanschauungen so weit hinter sich, als nur irgend möglich. Sicher bleibt ein stark wirkender Untergrund gemeinsamer christlicher Weltanschauung bestehen. Dieser aber ist so beschaffen, dass er in keiner politischen Partei besonders programmatisch vertreten werden kann, dass er vielmehr die gemeinsame Losung aller derjenigen Parteien sein wird, die unser zerstörtes Volks- und Gesellschaftsleben mit positiven christlichen Kräften wieder herstellen wollen und den Utopien des Marxismus ablehnend gegenüberstehen.
Von hier aus glaube ich die Notwendigkeit verständlich gemacht zu haben, von der eingangs die Rede war, wo es hieß, dass ohne ein dringendes Erfordernis nicht an das konfessionelle Verhältnis in Deutschland gerührt werden solle. Aber nicht wir sind es, die willkürlich an dies Verhältnis rühren, sondern unsere eigene deutsche Geschichte zwingt uns dazu, dass wir uns trotz unseres religiösen Gegensatzes nunmehr doch zusammenfinden.
Indessen besteht nun doch keineswegs die Absicht, einen Bund zu gründen, in dem der Entwicklung der politischen Parteien nach irgend einer Richtung Vorschub geleistet wird. Der interkonfessionelle Friedensbund wird sich nicht berufen fühlen, sich in die innere Politik Deutschlands einzumischen. Nur den Hinweis auf das unabweisbare Zusammenstehen der Konfessionen entnehmen wir der politischen Geschichte der Gegenwart, nicht das Arbeitsgebiet selbst, denn dies liegt jenseits aller Politik, gleichsam in ihren Vor-
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hallen. Denn was vorher geht, bevor es reif ist zur Entscheidung als Kampfobjekt der Parteien, das ist doch im Grunde das Entscheidungsvolle in aller Geschichte. Es bereitet sich vor in den Tiefen der Volksseele, es drängt ans Licht, es sucht Form und Gestaltung und wenn es ihm gelingt, zum Faktor zu werden, mit dem man rechnen muss, dann bemächtigt sich die Politik ihrer. Dann aber ist es auch gemeinhin mit ihrer wahren Geschichte von innen gesehen vorbei. Es ist wie der Marxismus zum Dogma geworden und zur stahlharten Partei.
Wir bewegen uns lediglich in diesen Vorstadien der Politik. Wir sehen eine Bewegung sich vollziehen, die noch in den ersten Anfängen ist, die aber unaufhaltsam um sich greift, die bereits für die Politik bedeutsam wird, das ist die interkonfessionelle Bewegung. Wir aber verfolgen sie nicht weiter in die Politik hinein, wir wollen sie fruchtbar machen auf ganz anderem Boden, der uns mehr Humus zu enthalten scheint, als der steinige Boden der Parteipolitik.
Dieser Boden ist nun auf der entgegengesetzten Seite auch nicht das religiös-konfessionelle Leben. Vielmehr finden wir dies für uns in noch viel höherem Grade unzugänglich, als die Politik es ist. Wir haben so zu sagen zwischen zwei zwei 1 Stacheldrahtzäunen mit nicht geringer Vorsicht unsere Marschrichtung zu suchen. Wir denken jedenfalls nicht daran, uns in das innere Heiligtum des kirchlichen Lebens auf beiden Seiten irgend einzumischen. Den Grundsatz der Verfassung: Die Kirchen regeln ihre Angelegenheiten selbst, werden wir auch für uns anerkennen. Wir erbitten von den Leitern und Hütern des kirchlichen Lebens nur dies, dass sie ihren Gliedern Erlaubnis erteilen, sich frei außerhalb der Kirche und ihres Dogmas in unserem Kreis mit Andersgläubigen zu bewegen. Sie werden nicht umhin können, es zu tun, denn tatsächlich findet die Vermischung statt, wie wir nachgewiesen haben und absperren kann keine Konfession heute mehr ihre Herde gegenüber der anderen. An diesem Punkt liegt freilich die
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Situation für die katholische Kirche wesentlich anders, als für die evangelische. Denn hier war die Kirche niemals nach außen begrenzt, daher die Vermischung des gläubigen Teils mit der sogenannten "Welt" von Anfang an ihre Geschichte bestimmt hat. Dennoch hat sie sich nach unerhört schweren inneren Kämpfen behauptet und wird sich weiter behaupten. Die katholische Kirche wird es leichter vermögen, wenn sie einmal nach dieser Seite die Pforte zur Welt mehr öffnet. Und sie muss es doch tun, denn sie selbst sieht die wachsende Gefahr des Abfalls der Massen, die in den romanischen Ländern sich erschreckend vollzieht, auch für Deutschland heraufziehen. Die Klage über die Entfremdung der Gebildeten, die für den Protestantismus seit zwei Jahrhunderten an der Tagesordnung war, die dieser aber nunmehr auch einigermaßen bestanden zu haben scheint, fängt für den Katholizismus erst an, akut zu werden. Die Methode aber der Sammlung der Gläubigen jenseits der Kirchenmauern in immer neuen immunisierten Vereinen, in Berufsständen und Alters- wie Geschlechtsgruppen, die der deutsche Katholizismus in letzten Jahrzehnten steigend mit Meisterhand gehandhabt hat, um schließlich in einem umfassenden katholischen Volksverein das katholische Deutschland außerhalb des unmittelbar kirchlichen Lebens zu organisieren, wird sicher an diesem einen und wichtigen Punkt versagen. Sie wird für die kirchliche Erziehung der Massen Großes leisten, aber sie wird die Erziehung zur gemeinsamen vaterländischen und nationalen Aufgabe unmöglich leisten können, ganz abgesehen davon, dass sie nicht imstande sein wird, den anhebenden Prozess der Vermischung auf neutralem Boden zu verhindern, was sie auch nicht will.
Damit stehen wir aber bereits unmittelbar vor den Aufgaben, die der interkonfessionelle Friedensbund als die seinen betrachten kann und muss. Sie können nach zwei Seiten auseinander gelegt werden, nach
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theoretischen und praktischen Gesichtspunkten.
Theoretisch handelt es sich zuerst um die Herstellung einer gemeinsamen christlichen Front gegenüber unchristlichen und antichristlichen Zeitströmungen. Beide Konfessionen haben zu viel gemeinsames biblisches Gut, um dies nicht auch gemeinsam zu verteidigen, zumal wenn der Angriff mit vereinten Kräften organisiert wird. Es geht heute nicht mehr wie früher um konfessionelle Prinzipien , sondern um christliche, es geht um die Erhaltung und Bewahrung einer christlichen deutsch en Kultur. Ja, man kann noch einen Schritt weiter gehen und sagen, dass es um die Religion überhaupt gehe oder um die haarscharfe Alternative einer religionslosen oder religiösen Lebensanschauung. Die Welt- und Naturbetrachtung einerseits, die soziologische Betrachtung von den Fundamenten des Gesellschaftslebens steht immer unter dieser Alternative. Kurz, das moderne Ringen um eine religiöse Weltanschauung ist es, was den Gebildeten beider Konfessionen am Herzen liegt und worin beide einander wohl helfen können, zumal sie von verschiedenen wertvollen Gesichtspunkten ausgehen. In dem hinter uns liegenden ersten Jahrgang der "Deutschen Monatshefte" ist der praktische Beweis erbracht, dass gerade in diesen theoretischen Fragen die gemeinsame Erörterung und das gemeinsame Durchdenken überaus förderlich und heilsam ist und dass es auch anstandslos durchzuführen ist. Gelehrte aus beiden Lagern haben ihre zum Teil hervorragenden Arbeiten dem beiderseitigen Leserkreis dargeboten, ohne auf der Gegenseite den geringsten Anstoß zu erwecken. Diese Aufgabe also kann ohne weiteres bestehen bleiben und damit dem Geist des Materialismus, des Pessimismus, des Okkultismus, der unser Geschlecht zu bannen droht, begegnet werden.
Das positive Ziel dabei, das immerwährend vor Augen bleiben
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wird, damit diese Arbeit nicht in unfruchtbarer Negation verläuft, wird die Herausstellung der Grundlinien einer christlichen Weltanschauung sein, die den Gottesgedanken in den Mittelpunkt rückt , den Geist der christlichen Ethik, der Wahrhaftigkeit und Liebe pflegt und das soziale Verantwortungsgefühl im Sinne völkischer und menschlicher Solidarität schärft .
In allen diesen gemeinsamen Aufgaben bewegen wir uns rein theoretisch, diskutieren die gemeinsamen Probleme und bilden so zu sagen eine "christliche Akademie", eine christliche Hochschule für uns selbst. Wenn dabei die konfessionellen Unterschiede zur Aussprache gelangen, so ist das nur förderlich für beide Teile, wird aber auch geeignet sein, Achtung vor der Überzeugung des Anderen hervorzurufen. Daran hat es aber nur zu sehr in Deutschland gefehlt.
Sodann <aber>2 wird es sich um praktische gemeinsame Aufgaben handeln und diese sind die wichtigeren. Schon jetzt bestehen eine ungezählte Menge von Vereinigungen praktisch-sozialer Natur, in denen Katholiken wie Protestanten ganz selbstverständlich zusammenarbeiten. Die Not der Zeit hat sie zusammengeführt und hält sie dauernd zusammen. Ich erinnere in erster Linie an die "christlichen Gewerkschaften" in denen die gemeinsame christliche Weltanschauung die moderne Arbeiterklasse geschlossen marschieren lässt. Ich erinnere an die Organisationen für Volksbildung, Volkshochschulwesen, Volkswohlfahrt, Wohnungsfrage u.s.w., ferner an die Gründung des Bundes für Erneuerung, der selbstredend auch keinen Unterschied zwischen den Konfessionen macht, dabei aber doch das christliche Ethos stark heraustreten lässt. Ich erinnere an die deutsche Gesellschaft für soziales Recht, zur Bekämpfung der Unzucht, zur Veredlung des Lichspielwesens, resp. Unwesens, auch an ästhetische Bestrebungen kann erinnert werden, wie an den Dürerbund. Die Übersicht ließe sich leicht erweitern und
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vervollständigen. Alle diese Vereine würden in erster Linie als Mitglieder des interkonfessionellen Friedensbundes zu gewinnen sein. Der große Gewinn würde sein, dass die latente Tendenz zum religiösen Frieden zur bewussten erwachsen würde und so der Wille zum Frieden und zur Eintracht das ganze Volk durchziehen würde. Jetzt leben alle diese Vereinigungen mehr unbewusst nach dieser Richtung und wirken daher nicht mit dem Nachdruck, der erforderlich ist. Eine umfassende Spitzenorganisation müsste den unbewussten Willen erwecken und zur Tat reifen lassen.
Aber dies Bewusstwerden eines bereits wirksamen sozialen Willens setzt eine eigene Organisation voraus, die sich Maß und Grenzen der gemeinsamen Arbeit durch ernste Prüfung von beiden Seiten selbst bildet. Denn die Grenzen der Konfessionen, wie sie geschichtlich geworden sind, sollen ja nicht berührt werden, aber das große Gebiet gemeinsamer völkischer Interessen soll aufgedeckt werden.
Hinter aller dieser gemeinsamen Arbeit aber steht als treibendes Motiv die Sorge um das Volk, die Erhaltung der schwer bedrängten Nation. Was jene Spezialvereine nur an einem geringen Ausschnitt vornehmen, die Gesundung der Nation, steht prinzipiell im Vordergrund.
Der interkonfessionelle Friedensbund will die umfassende nationale Vereinigung werden , die auf christlicher Grundlage diese Gesundung anstrebt. Er will Pfadfinderdienste tun, um immer neue Gebiete aufzuspüren, auf denen das Christentum verdrängt ist und wieder Boden gewinnen muss. Er will helfen, wo irgendein kleines Glied der Arbeit in Not und Gefahr steht. Er will kurz die Zentralstelle sein für gemeinsame christliche Bestrebungen im ganzen Vaterlande.
Selbstverständlich wird er dabei auch, was bisher gar nicht gesagt wurde, weil es eben in der Natur der Sache liegt, eifersüchtig darauf wachen, dass der konfessionelle Friede nicht willkürlich und
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taktlos gestört wird. Immer noch wiederholen sich derartige Fälle auf beiden Seiten, immer noch entgleist hier oder da ein Übereifriger, dessen Fehltritt dann von der Gegenseite öffentlich aufgebauscht wird, womit dann von neuem die alte Kluft der Jahrhunderte sich auftut und es den Anschein hat, als seien wir doch noch ebenso weit, wie vor 3-4 hundert Jahren in den Zeiten der ersten schärfsten Auseinandersetzung.
Schließlich ist noch ein geschichtlicher Rückblick auf ähnlich frühere Versuche interkonfessioneller Vereinigung von besonderem Interesse, damit wir den geschichtlichen Punkt erkennen, wo wir mit unseren Bestrebungen uns vorfinden. Aus der Geschichte ist immer am meisten zu lernen, sie zeigt uns Abwege, die zu vermeiden sind aber sie zeigt auch wirkliche Wege, die gangbar sind. Es sei zuerst erinnert an die großzügigen persönlichen Bemühungen eines Leibnitz, an die analogen Bestrebungen der Romantiker, an das machtvolle Eintreten führender Geister in Kunst und Wissenschaft der Neuzeit, bei Richard Wagner und Paul de Lagarde oder auch bei Politikern wie Constantin Frantz. Alle diese Bemühungen sind gescheitert, weil keine Organisation ihnen entsprang. Dann sind auch Versuche zu derartigen Bildungen gemacht worden. Bald nach Beendigung des Kulturkampfes, nachdem beide Parteien sich zu der Erkenntnis ihrer beiderseitigen Unüberwindlichkeit durchgerungen hatten und gleichzeitig die nationale Notwendigkeit des Zusammenstehens zur Wahrung der idealen Kulturgüter erkannt hatten, regten sich die Kräfte zum Zusammenschluss, so besonders in Süddeutschland, in Nürnberg unter Führung des Kirchenrats Schiller. Doch war die Zeit nicht reif. Erst der Ausbruch des Weltkrieges, der alle Parteien zur gemeinsamen Verteidigung des Vaterlandes aufrief, schuf auch für die Annäherung der Konfessionen günstigen Boden. Ein
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bleibendes literarisches Denkmal dieser Bewegung ist das bekannte Buch von Thimme: Zum inneren Frieden. Indes kommt bei der großen Fülle der hier zur Besprechung gelangenden Gegensätze der konfessionelle Gegensatz doch zu kurz. Sehr wirksam und den irenischen Geist verbreitend war dann das gemeinsame Werk der deutschen katholischen Bischöfe und Gelehrten, die Abwehr des französischen Pamphlets: La guerre allemande et le Catholizime [sic], betitelt: Deutsche Kultur, Katholizismus und Weltkrieg/Frbg. 1915/ In diesem fand der deutsche Protestantismus eine Würdigung, wie niemals zuvor von maßgebender katholischer Seite./vgl. bes. die Aufsätze von Bischof Faulhaber, Domdekan Franz Kiefl und Dr. K. Hoeber/ Als dann anstelle der Begeisterung der Augusttage 1914 im Sommer des Jahres 17 ein geheimes Zittern durch den Leib der Nation ging vor einem möglichen unglücklichen Endausgangs des Kriegs, da war es die beginnende Not, die mehr noch als der Siegesrausch zuvor die Glieder des Volks zusammenführte. Es kam damals zu einem wirklichen ernst gemeinten Versuch, zur Bildung einer "vaterländischen Vereinigung" an der sich sofort die hervorragendsten Männer und Frauen des Vaterlandes beteiligten. Ein "Dernburgscher Ausschuss" stand an der Spitze. Allein in der baldfolgenden Verwirrung der inneren Front, in dem Wiederaufleben der parteilichen Gegensätze ging die Bewegung spurlos unter.
Ein neuer Ansatz erfolgte spontan unmittelbar nach der Revolution bei der Neubildung der Parteien aus Anlass der ersten Wahlen zur Nationalversammlung. Damals fanden sich mehrere Männer in Berlin in der Idee zusammen, den vom "Zentrum" jetzt energisch betonten Charakter einer allgemeinen christlichen Volkspartei durch Zuführung weiter protestantischer Kreise zu unterstützen. Allein diese Berliner "Evangelische Bewegung im Zentrum" verlief erfolglos, sie war offenbar verfrüht, wurde auch nicht von den führenden Kreisen des Berliner Zentrums genügend unterstützt. Falsch jedenfalls war das Streben, eine
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interkonfessionelle Annäherung sofort auf dem heißen Boden der politischen Parteien zu versuchen. Doch hatte dieser Ansatz wenigstens den Erfolg, dass aus ihm die Gründung der "Deutschen Monatshefte", herausgegeben von Katholiken und Protestanten/Reichsminister Giesberts, Prof. Dr. Briefs und Prof. D. Dunkmann/ hervorging, die seither mit wachsender Abonnentenzahl und zunehmender Beteiligung von hervorragenden Mitarbeitern aus beiden Lagern den praktischen Beweis geliefert hat, dass tatsächlich beide Konfessionen sich auf zahlreichen Gebieten zu gemeinsamer nationaler Arbeit sehr wohl zusammenfinden können. Wenn sich eigentümlicher Weise gerade die protestantischen Theologen dem Unternehmen fern gehalten haben im Unterschied von katholischen Geistlichen und Gelehrten, so gibt dies immerhin zu denken. Offenbar liegt der Verdacht eines versteckten politischen Unternehmens, zu Gunsten der Zentrumspartei, zu Grunde. Davon aber kann gar keine Rede sein. Jedenfalls ist die Zurückhaltung der protestantischen Theologen und Gelehrten auffällig gegenüber der bereitwilligen Mitarbeit der katholischen Kleriker.
Nunmehr ist aus dem Leser- und Mitarbeiterkreis der deutschen Monatshefte der vielfache Wunsch laut geworden, zu einem wirksamen organisatorischen Zusammenschluss zu gelangen, zur Gründung des "Interkonfessionellen Friedensbundes". Die Zeit muss nun lehren, ob auch dieser Versuch scheitern wird und ob die deutsche Nation in ihren verantwortlichen Führern das Vaterland auch für die Zukunft dem konfessionellen Hader oder doch dem sterilen Misstrauen überlassen will. Wir haben das Vertrauen zum deutschen Volk, dass es seine weltgeschichtliche Stunde begriffen hat. Mögen seine Führer, zumal die Theologen auf beiden Seiten, beweisen, dass sie Männer sind, die nach vorwärts schauen und nicht bloß nach rückwärts. Ist doch dies das Grundmotiv, unter dem heute alle Arbeit zum Wiederaufb au getan werden muss, dass wir " vergessen, was hinter uns liegt und ausschauen
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nach dem, was vor uns ist." Dabei mag jeder die innere Treue bewahren zu dem, was ihm aus der Vergangenheit heilig und lebenswert dünkt. Jetzt gilt es, zusammen zu stehen, Feinden gegenüber, die mit infernalischer Grausamkeit uns dauernd zu Sklaven erniedrigen wollen uns andererseits Geistesströmungen im eigenen Land gegenüber, die uns dem kulturellen und religiösen Abgrund zu treiben.
Noch einmal heben wir hervor, dass die Zeit des konfessionellen Streitens vorbei ist. Mögen Kleriker und Theologen den charakteristischen Unterschied geistig oder noch besser "geistlich" erfassen und festhalten. Mögen alle, die ihrer Konfession zugetan sind, bleiben, was sie sind, beide aber nie vergessen, dass sie Menschen sind mit gleicher naturrechtlicher Bestimmung, Deutsche zu gleichen gesetzlich garantierten Rechten und Pflichten und endlich zumeist Christen mit gleichen göttlichen Verheißungen und irdischen Aufgaben.
1Hds. gestrichen von unbekannter Hand.
2Masch. eingefügt.
Empfohlene Zitierweise
Dunkmann, Karl, Der interkonfessionelle Friedensbund. Seine Begründung und seine Aufgabe, [Berlin] vom vor dem 05. Oktober 1920, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 3188, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/3188. Letzter Zugriff am: 29.03.2024.
Online seit 14.01.2013.