Dokument-Nr. 41
Michaelis, Georg an Pacelli, Eugenio
Berlin, 24. September 1917

Euerer Exzellenz
geneigtes Schreiben vom 30. v. M. habe ich zu erhalten die Ehre gehabt und bitte den Ausdruck meines aufrichtigen Dankes für die gütige Übersendung der interessanten Mitteilungen entgegen zu nehmen.
Wie ich aus dem Schreiben Euerer Exzellenz entnehme, will der Herr Kardinalstaatssekretär seine Bemühungen für baldige Herbeiführung eines gerechten und dauerhaften Friedens wirksam fortsetzen; ich nehme hiervon mit lebhafter Genugtuung Kenntnis, da die Wünsche der Kaiserlichen Regierung mit diesen Bestrebungen Seiner Eminenz vollkommen übereinstimmen.
Euere Exzellenz wollen mir gestatten zu der mir gütigst übermittelten Abschrift eines Telegramms der Königlich Großbritannischen Regierung an ihren Gesandten bei dem Heiligen Stuhle nachstehendes zu bemerken:
Die Kaiserliche Regierung schließt sich der Auffassung an, daß eine genaue Präzisierung der Kriegsziele denjenigen Weg bildet, auf dem sich unter Umständen eine Einigung unter den kriegführenden Parteien wird erzielen lassen. Denn gerade eine scharfe Prä-
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zisierung der gegenseitigen Bedingungen wird es ermöglichen zu übersehen, ob durch eine Prüfung im Geiste eines verständigen Entgegenkommens vorhandene Gegensätze beseitigt werden können. Für die Behandlung der zu untersuchenden Punkte wird ohne Zweifel eine gewisse Ordnung und Reihenfolge festzulegen sein; hierbei werden auch nach unserer Ansicht die auf Belgien bezüglichen Fragen in erster Linie Beachtung zu finden haben.
Alle Einigungsversuche müssen aber - und hierauf möchte ich vor Eintritt in Einzelheiten besonders hinweisen - von vornherein zur Unfruchtbarkeit verurteilt sein, wenn nicht bei dem Austausch der Meinungen derjenige Geist von Objektivität und Achtung vor dem Standpunkt des Gegners vorwaltet, für den gerade Seine Heiligkeit der Papst während der ganzen Dauer dieses furchtbaren Krieges den Völkern ein so leuchtendes Vorbild gegeben hat.
Bei unseren Gegnern ist im allgemeinen die Tendenz hervorgetreten, den Mittelmächten die alleinige Schuld an dem Kriege aufzubürden und von ihnen in einem Tone zu reden, als habe ein Angeklagter vor dem Tribunale strenger Richter zu erscheinen. Wir haben mit aufrichtigem Bedauern wahrgenommen, daß auch in dem von Euerer Exzellenz mir übermittelten Telegramme der Königlich Großbritannischen Regierung Auffassungen anklingen, die den eben geschilderten entsprechen. Und doch sind nach den uns zugegangenen Berichten manch-
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mal auch in den Äußerungen leitender englischer Staatsmänner objektivere Auffassungen zu Tage getreten, die von uns angenommen werden könnten und dem Urteil entsprechen dürften, daß die Geschichte dereinst über die Entstehungsursache dieses gewaltigen Kampfes als Wahrheit feststellen wird.
Nur ein solcher Geist der ruhigen Beurteilung und der Versöhnlichkeit kann eine für einen erfolgreichen Gedankenaustausch günstige Atmosphäre schaffen. Es würde mit dem berechtigten Stolze des deutschen Volkes vollkommen unverträglich sein, auf dem Boden anderer Anschauungen oder Gefühle sich mit seinen heutigen Gegnern zu einer Diskussion über die Möglichkeit und die Bedingungen eines Friedens zu begegnen.
Ich habe mir erlaubt, diesen Gesichtspunkt so ausführlich hervorzuheben, nicht zu dem Zweck, alte Kontroversen, die jetzt mehr als drei Jahre lang die Völker entflammt hatten, wieder zu beleben und das Friedenswerk zu erschweren, sondern gerade in dem Bestreben, durch genaue Umschreibung jener seelischen Voraussetzungen, - auch bei unseren Gegnern - ohne welche alle noch so wohlgemeinten Versuche ergebnislos bleiben müßten, dem Friedenswerke den Weg zu ebnen.
Wenn sich unsere heutigen Gegner darauf berufen, daß sie als Antwort auf die Note des Präsidenten Wilson ihre Kriegsziele mitgeteilt hätten, so dürfte es nicht überflüssig sein, schon jetzt darauf hinzuweisen, daß die damals bekannt gegebenen Kriegsziele als Grund-
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lage eines Meinungsaustausches nicht in Erwägung gezogen werden können, da sie einen Ausgangspunkt zur Voraussetzung haben, der dank der Standhaftigkeit des deutschen Volkes niemals eintreten wird: nämlich eine völlige Niederwerfung Deutschlands und seiner Verbündeten. Wollte Deutschland Kriegsziele veröffentlichen oder seinen heutigen Gegnern mitteilen lassen, die von der umgekehrten Voraussetzung, d. h. von einer völligen Niederwerfung seiner heutigen Gegner ausgingen, so würde unseres Erachtens die Sache des Friedens hierdurch nicht gefördert, sondern geschädigt; denn die Abweichungen der gegenseitigen Forderungen wären so groß, daß auch der beste Wille verzweifeln müßte, eine Einigung für möglich zu halten. Sollte es im gegenwärtigen Augenblicke zu Gesprächen über die Möglichkeit des Friedens kommen, so könnten sie nur auf einer neuen Grundlage geführt werden - auf der Grundlage nämlich, daß zur Zeit keine von beiden Parteien besiegt sei und keine der anderen moralisch oder politisch etwas zumute, was von einem stolzen Volke, selbst wenn es besiegt wäre, nicht ertragen werden könnte.
Sind wir mithin im heutigen Stadium der Dinge noch nicht in der Lage, dem Wunsche Euerer Exzellenz zu entsprechen und eine bestimmte Erklärung über die Absichten der Kaiserlichen Regierung im Hinblick auf Belgien und auf die von uns gewünschten Garantien zu entsprechen, so liegt der Grund hierfür keineswegs darin, daß die Kaiserliche Regierung grundsätzlich der
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Abgabe einer solchen Erklärung abgeneigt wäre oder ihre entscheidende Wichtigkeit für die Frage des Friedens unterschätzte oder glaubte, ihre Absichten und die ihr unumgänglich nötig scheinenden Garantien könnten ein unübersteigliches Hindernis für die Sache des Friedens bilden, sondern lediglich darin, daß ihr gewisse Vorbedingungen, die eine unbedingte Voraussetzung für die Abgabe einer derartigen Erklärung bilden, noch nicht genügend geklärt zu sein scheinen.
Hierüber Klarheit zu gewinnen, wird das Bestreben der Kaiserlichen Regierung sein, und sie hofft - falls die Umstände ihr Vorhaben begünstigten - in nicht allzu ferner Zeit in der Lage zu sein, Euere Exzellenz über die Absichten und nötigen Forderungen der Kaiserlichen Regierung, insbesondere in Bezug auf Belgien, genauer unterrichten zu können.
Ich darf schon jetzt der uns beseelenden Hoffnung Ausdruck geben, daß das große Unternehmen Seiner Heiligkeit des Papstes, den Völkern nach so vielen Schrecknissen dieses beispiellosen Kampfes die Segnungen des Friedens wieder zu schenken, von vollem Erfolge gekrönt sein möge.
In ausgezeichneter Hochachtung habe ich die Ehre zu verharren als
Euerer Exzellenz
ergebenster
Michaelis
Empfohlene Zitierweise
Michaelis, Georg an Pacelli, Eugenio vom 24. September 1917, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 41, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/41. Letzter Zugriff am: 28.03.2024.
Online seit 24.03.2010, letzte Änderung am 12.01.2016.