Dokument-Nr. 4425

Hartmann, Felix von: Besuch Seiner Eminenz des hochwürdigsten Herrn Cardinals von Hartmann im Grossen Haupt-Quartier auf Einladung des Herrn Generalfeldmarschalls von Hindenburg, vor dem 18. Juli 1918

I.
Kathedrale in Reims (Oberstleutnant Wetzel).
Die Kathedrale in Reims ist von den deutschen Truppen in einem Bogen eng umschlossen in der Weise, dass nur der Süden frei bleibt; die Zufahrt-Wege von Süden sind schlecht. Von den Türmen der Kathedrale aus ist unser rückwärtiges Gelände weit einzusehen. Solange der Franzose diese Möglichkeit im allgemeinen nicht ausnutzte (militärischer Betrieb war allerdings auf der Kathedrale öfters zu beobachten – vgl. Berichte an S. Eminenz) konnte die Kathedrale von der deutschen Artillerie geschont werden. Neuerdings benutzt der Franzose die Kathedrale häufig als Observatorium; eine dauernde Schonung ist daher unmöglich. Die einzige Rettung ist, wenn die Franzosen Reims räumen, was für sie rein militärisch durchaus vernünftig wäre, weil die Besatzung – vielleicht ca. 9 Infanterie Bataillone [sic] – unter dem konzentrischen Feuer der deutschen Artillerie liegt. Lediglich Prestige-Gründe halten den Franzosen von der Räumung ab.
NB. Die von Engländern und Franzosen zerschossene Kathedrale von St. Quentin hatte nach einer ausdrücklichen [sic] Ludendorffs keine deutsche Beobachtung.
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II.
Fliegerangriffe auf rückwärtige Städte. (Exzellenz Ludendorff)
Es ist wiederholt angeregt worden, bezüglich der Fliegerangriffe auf hinter der Front gelegene Städte ein internationales Abkommen zu treffen, in dem die Fliegerangriffe etwa auf einen bestimmten Streifen hinter der Front beschränkt würden. Ludendorff erklärt das Abschliessen bzw. Innehalten eines solchen Abkommens kategorisch für unmöglich.
Das Werfen von Bomben aus Flugzeugen ist ein neues Kriegsmittel, mit dem gerechnet werden muss, dessen Gebrauch keinem Feinde verdacht werden kann, solange er sich bemüht, Bomben ausschliesslich auf kriegswichtige Objekte (Bahnen, Kriegsmaterial-Fabriken u.ä.) zu werfen. Dass die Bomben häufig ihr Ziel nicht erreichen und unschuldige Zivilisten treffen, ist zu bedauern, aber nicht zu verhindern. Trotz der vielen Fehlwürfe bleiben die Bomben ein geeignetes Mittel den Kriegsbetrieb des Feindes wirksam zu stören.
Es ist auch nicht möglich, eine Kategorie von Städten festzulegen, auf die Bomben nicht geworfen werden dürfen. Es befinden sich eben in allen Städten kriegswichtige Objekte z.B. der Bahnhof.
Die deutschen Flieger bewerfen grundsätzlich nur Orte mit kriegswichtigen Objekten. Es kann allerdings geschehen, dass ein deutscher Flieger sich gezwungen sieht, seine Bomben über völlig kriegsunwichtigen Objekten abzuwerfen, besonders dann, wenn er sein Ziel aus irgend welchen Gründen (z.B. Nebel) nicht hat erreichen können und
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nun wegen der Gefahr einer Landung mit Bomben sorgen muss, dass er seine Bomben vor der Landung irgendwo über feindlichem Gebiet los wird.
Ludendorff gesteht ausdrücklich zu, dass er unseren Gegnern unfaire Kriegsführung nicht vorwerfen könne. (Oberstleutnant von Bauer ist allerdings der Meinung, Ludendorff urteile in diesem Punkte zu günstig für unsere Feinde.)
Wenn der h. Vater glaube, wegen Einschränkung der Fliegerangriffe sich an die Mächte wenden zu sollen, so wäre es der deutschen [sic] Obersten Heeresleitung sehr angenehm, wenn der Papst zuerst bei der Entente vorstellig würde, die ohne Zweifel ablehnend antworten werde. Wenn Deutschland zuerst gefragt werde und so zuerst ablehnend antworten müsse, so werde die ganze Welt von neuem darin einen Anlass zum Schimpfen über die "Barbaren" finden.
Der h. Vater soll in diesem Sinne verständigt werden.
III.
Der O sten. (Generalmajor Bardenwerffer).
Die Deutsche Oberste Heeresleitung wünscht im Osten ein Schutzgebiet gegen Russland zu schaffen. Deshalb soll an der Ostsee aus Kurland, Livland, Esthland ein selbständiges Balticum als Kronland Preussens entstehen. Südlich soll sich anschliessen der Staat Litauen unter einem katholischen deutschen Bundesfürsten in Personalunion. Litauen soll auch Wilna erhalten und das Gebiet südlich bis zur Ukraine. Auf diese Weise wird das zu bildende polnische Grossherzogtum Warschau von Russland getrennt.
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Für eine Konsolidierung Litauens in dem vorgesehenen Umfange ist von grösster Bedeutung, die Besetzung des Bischofsstuhles von Wilna mit einem Nicht-Polen.
Die Oberste Heeresleitung wünscht die Ernennung eines Litauers zum Bischof oder doch zum Administrator des Bistums Wilna. Rom hat darauf einzugehen abgelehnt, bevor die politischen Verhältnisse definitiv geregelt seien. So kam es leider dazu, dass der bisherige polnische Verweser von Wilna Canonicus Mickalkiewicz militärisch entfernt wurde. Er soll sich an der Abfassung eines Buches beteiligt haben, welches sich gegen Angliederung Wilnas an Litauen aussprach, und soll ausserdem den geistlichen Verfasser einer Gegenschrift strafweise versetzt haben.
Exzellenz Ludendorff gibt offen zu, dass der Karren z.Z. festgefahren sei. Nach langen Erwägungen über die schwierige Personalfrage greift Ludendorff einen Vorschlag auf, der dahin geht, Rom zu bitten, es möge der Bischof Karewicius von Kowno zum Administrator des Bistums Wilna ernennen. Man will versuchen, diesen Weg zu beschreiten.
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IV.
Wahlrecht – Ruhe im Innern – Streik (Oberstleutnant von Bauer)
Im Interesse der glücklichen Beendigung des Krieges ist es in hohem Grade erwünscht, dass im Innern Deutschlands Ruhe herrscht, dass insbesondere keine Streiks ausbrechen. Streiks sind bedenklich nicht aus rein militärischen Gründen – Kriegsmaterial ist genügend vorrätig, auch würde das Militär sofort energisch eingreifen – sondern wegen der moralischen Wirkung auf die Bevölkerung sowohl, wie auf die Truppen.
Die Unruhe im Innern wird vor allem begünstigt durch die erregten Verhandlungen über die Neuordnung des Wahlrechtes. Die Oberste Heeresleitung hätte deshalb am liebsten, wenn die Bischöfe gegen das gleiche Wahlrecht, das ja zugleich Schule und Kirche bedroht, Front machen würden. (Leider ist das unmöglich, weil die Bischöfe sich dadurch der Gefahr aussetzen würden, ihren ganzen Einfluss auf die Masse zu verlieren).
Bezüglich der Gefahr ausbrechender Streiks stellt Referent fest, dass unter den Arbeiterorganisationen die sog. wirtschaftsfriedlichen die zuverlässigsten seien, so die kath. Fachverbände (Berlin) unter Dr. Fleischer. Was die christl. Gewerkschaften angeht, so hält Referent eine Einflussnahme auf dieselben durch Bischöfe und Klerus für sehr aussichtsvoll, eventl. könnte auch nach Meinung des Referenten dem Zentrum eine Einflussnahme auf die Gewerkschaften nahegelegt werden. Ein beruhigender Ein-
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fluss auf die christlichen Gewerkschaften würde sich leicht weiter verbreiten auf die Polen und die Hirsch-Dunckerschen.
Dass eine Einflussnahme auf Zentrum oder direkt auf die Gewerkschaften viel Aussicht auf Erfolg biete, wird bestritten. Zugegeben wird freilich, dass die Bischöfe und der Klerus mit viel Aussicht auf Erfolg den kath. Volksteil zur Ruhe und in gewissem Umfange auch zum Unterlassen von Streiks ermahnen können.
Empfohlene Zitierweise
Hartmann, Felix von, Besuch Seiner Eminenz des hochwürdigsten Herrn Cardinals von Hartmann im Grossen Haupt-Quartier auf Einladung des Herrn Generalfeldmarschalls von Hindenburg vom vor dem 18. Juli 1918, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 4425, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/4425. Letzter Zugriff am: 28.03.2024.
Online seit 13.07.2011.