Dokument-Nr. 4463
Boelitz, Otto an Pacelli, Eugenio
Berlin, 28. April 1922

Euer Exzellenz danke ich fuer das gefaellige Schreiben vom 16. Februar d. J. - 23287 – und die Uebermittelung der Anregungen des Herrn Kardinal-Fuerstbischofs von Breslau. Die erörterten Punkte sind von hier bereits im vorvorigen und vorigen Jahre mit den Vertretern der preussischen Herren Bischoefe und den Herren Kardinaelen von Breslau und Koeln in vertrauensvoller und erfolgversprechender Weise eroertert worden.
Indem ich meine besondere Aufmerksamkeit dem Punkte III der Anregungen zuwende, dessen unverzuegliche Inangriffnahme in meinem Schreiben vom 6. Januar d. J. - G II 33 – in Aussicht gestellt ist, gebe ich zunaechst meiner Befriedigung darueber Ausdruck, dass der Preussischen Staatsregierung keine Stellungnahme zugegangen ist, wonach der Heilige Stuhl die dem frueheren Koenige gegebenen Bewilligungen als nicht mehr bestehend ansehe. Die Preussische Staatsregierung steht auf dem Standpunkt, dass die Bulle de salute animarum und die uebrigen Vereinbarungen mit dem Heiligen Stuhle, welche die Abgrenzung der Dioezesen und die Besetzung der Bischofsstuehle, Dignitaeten und Kanonikate innerhalb Preussens betreffen, fuer das jetzige Staatsgebiet unveraendert in Kraft geblieben sind. Jede andere Behandlung wuerde zwar nicht die Anpassung der preussischen Gesetzgebung an die Reichsverfassung hindern, waere aber doch geeignet, gesetzlichen Massnahmen, die, wie die Erhoehung der
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Dotationen der Bistuemer oder der Pfarrbesoldung, aus der Reichsverfassung nicht herzuleiten sind, schwere Hemmungen zu bereiten. In der durch Euer Exzellenz Schreiben vom 16. Februar d. J. eroeffneten Verhandlung, die ich mit dieser meiner, zunaechst ohne Befassung des Staatsministeriums ergehenden Antwort gern aufnehme, glaube ich vielmehr ein Anzeichen erblicken zu koennen fuer die Auffassung, dass eine einseitige Kraftloserklaerung vereinbarter Bestimmungen umso weniger beabsichtigt noch auch zweckmaessig ist, als im Wege der Verhandlung das erstrebte Ziel in gegenseitigem Einvernehmen zu erreichen sein duerfte.
Zu der Anpassung der in Preussen geltenden und als Landesgesetze erlassenen Cirkumskriptions- und Dotationsbullen an die Reichsverfassung wird es eines preussischen Gesetzes beduerfen. Bei Einbringung dieses Gesetzes wird sich bei dem Interesse fuer den Gegenstand und angesichts der staatlichen Dotierung die Frage erheben, welche Art der Ergaenzung der Domkapitel in Zukunft an die Stelle der staatlichen Ernennung treten wird. In dieser Beziehung bitte ich Euer Exzellenz, mir gefaelligst naehere Mitteilung zugehen zu lassen. Der Wunsch der Preussischen Staatsregierung geht dahin, dass vor Ernennung der Domproepste und der Haelfte der Domherren dem Staate die Kandidaten genannt werden.
Was die Bischofswahl angeht, so wird durch einen Verzicht des Staates auf das jus exclusivae und auf die Bestel-
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lung eines staatlichen Wahlkommissars die vereinbarte, dem Domkapitel zustehende Wahlberechtigung nicht beruehrt. Die Preussische Staatsregierung wird, wie ich bestimmt annehmen kann, aus nahe liegenden, der geschichtlichen Entwicklung und den Wuenschen des katholischen Volksteiles zu entnehmenden Gruenden bei dieser Gelegenheit die Vereinbarung wuenschen, dass das Wahlrecht auch in Zukunft beibehalten werde und bittet um eine entsprechende Zusage des Heiligen Stuhles. - Wie sehr bei Ausuebung der Wahl die Ruecksichtnahme auf die Eintracht zwischen Kirche und Staat im Interesse beider Teile liegt, ist sowohl in dem fuer Altpreussen ergangenen Breve "Quod de fidelium" aus dem Jahre 1821 wie auch in dem fuer die Oberrheinische Kirchenprovinz im Jahre 1827 ergangenen Breve "Re sacra" ausgesprochen worden. Es waere erwünscht, wenn nach der in Aussicht genommenen Abaenderung der preussischen Gesetzgebung in einer vorher zu vereinbarenden Weise der in jenen Breves ausgesprochene Gesichtspunkt zu Gunsten der Regierung des Preussischen Freistaates erneut zum Ausdruck gebracht wuerde. Ich wuerde es aber ferner begruessen, wenn das gegenseitige Vertrauen auch noch in der kuenftigen Wahlpraxis sichtbaren Ausdruck faende in der Weise, dass die in Aussicht genommenen Kandidaten vor der Wahl der Preussischen Staatsregierung bekannt gegeben wuerden.
Die unter I, II, IV, 1 IX des Schreibens des Herrn Kardinal-Fuerstbischofs von Breslau gegebenen Anregungen stehen saemt-
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lich in Beziehung zu dem preussischen Gesetz, betreffend die Anstellung und Vorbildung der Geistlichen. Wenn bisher nach Benehmen mit den Herren Bischoefen die Abaenderung dieses Gesetzes noch nicht in Angriff genommen worden ist, so steht das vor allem in Zusammenhang mit der starken Erhoehung der Pfarrgehaelter, die unter der Geltung dieses Gesetzes erfolgt ist. Die Zuschuesse des Staates zu den Besoldungen der katholischen Pfarrer, welche frueher rund 5.600.000 M betrugen, sind vom Rechnungsjahre 1920 ab auf mehr als 47.000.000 M erhoeht worden. Ausserdem sind vorlaeufige Leistungen erfolgt, die sich zum Beispiel fuer das Rechnungsjahr 1921 schaetzungsweise auf 80.000.000 M belaufen.
Der hier unverbindlich und mit Ruecksicht auf die Pfarrbesoldung gemachte Vorschlag, ohne unmittelbaren Zwang fuer die Kirche gewisse Mindestbedingungen fuer den Bezug der erhoehten Gehaelter in das bevorstehende preussische Pfarrbesoldungsgesetz aufzunehmen, findet, wie ich aus Euer Exzellenz Schreiben ersehe, Widerspruch. Ein anderer Weg zu dem gleichen Ziele wuerde gefunden sein in einer Vereinbarung, durch die der Heilige Stuhl dasjenige Mass staatlicher Interessen sicher stellen wuerde, das angesichts der Besoldung der Pfarrer und ihrer Gleichstellung mit akademisch gebildeten Beamten auch fuer die Zukunft nicht wohl entbehrt werden kann. Zu diesem Zwecke schlage ich vor, dass auch in Zukunft die Uebertragung eines geistlichen Amtes mit staat-
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licher Zustimmung geschehe, wenn es sich um einen Auslaender oder um einen Geistlichen handelt, der nicht das Reifezeugnis einer deutschen hoeheren Lehranstalt erworben und nicht mindestens 3 Jahre auf einer deutschen Universitaet oder einem deutschen bischoeflichen Seminar oder einer gleichartigen Anstalt in Rom studiert hat.
Die vorstehenden Darlegungen geben die Hauptgesichtspunkte fuer die zu treffenden Vereinbarungen an, ich darf mir aber vorbehalten, weitere Punkte im Laufe der Verhandlung zur Eroerterung zu stellen.
Zum Schluss erlaube ich mir darauf hinzuweisen, dass die Preussische Staatsregierung seit Erlass der Reichsverfassung bei Anwendung der geltenden Gesetze den Wuenschen der beteiligten kirchlichen Stellen anerkanntermassen weitestens2 Entgegenkommen bewiesen hat.
Gestatten Euer Exzellenz den Ausdruck meiner besonderen Verehrung, womit ich die Ehre habe zu sein
Euer Exzellenz
ergebenster
gez. Boelitz.
Preussischer Minister fuer Wissenschaft,
Kunst und Volksbildung
Pacelli übersandte dieses Schreiben erstmals 1922, siehe Dokument Nr. 446.
1Handschriftlich eingefügt.
2Handschriftlich korrigiert: weitestes.
Empfohlene Zitierweise
Boelitz, Otto an Pacelli, Eugenio vom 28. April 1922, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 4463, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/4463. Letzter Zugriff am: 29.03.2024.
Online seit 29.01.2018.