Dokument-Nr. 447
Becker, Carl Heinrich an Pacelli, Eugenio
Berlin, 01. Juli 1922

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Euerer Exzellenz
habe ich bei dem Essen am 22. Juni d. J. eine Mitteilung über die Aufbauklassen in Aussicht gestellt. Demzufolge beehre ich mich die folgenden Darstellungen zu machen:
Die Reichsverfassung weist in Art. 143 Abs. 2 die Lehrerbildung der höheren Schulbildung zu. Das in Aussicht gestellte Reichsgesetz ist noch nicht ergangen. Da aber die bisherige preussische Lehrerbildung dem Ziele der Reichsverfassung nicht entspricht, so machte Preussen schon im laufenden Rechnungsjahre den Versuch mit der Errichtung von 50 sogenannten Aufbauklassen. Diese werden an Orten an denen bisher Lehrerbildungsanstalten waren, errichtet und sollen nach den Absichten der Unterrichtsverwaltung höhere auf den Besuch der Volksschule aufgebaute Schulen nach dem Typus der Oberschule oder der Oberrealschule sein und mit dem Reifezeugnis abschliessen. Eine Denkschrift über die deutschen Oberschulen erlaube ich mir beizufuegen. Die Befähigung zum Volksschullehramt würde nach den Plänen der Unterrichtsverwaltung in Zukunft durch Zurücklegung einer höheren Schule und daran anschliessende Fachbildung erfolgen. Die sogenannte Aufbauschule würde also allgemein bildende höhere Lehranstalt sein, die nicht etwa lediglich für die Vorbereitung zum Lehrberufe dient. Andererseits würden auch alle anderen höheren Schulen Gymnasien, Realgymnasien, insbesondere aber auch Oberrealschulen geeignet und bestimmt sein, die Anwärter zum Volksschullehrerberufe aufzunehmen.
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Nun sind aber die höheren Schulen in Preussen grundsätzlich paritätisch. Eine Ausnahme bilden nur einige konfessionelle Anstalten für die männliche Jugend und zahlreiche private Mädchenbildungsanstalten. Dieser paritätische Charakter aber hindert nicht, dass sie nach der Zusammensetzung des Lehrkörpers in katholischen Gegenden tatsächlich ganz oder überwiegend katholisch sind. Dieser Zustand hat sich bisher bewährt und auch auf konfessioneller Seite im allgemeinen keinen Widerspruch gefunden. Demzufolge sind nun auch die neu errichteten untersten Klassen der Aufbauschule in jeder Weise als höhere Schule aufgezogen, d. h. sie tragen grundsätzlich paritätischen Charakter, und auch die Zahl der Religionsstunden ist hier die gleiche wie bei allen anderen höheren Schulen. Mit dieser Regelung hat sich auch das Zentrum einverstanden erklärt und es hat dies, soweit ich urteile, unbedenklich tun können. Denn die besondere Fachbildung für den Lehrberuf würde, wenn die Entwicklung zum Abschluss kommt, auf Fachschulen verlegt werden und das Zentrum würde dabei mit allem Nachdruck die Forderung vertreten, dass entsprechend der durch die Reichsverfassung zugelassenen Konfessionalität der Volksschulen auch diejenigen Einrichtungen geschaffen werden, die eine dem Charakter der Volksschule entsprechende Lehrerbildung tatsächlich gewährleistet [sic]. Bei dieser Sachlage glaubt der Herr Kultusminister, dass kirchlichen Interessen durch die Einrichtung der Aufbauklassen keine Hindernisse bereitet werden.
Genehmigen Euer Exzellenz den Ausdruck ausgezeichneter Verehrung, womit ich die Ehre habe zu sein
Euer Exzellenz ergebenster
(gez.) Becker.
Empfohlene Zitierweise
Becker, Carl Heinrich an Pacelli, Eugenio vom 01. Juli 1922, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 447, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/447. Letzter Zugriff am: 29.03.2024.
Online seit 31.07.2013.