Dokument-Nr. 463
Bertram, Adolf Johannes an Pacelli, Eugenio
Breslau, 10. Februar 1924

Hochwürdigster Herr Apostolischer Nuntius!
Exzellenz!
Soeben erhalte ich Eurer Exzellenz geschätztes Schreiben vom 7. d. M. - No. 29692. - betreffend Aenderungen im preußischen Gesetze über kirchliche Vermögensverwaltung. Da ich auf mein Schreiben vom 22. April 1923 über neun Monate nichts mehr erhalten hatte, haben die Verhandlungen, deren Abschluß von allen Kirchengemeinden dringend verlangt wird, ihren ruhigen Fortgang genommen. Die Weisung "salvo ad informare la Santa Sede prima di impegnarsi definitivamente" nötigt mich, um eine geneigte Mitteilung zu bitten, ob der weitere Gang der Verhandlung jetzt unterbrochen werden soll. Das ist allerdings im gegenwärtigem [sic] Stadium sehr schwer möglich. Der Entwurf ist, nachdem das Cultus-Ministerium im wesentlichen die Vorschläge der Fuldaer Bischofskonferenz angenommen hatte, vom Cultusministerium und jetzt auch vom Staatsministerium genehmigt und geht nunmehr an den Staatsrat zur Stellungnahme, alsdann an den Landtag. Es müßte also jetzt, wenn der festgestellte Entwurf dem Heiligen Stuhle erst vorgelegt werden soll, das Cultusministerium telegraphisch ersucht werden, beim Staatsministerium zu veranlassen, daß die Einreichung an den Staatsrat und Landtag verschoben würde. Das mag ja noch möglich sein.
Ob das aber praktisch ist, dürfte zu bezweifeln sein.
Bezüglich des Frauenwahlrechts habe ich nochmals am 29. Dezember 1923 an den mit den Einzelverhandlungen beauftragten Ministerial-Rat Schlüter geschrieben:
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"aktives und passives Wahlrecht der Frauen wird Aufsehen erregen. Es kann nur ein tolerari potest ausgesprochen werden, und zwar dann, wenn sonst der Gesetzentwurf mit seinen Verbesserungen gefährdet würde."
Nach Ihrem Schreiben ist das auch der Standpunkt des Heiligen Stuhles, was mich beruhigt.
Das Ansinnen des Ministerialrats, zu erklären: Sozialdemokraten können nicht darum, weil sie Sozialdemokraten sind, vom Kirchen-Vorstande ausgeschlossen werden, habe ich am 29. Dezember 1923 energisch abgelehnt und bemerkt, eine solche Erklärung würde der Episkopat niemals abgeben.
Um bezüglich der Stellungnahme des Episkopats keine Mißdeutung aufkommen zu lassen, habe ich statt: der Episkopat hat dem Entwurfe zugestimmt, erklärt: er hat den im Entwurfe enthaltenen Aenderungen der seitherigen Gesetze - also den Verbesserungen - zugestimmt, und in diesem Sinne hat die Bischofskonferenz Zustimmung zur Einbringung des Entwurfs gegeben.
Im übrigen handelt es sich nicht um ein eigentlich neues Gesetz, sondern um Beseitigung von Härten des seit 1875 bestandenen Gesetzes. Tatsächlich hat nach Ueberzeugung aller Bischöfe im wesentlichen der Staat konzediert, was billigerweise verlangt werden konnte und doch wohl nur die Rechte behalten, die gegenüber anderen juristischen Personen des öffentlichen Rechts bestehen.
Ich bin bereit, telegraphisch das Ministerium zu ersuchen, den Gang der Verhandlungen zu sistieren, kann aber das Bedenken nicht unterdrücken, daß das unliebsames Aufsehen erregen wird, und daß bei neuen Verzögerungen der Verabschiedung des Gesetzes und bei einer etwa eintretenden ungünstigeren Zusammensetzung der Parteien des Landtages eine Gefährdung des relativ günstigen Ergebnisses eintreten wird, während die Unsicherheit in den Bestimmungen der gesamten Vermögensverwaltung doch einen baldigen Abschluß erheischt.
Bei einer ganzen Reihe von Gesetzen hat es sich in den letzten
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Jahren gezeigt, daß es sehr bedenklich ist, den richtigen Zeitpunkt für [sic] Durchbringen im Landtage unbenutzt zu lassen.
Die Arbeit des Episkopats war nicht dahin gerichtet, dem Staate Conzessionen zu machen, was nur dem Heiligen Stuhle zusteht, sondern Härten und Fesseln der seither seitens der Kirche 49 Jahre geduldeten und benutzten Gesetzes [sic] zu beseitigen, was endlich in weitem Maße erreicht ist. Dieses Moment, daß der Episkopat nicht Conzessionen gemacht hat, daß alle Arbeit des Episkopats nicht konstitutiven, sondern purgativen Charakter hatte, möchte ich betonen, um der Befürchtung vorzubeugen, als habe der Episkopat Grenzen überschritten.
Der Episkopat ist der seit Jahrzehnten bestehenden Praxis betreffend Vermögensverwaltungsgesetze gefolgt. Bekanntlich sind auch bei verschiedenen andern bedeutsamen organisatorischen Vermögensverwaltungsgesetzen, soweit ich weiß, zum Beispiel <Gesetz>1 über Hebung von Kirchensteuern, über die Gesamtverbände katholischer Pfarrgemeinden, über die Bildung von kirchlichen Hilfsfonds für neu zu errichtende Pfarreien, über die Besoldung der Pfarrer u. a. m., vom Heiligen Stuhle die Verhandlungen der<n> Bischöfe<n>2 überlassen, ohne eine Vorlegung in Rom zu fordern, die ja auch, was ich salva summa reverentia wohl sagen darf, kaum praktischen Erfolg würde gezeitigt haben, da es sich um rein praktische Fragen handelt, die ganz verwachsen sind mit der Struktur der übrigen Landesgesetze, und ganz nach den Erfahrungen bezüglich Opportunität beurteilt werden müssen, unbeschadet Correktheit in den prinzipiellen Grundsätzen. Auch wird man in Rom nicht beurteilen können, welche Einzelbestimmungen bei der Majorität im Landtage auf Widerstand stoßen würden. Mehr als ein Kampf gegen die Härten und Hemmnisse des Gesetzes von 1875 bedeuten die Verhandlungen des Episkopates auch im vorliegenden Falle nicht. Ich bitte dringend, von einem den Fortgang der Verhandlungen jetzt aufhaltenden Entschlusse abraten zu dürfen, weil die Folgen keine guten sein würden, und weil alle katholischen Gemeinden den
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baldigen Abschluß der Verhandlungen erwarten. Daß in materieller und formeller Hinsicht korrekt zu handeln, das stete Bestreben der Bischofskonferenz gewesen ist, ist Eurer Exzellenz auch ohne die obigen Darlegungen genügend bekannt.
Mit einem Ersuchen an das Ministerium, den Gang der Verhandlungen aufzuhalten, darf ich wohl warten, bis Eure Exzellenz mir Nachricht geben, wobei ich bitten darf, der Vermutung vorzubeugen, als habe der Episkopat irgend eine Conzession gemacht, die zu machen einzig dem Heiligen Stuhle zusteht.
In tiefer Verehrung verbleibe
Eurer Exzellenz
ganz ergebener
A. Card. Bertram.
1"Gesetz" masch. nachträglich eingefügt, vermutlich vom Verfasser.
2Hds. gestrichen und eingefügt, vermutlich vom Verfasser.
Empfohlene Zitierweise
Bertram, Adolf Johannes an Pacelli, Eugenio vom 10. Februar 1924, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 463, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/463. Letzter Zugriff am: 20.04.2024.
Online seit 18.09.2015.