Dokument-Nr. 473
Pacelli, Eugenio an Boelitz, Otto
Berlin, 25. Juni 1924

Abschrift
Euer Exzellenz
sehr geschätzte Note vom 19. Mai d. J. mit Beilage ist in meine Hände gelangt, und nunmehr beehre ich mich im Namen des Heiligen Stuhles Euer Exzellenz Nachfolgendes zu eröffnen:
Zunächst erscheint es nicht notwendig, von neuem auf die von Euer Exzellenz im Eingang des genannten Schreibens berührte Frage des Weiterbestandes der alten konkordatären Vereinbarungen zurückzukommen, da die hierauf bezügliche Stellungnahme des Heiligen Stuhles in meiner Note Nr. 24439 vom 30. Juni 1922 bereits dargelegt worden ist. Ich gestatte mir jedoch darauf hinzuweisen, daß die finanziellen Leistungen des Preußischen Staates an die katholische Kirche, einschließlich der in den Circumskriptionsbullen festgelegten Summen, ihre rechtliche Grundlage letzten Endes in der Säkularisation der Kirchengüter haben und in der daraus fließenden Pflicht des Staates, die für die Befriedigung der kirchlichen Bedürfnisse notwendigen Mittel in objektiv hinreichendem Maße bereitzustellen. Die katholische Kirche ist gewiß bereit, der augenblicklichen finanziellen Bedrängnis des Staates Rechnung zu tragen; ander-
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seits darf aber auch nicht übersehen werden, daß diese Notlage vorübergehender Natur ist und demgemäß keine Grundlage für die definitive Lösung der Frage bilden kann.
Die von mir an den Herrn Außenminister des Deutschen Reiches, bei dem ich amtlich beglaubigt bin, am 20. März d. J. gerichtete Note Nr. 30071 bezog sich nicht ausschließlich auf Preußen, sondern auch auf andere deutsche Länder und war veranlaßt durch authentische Informationen seitens kirchlicher Behörden Deutschlands, aufgrund deren der Heilige Stuhl es für Seine unerläßliche Pflicht erachtete, gegen das einseitige Vorgehen verschiedener Länderregierungen formelle Verwahrung einzulegen.
Was die Sache selbst angeht, so haben Euere Exzellenz in der oben erwähnten Note den Standpunkt der Preußischen Regierung bezüglich der Erfüllung der genannten finanziellen Verpflichtungen folgendermaßen formuliert:
"Da … in Deutschland rechtlich die Reichsmarkwährung noch gilt, so liegt eine Verpflichtung des Preußischen Staates seine aus der Vorkriegszeit herrührenden auf Reichsmark lautenden Verpflichtungen im gleichen Betrage in Rentenmark oder Goldmark zu zahlen, nicht vor". Und weiter an einer späteren Stelle: "Was von den Dotationen der Bistümer gilt, findet auch auf die Erfüllung derjenigen Rechtspflichten Anwendung, welche dem Preußischen Staate gegenüber einzelnen kirchlichen Anstalten oder Körperschaften obliegen. Bezüglich dieser besteht eine Zahlungspflicht des Staates auch nur in Reichsmark". [
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Wenngleich der Ausdruck "im gleichen Betrage in Rentenmark oder Goldmark zu zahlen" eine mildere Auslegung zulassen könnte, so erscheint letztere durch andere Stellen des Textes wiederum ausgeschlossen, in denen ohne Einschränkung behauptet wird, der Staat sei nur gehalten, seine finanziellen Verpflichtungen in Papiermark zu zahlen.
Es ist ohne weiteres einleuchtend, daß eine solche Auffassung für den Heiligen Stuhl schlechterdings unannehmbar ist.
Zunächst sind in den Circumskriptionsbullen die Ausstattungen für die Diözesen nicht in Mark sondern in Thalern bezw. Gulden berechnet; zudem hätten sie in Grundzinsen auf Staatswälder bezw. in Grundbesitz festgelegt werden müssen.
Weiterhin bestand das Ziel der Circumskriptionsbullen und demgemäß auch das Wesen der darin übernommenen Pflicht des Staates darin, der Kirche eine angemessene und dauernd gesicherte Dotation ("congrua et firma dotatione") zu gewähren, was zweifellos am besten durch die oben erwähnten Grundzinsen bezw. durch Überweisung von entsprechendem Grundbesitz erreicht worden wäre. Da aber diese Verpflichtung durch den Preußischen Staat bisher leider noch nicht erfüllt worden ist, so verlangt offenbar der Begriff "firmitas" zum wenigsten, daß für den Fall der Geldentwertung der Staat gehalten ist, diese durch eine entsprechende Erhöhung der Dotationsziffern auszugleichen. Wenn endlich der Staat nur zur Zahlung in Reichsmark verpflichtet wäre, so würden
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infolge der vollständigen Entwertung dieser Währung die weitgehenden finanziellen Verpflichtungen des Staates durch ein Nichts "rechtlich" abgegolten werden. Eine solche Auffassung würde logischer Weise zu einer völligen Verneinung der Verpflichtung selbst führen. Dies aber wäre offenbar auch im Widerspruch mit anderen Äußerungen der dortseitigen Note, welche ausdrücklich die Fortdauer der in den alten konkordatären Abmachungen mit dem Heiligen Stuhl feierlich übernommenen Verpflichtungen anerkennen.
Aus dem oben dargelegten Standpunkt zieht die Note Euerer Exzellenz die Folgerung, daß die für die Bistümer vorgesehenen Zahlungen nur als "widerrufliche Zuschüsse" bezeichnet werden können. Während für die katholische Kirche eine derartige mutatio in peius verfügt wird, sind in demselben Etat die Leistungen für die protestantischen Behörden in Goldmark ohne jede einschränkende Klausel aufgeführt. Während weiterhin die Gehälter der protestantischen Beamten bestimmten Gruppen der Staatsbeamten angepasst sind und mit der Erhöhung der staatlichen Gehälter automatisch wachsen, trifft dies für die katholische Kirche nicht zu, für die jedes Mal eine besondere Neubewilligung des Staates verlangt wird. Alles das scheint um so weniger gerechtfertigt, wenn man berücksichtigt, daß der katholischen Kirche unbestreitbare Rechtstitel zur Seite stehen, auf welche die protestantische Konfession sich nicht oder nicht im gleichen Maße berufen kann.
Die sehr geschätzte Note Euerer Exzellenz kommt dann auch auf die Zahlungen zu sprechen, die der Preußische Staat
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tatsächlich in letzter Zeit an die katholische Kirche getätigt habe. Es würde zu weit führen, in eine genaue Prüfung der diesbezüglichen Ausführungen Euerer Exzellenz einzutreten. Indem ich vorab darauf verzichte, die rein vorübergehenden und aus ganz besonderen Gründen übrigens an beide Konfessionen erfolgten Zahlungen vonseiten des Reiches in den Kreis der zu erörternden Fragen einzubeziehen, möchte ich mich bezüglich Preussens auf den Hinweis beschränken, daß z. B. die den Erzbischöfen, Bischöfen und Kanonikern bezahlten Summen bis zum 1. Dezember 1923 auf Goldmark berechnet zweifelsohne niedriger waren als die in den Circumskriptionsbullen vorgesehenen. Dasselbe trifft für die Erzbischöfe und fast alle Bischöfe auch in der Zeit nach dem 1. Dezember 1923 zu, wie übrigens in der Note Euerer Exzellenz selbst zugestanden wird. Da diese Verminderungen ohne irgendwelche Einvernahme mit dem Heiligen Stuhl vorgenommen worden sind, so ergibt sich allein daraus schon die Berechtigung der Rechtsverwahrung, welche letzterer gegen ein derartiges einseitiges Vorgehen in der erwähnten Note vom 20. März eingelegt hat. Wenn ferner die Gehaltsziffern der Kanoniker und Vikare der Domkirchen sowie der Mitglieder des Aachener Kollegiatkapitels die in den Bullen vorgesehenen Ziffern in etwa überschreiten, so ist hierzu zu bemerken:
1. daß wegen der finanziellen Notlage und der Schulden, welche den Preußischen Staat vor ca [sic] 100 Jahren drückten, die Dotationen zum größten Teil sehr kärglich bemessen wurden,
2. daß infolge der fortschreitend sich vermindernden Kaufkraft der Mark der Nutzwert dieser Summen schon lange vor dem Jahre
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1914 derartig herabgesetzt war, daß die Gehälter eines Teiles der Bischöfe sowie der Dignitäre, Kanoniker und Vikare der Domkirchen und des Aachener Kollegiatkapitels für die honesta sustentatio der genannten Geistlichen bei weitem nicht mehr genügten, wodurch der Staat sich verpflichtet fühlte, vom Jahre 1906 ab nennenswerte Erhöhungen zuzugestehen.
Ein noch weniger günstiges Bild gewähren die Staatszuschüsse für die sonstigen Diözesanbedürfnisse (bischöfliche und Domkapitelsverwaltungen, Domkirchen, Domkurienbaufonds, Seminarien, Emeriten- und Demeritenanstalten, u. s. w.) und für die Pfarreien. Jedenfalls scheint, wenn man die Leistungen für die katholische Kirche und die protestantische Konfession miteinander vergleicht von einem besonderen "weitgehenden Entgegenkommen der Preußischen Kultusverwaltung gegenüber der katholischen Kirche" in Wirklichkeit nicht gesprochen werden zu können.
Nachdem die obigen Feststellungen im Interesse der notwendigen Klarheit in rechtlichem und tatsächlichem Belange erfolgt sind, nimmt der Heilige Stuhl mit Befriedigung von der Erklärung Kenntnis, daß Euere Exzellenz und der Herr Finanzminister "gerne bereit sind, im Wege der Verständigung mit der katholischen Kirche demnächst die künftig dauernd zu leistenden Zahlungen anderweit zu bestimmen, sobald in Deutschland mit einer sicheren Stabilisierung der Währung wird gerechnet werden können," und dass die vonseiten der Regierung erfolgten Schritte "nur einstweilige, durch die Not der Zeit erzwungene Maßnahmen" sind. Hieraus und aus der voraufgegangenen Darlegung ergibt sich, daß diese Neuregelung sich auf folgender Grundlage
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vollziehen müßte:
1. Inbezug auf die Bistumsdotationen – vorbehaltlich der Pflicht des Staates, dieselbe durch Überweisung von Grundstücken "pleno dominii jure singulis Ecclesiis tradendis" zu tätigen, und so lange [sic] diese Verpflichtung nicht eingelöst ist -:
a) volle Aufwertung der bullenmäßigen Nennbeträge bezw. der in den ersten Dotationsetats staatlicherseits angesetzten Beträge in Goldmark;
b) in den Fällen, in denen diese Sätze wegen der im Laufe der Zeit schon vor dem Weltkrieg eingetretenen Geldentwertung oder infolge Steigerung der kirchlichen Bedürfnisse zu gering geworden waren, sowie in den Fällen, in denen wegen der fast völligen Vernichtung des kirchlichen Kapitalvermögens die zur Bestreitung der Diözesanbedürfnisse mitverwendeten Geldeinkünfte in Wegfall gekommen sind, entsprechende Goldmarkerhöhung nach Maßgabe der jeweiligen Bedürfnisse. Dies gilt insbesondere für die Gehälter der Kapitelsgeistlichkeit und der bischöflichen Verwaltungen. Solange und soweit die gegenwärtige schwierige Finanzlage des Staates andauern sollte, ist die Kirche bereit, Einschränkungen zuzustimmen, die sich den vom Staat innerhalb seiner eigenen Verwaltung angewandten Sparmaßnahmen anpassen.
2. Betreffs der staatlichen Dotationen an Pfarreien zur Deckung der Besoldungskosten für Geistliche und weltliche Kirchenbeamte, der Kultus- und Baukosten, insbesondere der aufgrund der dem Staat mit der Säkularisation der Kirchengüter überkommenen
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diesbezüglichen Verpflichtungen:
a) volle Aufwertung der in den Dotationsetats oder sonst festgesetzten, oder früher gezahlten Nennbeträge auf Goldmark.
b) Erhöhung der jährlichen Leistungen in den hierfür in betracht [sic] kommenden Fällen ebenfalls nach Maßgabe des jeweiligen Bedürfnisses.
Indem ich mich der angenehmen Hoffnung hingebe, daß die Preußische Regierung die Gerechtigkeit und Billigkeit der gemachten Vorschläge anerkennt, und daß es auf diesem Wege gelingen wird, ehestens zu einer endgültigen Regelung der vorliegenden Angelegenheit zu gelangen, habe ich die Ehre, mit dem Ausdruck meiner vorzüglichsten Hochachtung zu verharren als
Euerer Exzellenz
ganz ergebenster
(gez.) +Eugen Pacelli
Erzbischof von Sardes,
Apostolischer Nuntius.
Empfohlene Zitierweise
Pacelli, Eugenio an Boelitz, Otto vom 25. Juni 1924, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 473, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/473. Letzter Zugriff am: 28.03.2024.
Online seit 18.09.2015.