Dokument-Nr. 5000

Bertram, Adolf Johannes: [Kein Betreff]. Breslau, 13. Januar 1922

Abschrift
In einer Zuschrift vom 9. Januar ds. Js. macht Herr Fürstbischöflicher Delegat Kapica in Polnisch-Oberschlesien auf Folgendes aufmerksam.
"Die Besetzung Oberschlesiens durch die polnischen Behörden ist nach der hier herrschenden Ansicht eine Frage nur weniger Wochen. In der Wojewodschaft werden alle preussischen kirchenpolitischen Gesetze ihre Geltung bis auf weiteres behalten. So wird, wie ich höre, auch der Fürstbischof von Breslau in Polnisch Schlesien als ein auswärtiger Bischof gelten, auf dessen Gewalt die Vorschriften des Preussischen Landrechts Anwendung finden sollen".
Hierbei wird es sich wohl handeln um das Allgemeine Preussische Landrecht II. Teil 11. Titel, § 135 ff., welche also lauten:
§ 135. Kein auswärtiger Bischof oder anderer geistlicher Oberer darf sich in Kirchensachen eine gesetzgebende Macht anmassen.
§ 136. Auch darf er irgend eine andere Gewalt, Direktion oder Gerichtsbarkeit in solchen Sachen ohne ausdrückliche Einwilligung des Staates nicht ausüben.
§ 137. Kein Vertreter des Staates, geistlichen oder weltlichen Standes, kann unter irgend einem Vorwande zu der Gerichtsbarkeit auswärtiger geistlicher Oberen zugezogen werden.
§ 138. Ist dergleichen auswärtigen Oberen eine Direktion oder Gerichtsbarkeit innerhalb der Grenzen des Staats zugestanden, so müssen sie zu deren Verwaltung einen vom Staate genehmigten Vi-
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karius innerhalb Landes bestellen.
§ 139. Ein solcher Vikarius muss nicht nur selbst die den inländischen Bischöfen vorgeschriebenen Grenzen genau beobachten, sondern auch nicht gestatten, dass diese Grenzen von seinem auswärtigen Obern überschritten werden.

Wenn auch seitens der Polnischen Regierung noch keinerlei Mitteilung an mich gelangt ist, so ist doch als sicher anzunehmen, dass die neu eintretende polnische Regierung mit Umsicht und Nachdruck die tunlichst rasche Lösung des an Polen fallenden Oberschlesiens von Breslau durchzusetzen bestrebt sein wird. Immerhin ist mindestens zu verlangen, dass diese Loslösung nicht übereilt werde und dass Conflikte tunlichst vermieden werden. Ob der heisse Wunsch der deutschsprechenden Oberschlesier, dauernd Glieder der Diözese Breslau zu bleiben, vom Heiligen Stuhle wird erfüllt werden können, lasse ich hier dahingestellt sein.
Was nun die Anwendung der oben zitierten Paragrafen betrifft, so wird es, wenn alle in Preussen jetzt geltenden Gesetze in Kraft bleiben sollen, sich fragen, ob
1.) die genannten Paragraphen heute noch ein aktuell geltendes Recht sind, während doch die Verfassung des Deutschen Reiches, die längst vor der Teilung Oberschlesiens in Kraft getreten ist, alle und jede Beschränkung der Kirche in Ordnung und Verwaltung ihrer Angelegenheiten aufgehoben hat. Reichsrecht bricht Landrecht, wie allgemein anerkannt wird. Also gelten jene Paragrafen längst nicht mehr.
Es ist ferner
2.) zu erwägen, dass die Bulle De salute animarum 1821 die sämtlichen an Polen fallenden oberschlesischen Pfarrgemeinden ausdrücklich dem Bischof von Breslau unterstellt hat, und dass diese
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Bulle durch Königliche Preussische Kabinettsorder vom 23. August 1821 zum Staatsgesetz gemacht ist. Sollen alle preussischen Gesetze in Kraft bleiben, so also auch dieses Gesetz vom 23. August 1821. Also ist der Fürstbischof von Breslau, der nach dem Landrechte von 1794 als jetzt auswärtiger Bischof gelten könnte, nach dem Gesetze von 1821 kein auswärtiger Bischof jenes Gebietes.
Es ist
3.) zu fragen, wie der Heilige Stuhl sich zu der Anwendung der zitierten Paragrafen stellen würde.
Um auf Plötzlichkeiten vorbereitet zu sein, gestatte ich mir, diese Angelegenheit schon heute zu geneigter Erwägung zu stellen.
Der Fürstbischof,
(gez.) A. Card. Bertram.
Empfohlene Zitierweise
Bertram, Adolf Johannes, [Kein Betreff], Breslau vom 13. Januar 1922, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 5000, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/5000. Letzter Zugriff am: 28.03.2024.
Online seit 31.07.2013.