Dokument-Nr. 516

Erzberger, MatthiasHertling, Friedrich Georg Graf von: Briefwechsel zwischen dem Reichskanzler Grafen Hertling und dem Reichstagsabgeordneten Erzberger, vor dem 27. Mai 1918

Als Manuskript gedruckt.
I.
Berlin, den 23. Februar 1918.
Budapester Straße 14.
Euer Exzellenz ,
Hochverehrter Herr Reichskanz l er,
Euer Exzellenz werden verstehen, wenn ich wünsche, in der mich und meine persönliche Ehre in hohem Maß berührenden Angelegenheit meiner Dezemberreise nach Wien, über die Exzellenz mit meinem Kollegen, dem Reichstagsabgeordneten Dr. Pfeiffer eine Rücksprache gehabt haben, klare Stellung zu nehmen. Euer Exzellenz sind, wenn ich richtig unterrichtet bin, des Glaubens, ich hätte in einer Unterredung mit Ihnen die Tatsache dieser Reise glatt bestritten und halten sich weiters zu der Annahme berechtigt, ich hätte Sie bewußt angelogen, wie Euer Exzellenz geäußert haben.
Ich sehe von allen Erwägungen ab, die Euer Exzellenz nahelegen könnten, wie schmerzlich es mich berühren muß, daß Euer Exzellenz, ohne sich die Mühe zu nehmen, mich überhaupt nur zu hören, sich derart über mich zu Kollegen äußern. Ich beschränke mich darauf, die Tatsachen festzustellen, und sie, soweit dies nötig, Euer Exzellenz ins Gedächtnis zurückzurufen.
Ich bin am 8. und 9. Dezember 1917 in Wien gewesen, ... Unmittelbar nach meiner Rückkehr aus Wien habe ich Euer Exzellenz über meine Reise berichtet und Ihnen zudem Grüße von Ihrer Cousine, der Baronin Hertling, Hofdame Ihrer Königlichen Hoheit der Frau Herzogin von Parma, überbracht.
Im Lauf der weitern Wochen erfuhr ich vom Kollegen Trimborn, daß Euer Exzellenz von drei Seiten Nachrichten über Aeußerungen zugegangen seien, die ich in Wien bei Ihren Majestäten über Eure Exzellenz und Ihre Politik gemacht haben sollte, und die, wenn sie tatsächlich gefallen wären, Euer Exzellenz mit Recht befremden mußten.
Da ich im Dezember Ihre Majestäten den Kaiser und die Kaiserin nicht hatte sehen können, und da ich mir überdies nicht bewußt war, in Wien derartige Aeußerungen getan zu haben, lag mir selbstverständlich daran, Euer Exzellenz hierüber persönlich aufzuklären.
Ich stellte hierbei – es war im Januar – ausdrücklich Euer Exzellenz gegenüber fest, daß ich die Majestäten überhaupt nicht gesehen hätte
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und daß daher die Basis für die Euer Exzellenz hinterbrachten Redereien und Anschuldigungen von selbst entfalle.
Euer Exzellenz werden zugeben, daß es mich angesichts dieses klaren Sachverhalts peinlich berühren muß, zu hören, daß Euer Exzellenz an der Auffassung festhalten, ich hätte meine Wiener Reise abgeleugnet, und Eurer Exzellenz damit bewußt in einer politischen Angelegenheit die Unwahrheit gesagt. Ich sehe ganz davon ab, wie wenig diese Annahme aus dem einfachen Grunde haltbar ist, daß des Bestreiten einer Auslandsreise unter den derzeitigen Grenzverhältnissen ein zu törichter Schritt wäre, als daß man ihn einem ernsthaften Manne zumuten könnte. Ich sehe weiters ganz davon ab, nachzuprüfen, welchen Sinn es denn eigentlich gehabt hätte, im Januar Euer Exzellenz gegenüber eine Reise abzuleugnen, über die ich Ihnen seinerzeit unmittelbar nach meiner Rückkehr berichtet hatte. Ich will endlich auch nicht in längere Untersuchungen darüber eingehen, warum ausgerechnet ich, der vom ersten Tage Ihrer Hierherberufung an, wie jeder der eingeweihten Kollegen mit bestätigen kann, sich rückhaltlos für Euer Exzellenz eingesetzt und alles getan hat, was zum Ausgleich anfangs bestehender und wie Euer Exzellenz sich erinnern werden, nicht unbeträchtlicher Meinungsverschiedenheiten dienen konnte, Euer Exzellenz gegenüber eine so ablehnende und wenig loyale Stellung einnehmen sollte, wie Euer Exzellenz dies zu meinem Bedauern anzunehmen scheinen.
Ich gebe mich aber der Erwartung hin, daß die von mir hier aufgezählten Tatsachen, sobald Euer Exzellenz sich nachträglich daran erinnert haben werden, Sie davon überzeugen werden, daß lediglich ein Mißverständnis den Anlaß zu der von Euer Exzellenz dem Abgeordneten Dr. Pfeiffer gegenüber ausgesprochenen Auffassung hat bieten können. Für eine Aufklärung in diesem Sinne wäre ich Euer Exzellenz dankbar, da sie mich in der [sic] Lage versetzen würde, weiterem Gerede unter meinen Kollegen rechtzeitig die Spitze abzubrechen. Im andern Fall wäre ich zur Wahrung meiner persönlichen Ehre genötigt, in der Fraktion die Sachlage aufzuklären, und mich mit Ernst und Entschiedenheit gegen mich schwerkränkende Vorwürfe solcher Art zu verwahren.
Mit dem Ausdruck der ausgezeichnetsten Hochachtung habe ich die Ehre, zu sein
Euer Exzellenz
ganz ergebener
gez. M. Erzberger,
Mitglied des Reichstags.

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II.
Reichskanzlei.
Berlin, den 27. Februar 1918.
Euer Hochwohlgeboren!
Der Herr Reichskanzler beauftragt mich, Ihnen mitzuteilen, daß er die bewußte Angelegenheit durch eine Besprechung mit den Herren Abgeordneten Gröber und Fehrenbach als für erledigt betrachtet.
Mit vorzüglicher Hochachtung
gez. Graf von Hertling
Rittmeister.

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III.
Berlin, den 1. März 1918.
Budapester Straße 14.
Seiner Exzellenz
d em Herrn Reichskanzler Graf von Hertling
Berlin.
Euer Exzellenz
ließen mir in Beantwortung meines Schreibens vom 23. Februar mitteilen, daß Eure Exzellenz "die bewußte Angelegenheit durch eine Besprechung mit den Herren Abgeordneten Gröber und Fehrenbach als für sich erledigt betrachten". Ich habe nicht verfehlt, mit diesen beiden Herren Rücksprache zu nehmen. Zu meinem Bedauern sehe ich mich jedoch auf Grund der mir gewordenen Mitteilungen nicht in der Lage, mich der Auffassung Euerer Exzellenz anzuschließen, da die Eindrücke, die die genannten Herren aus ihrer Unterredung mit Euerer Exzellenz gewonnen haben, von einander abweichen. Herr Abgeordneter Fehrenbach teilt mir seinen Eindruck dahin mit, daß Euere Exzellenz zugeben, daß ein Mißverständinis Ihrerseits vorliege, und daß Sie die Behauptung gegenüber dem Abg. Pfeiffer, ich hätte Sie bewußt angelogen, nicht mehr aufrecht erhalten würden. Herr Abg. Gröber hingegen sagte mir, daß er in einer Besprechung, die er mit Eurer Exzellenz an demselben Tage hatte, nicht den Eindruck gewonnen habe, daß Euere Exzellenz ein Mißverständnis auf Ihrer Seite zugeben.
Diese Sachlage macht es mir zur Notwendigkeit, nachstehende Tatsachen nochmals klarzustellen:
1. Ich habe Euerer Exzellenz gegenüber nie die Tatsache meiner Reise nach Wien am 8. und 9. Dezember in Abrede gestellt. Ich habe hierüber vielmehr alsbald nach meiner Rückkehr Euerer Exzellenz eingehenden Bericht erstattet. Auch dem Auswärtigen Amt, mit dessen Einverständnis ich diese Reise unternahm, habe ich darüber berichtet. Eine andere Reise nach Wien, als diese, habe ich während der Kanzlerschaft Euerer Exzellenz nicht unternommen.
2. Die Euerer Exzellenz unterbreitete Behauptung, ich hätte in Wien gegenüber Ihren Majestäten dem Kaiser und der Kaiserin abfällige Aeußerungen über Euere Exzellenz und Ihre Politik gemacht, ist eine
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Unwahrheit. Ich habe die Majestäten bei meiner damaligen Reise nicht gesprochen, und auch nicht anderswo, oder zu anderer Zeit gesehen.
3. Ebenso ist die Behauptung, ich hätte in Wien oder anderswo gegenüber irgendwem Aeußerungen dahin getan, daß die Kanzlerschaft Euerer Exzellenz nur von kurzer Dauer sein werde, und daß Euere Exzellenz als Katholik mit der Gegnerschaft Seiner Majestät des Deutschen Kaisers rechnen müßten, eine Unwahrheit. Nie und nirgends, weder in Wien noch anderswo, habe ich derartige Aeußerungen getan.
Jede Behauptung, die von diesen meinen Feststellungen abweicht, muß ich als freie Erfindung bezeichnen.
Es ist mir gleichermaßen peinlich, wie unerfreulich, auf diese Angelegenheit nochmals zurückkommen zu müssen. Bei der Verschiedenheit der Eindrücke jedoch, die die Herren Fehrenbach und Gröber von der Auffassung Euerer Exzellenz gewonnen zu haben scheinen, muß ich als Mann von Ehre und Gewissen darüber klarsehen, ob Herr Fehrenbach oder Herr Gröber Euere Exzellenz richtig verstanden hat. Angesichts des dargelegten Sachverhalts halte ich mich zu der Annahme berechtigt, daß das erstere der Fall ist.
Mit dem Ausdruck der ausgezeichnetsten Hochachtung habe ich die Ehre, zu sein
Euerer Exzellenz
ganz ergebener
gez. M. Erzberger,
Mitglied des Reichstags.

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IV.
Der Reichskanzler.
Berlin, den 4. März 1918.
Euer Hochwohlgeboren!
Durch meine Aussprache mit den Herren Fehrenbach und Gröber hatte ich meinerseits die Angelegenheit für erledigt gehalten, Ihr Schreiben vom 1. März veranlaßt mich jedoch, nochmals darauf zurückzukommen. Ich erinnere zunächst an den Hergang. Sie kamen zu mir, aus eigener Initiative, um mich über das auch Ihnen bekannt gewordene Gerücht aufzuklären, daß Sie bei einem Aufenthalt in Wien sich ungünstig über meine bisherige Stellung geäußert hätten. Ich bemerkte sofort, daß ich der Sache keine Bedeutung beigelegt hätte, da sich die Ihnen zugeschriebenen Aeußerungen sehr wohl in einem Sinne deuten ließen, die denselben eine gegen mich gerichtete unfreundliche Spitze nähme. Ihre sogleich mit großer Lebhaftigkeit einsetzende Erwiderung verstand ich dahin, daß Sie, – wie ich annehmen mußte, zu der betreffenden Zeit – garnicht in Wien gewesen seien, worauf ich mit ebenso großer Lebhaftigkeit und aufrichtiger Befriedigung erklärte, damit sei die Sache vollständig erledigt. Diese meine Auffassung habe ich unmittelbar danach den Herren meiner Umgebung mitgeteilt, und auch den Persönlichkeiten, die von jenem Gerüchte gesprochen hatten, übermitteln lassen. Selbstverständlich konnte es sich für mich nicht um einen Aufenthalt in Wien handeln, über den Sie mir berichtet hatten, ich nahm an, daß es sich um eine nochmalige Reise dorthin (1) gehandelt habe, und ging in meiner Befriedigung über die Erledigung der Sache meinerseits hierauf nicht näher ein. Selbstverständlich ist ebenso, daß der Besuch, indem Sie mir von Ihrem Aufenthalte in Wien erzählten, ein anderer war, (1) als der, den Sie mir zum Zwecke der Aufklärung über die Ihnen zugeschriebene Aeußerung machten. Denn wenn ich auch möglicherweise den Wortlaut Ihrer Aeußerungen falsch verstanden haben konnte, und während Sie etwa sagten, Sie seien garnicht "an Hof" gewesen, ich verstand, Sie seien garnicht "dort" gewesen, so hätte dieses Mißverständnis garnicht aufkommen können, oder wäre sofort beseitigt worden, wenn Sie mir bei dem gleichen Besuche von Ihrem
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Aufenthalte in Wien erzählt hätten. Ich aber hatte, wie gesagt, durchaus ein Eindruck gewonnen, daß ein solcher Aufenthalt zu der Zeit, in welche jene abfälligen Aeußerungen verlegt wurden, (1) garnicht stattgefunden habe. Meine Ueberraschung, als mir das Gegenteil unzweideutig nachgewiesen wurde, können Sie sich denken. Wenn also ein Mißverständnis unterlaufen ist, so muß ich feststellen, daß das Mißverständnis ein doppelseitiges und Ihnen meine Auffassung Ihrer Worte entgangen war, eine Auffassung, die ich, wie gesagt, unmittelbar nach Ihrem Besuch meiner Umgebung mitgeteilt habe.
Hochachtungsvoll
ergebenst
gez. Hertling.

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V.
Berlin, den 5. März 1918,
Budapester Straße 14
Seiner Exzellenz
Herrn Reichskanzler Graf von Hertling
Berlin.
Euer Exzellenz
Bestätige ich mit verbindlichem Dank den Empfang des Schreibens vom. 4. d. M. Euer Exzellenz haben sich, wie ich demselben entnehme, nunmehr davon überzeugt, daß in der bewußten Angelegenheit lediglich ein Mißverständnis vorlag, das zudem nach den Umständen der in Betracht kommenden zweiten Unterredung auch ein doppelseitiges sein konnte. Die Aufklärung, die Euer Exzellenz mir zu geben die Güte haben, erfüllt mich mit aufrichtiger Befriedigung, da der Gedanke, Euer Exzellenz könnten ernstlich an meiner Loyalität Ihnen gegenüber gezweifelt haben, für mich selbstverständlich äußerst peinlich sein mußte.
Mit dem Ausdruck der ausgezeichnetsten Hochachtung habe ich die Ehre, zu sein
Euer Exzellenz
ganz ergebener
gez. M. Erzberger,
Mitglied des Reichstags.
(1)Abg. Erzberger war während der Kanzlerschaft des Grafen Hertling nur einmal (8, 9. Dezember 1917) in Wien.
(1)Abg. Erzberger war während der Kanzlerschaft des Grafen Hertling nur einmal (8, 9. Dezember 1917) in Wien.
(1)Abg. Erzberger war während der Kanzlerschaft des Grafen Hertling nur einmal (8, 9. Dezember 1917) in Wien.
Empfohlene Zitierweise
Erzberger, Matthias, Briefwechsel zwischen dem Reichskanzler Grafen Hertling und dem Reichstagsabgeordneten Erzberger vom vor dem 27. Mai 1918, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 516, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/516. Letzter Zugriff am: 29.03.2024.
Online seit 02.03.2011, letzte Änderung am 10.03.2014.