Dokument-Nr. 533
Pacelli, Eugenio an Braun, Otto
Berlin, 26. April 1929

[Kopie]
Herr Ministerpräsident!
Der unterzeichnete Apostolische Nuntius beehrt sich, im [sic] Ausführung des ihm von Seiner Heiligkeit erteilten Auftrages Eurer Exzellenz folgendes mitzuteilen:
In dem von der Preußischen Regierung vorgelegten Entwurf einer feierlichen Uebereinkunft findet sich, im Gegensatz zu den wiederholt und nachdrücklich geltend gemachten Forderungen des Hl. Stuhles, keinerlei Bestimmung über die Schule. Es darf diesbezüglich daran erinnert werden, daß die Preußische Regierung durch eine Note vom 6. Januar 1922, die der damalige Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, Herr Dr. Boelitz, an den Unterzeichneten richtete, die Erklärung abgegeben hat, sie "werde auf Ersuchen des Reiches mit diesem in Verhandlungen über die Regelung der religiösen Seite der Schulfrage im Konkordat eintreten". Der zitierte Satz bezog sich allerdings in besonderem Betreff auf ein zukünftiges Reichskonkordat; dies erklärt sich aus der Tatsache, daß man in jenem Zeitpunkt vorwiegend von einem solchen sprach, wie aus der Note hervorgeht, die kurz zuvor, am 14. November 1921, dem Unterfertigten von Herrn Dr. Wirth, dem damaligen Reichskanzler und Reichsminister des Auswärtigen, zugestellt wurde. Es läßt sich aber andererseits auch nicht leugnen, daß mit der erwähnten Erklärung – der man ihren verbindlichen Charakter nicht absprechen kann, besonders wenn man die Umstände in Erwägung zieht, die sie veranlaßten – die Preußische Regierung ausdrücklich den Grundsatz der "Regelung der religiösen Seite der Schulfrage im Konkordat" anerkannt hat, und zwar ohne dabei einen Unterschied zu machen zwischen einem Konkordat mit dem Reich und einem solchen mit Preußen; dieser Unterschied ist auch in den der fraglichen Erklärung vorausgehenden Besprechungen
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nicht gemacht worden, welch letztere vielmehr ihren Ausgangspunkt von einer Preußen unmittelbar berührenden Angelegenheit nahmen. Des weiteren ist es zwar richtig, daß die alten Zirkumskriptionsbullen keine Bestimmungen über die Schule enthielten. Demgegenüber darf jedoch darauf hingewiesen werden, daß auch die Preußische Regierung Wert darauf gelegt hat, in das Konkordat verschiedene Sachgegenstände eingefügt zu sehen, die in diesen Bullen nicht berücksichtigt waren, zum Beispiel die Bestimmung über die Pfarrer. Sie kann also, ohne sich zu widersprechen, dem Hl. Stuhle das nicht abschlagen, was sie für sich selbst in Anspruch nimmt. Während der Erörterungen mit den Regierungskommissaren schlugen diese im Juni 1927 eine Mindestformel über die Schule vor, die vom Hl. Stuhle nur unter äußerstem Entgegenkommen angenommen wurde, vor allem weil staatlicherseits damals der formaljuristische Grund geltend gemacht wurde, daß diese Materie unter die Zuständigkeit des Reiches falle. Es bedeutete daher für den Hl. Stuhl eine schmerzliche Ueberraschung wahrnehmen zu müssen, daß die Preußische Regierung nunmehr auch die Streichung dieses schon so unzulänglichen Artikels verlangt hat, eine Streichung, die um so weniger gerechtfertigt ist, als alle Parteien, die das augenblickliche Koalitionsministerium bilden, auch im Januar 1922 im Preußischen Kabinett vertreten waren. Trotzdem hat der Hl. Stuhl aus dem ernstlichen Wunsche, den religiösen Frieden in Preußen zu sichern, sich, wenn auch nur unter den größten Bedenken, entschlossen, wegen dieser Weigerung der Regierung die Konkordatsverhandlungen nicht abzubrechen. Er vermag indes nicht davon abzusehen, förmlich zu erklären, daß diese seine Stellungnahme niemals als Verzicht auf die Grundsätze gedeutet werden darf, die ihn zu der Forderung
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veranlaßt hatten, daß nämlich, wie in den andern Konkordaten der neuesten Zeit, so auch in der feierlichen Uebereinkunft mit Preußen die Schulfrage miteinbegriffen werde. Er vertraut weiterhin darauf, daß Preußen nicht nur die rechtlichen Garantien, die den Katholiken für die konfessionelle Schule und für den Religionsunterricht gegeben sind, einhalten, sondern auch, falls später Verhandlungen für den Abschluß eines Reichskonkordates eingeleitet werden sollten, der obigen Erklärung entsprechend handeln wird.
Der Unterzeichnete benutzt diese Gelegenheit, um Eurer Exzellenz den Ausdruck seiner ausgezeichnetsten Wertschätzung zu erneuen.
(gz.) + Eugen Pacelli Erzbischof von Sardes
Apostolischer Nuntius
Empfohlene Zitierweise
Pacelli, Eugenio an Braun, Otto vom 26. April 1929, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 533, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/533. Letzter Zugriff am: 20.04.2024.
Online seit 20.01.2020.