Dokument-Nr. 541
Braun, Otto an Pacelli, Eugenio
Berlin, vor dem 29. Mai 1929

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Eure Exzellenz!
Der unterzeichnete Ministerpräsident des Freistaates Preussens beehrt sich, Eurer Exzellenz den Eingang der Note vom ... dankend zu bestätigen und bezüglich der darin berührten Frage der Ausschaltung schulrechtlicher Bestimmungen aus dem zwischen dem Heiligen Stuhle und der Regierung Preußens abgeschlossenen Vertrag folgende Feststellungen zu machen:
Die von Eurer Exzellenz erwähnte Note des Preußischen Ministers für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung vom 6. Januar 1922 gab der zweifellos vorhandenen Bereitwilligkeit der Preußischen Staatsregierung Ausdruck, auf Ersuchen des Reiches mit diesem in Verhandlungen über die Regelung der religiösen Seite der Schulfrage im Konkordat einzutreten. Es darf aber auf die wesentliche Tatsache hingewiesen werden, daß die langjährigen, in der Presse geführten Auseinandersetzungen über den mutmaßlichen Konkordatsinhalt die öffentliche Meinung und die Haltung einzelner politischer Parteien inzwischen so beeinflußt hatten, daß eine parlamentarische Mehrheit für ein auch schulrechtliche Bestimmungen enthaltendes Konkordat nicht erreichbar war. Angesichts dieser Tatsache würde die Preußische Staatsregierung durch die Beibehaltung solcher Bestimmungen – auch in der Formel von Juni 1927 – die parlamentarische Verabschiedung des auch ihrer Ueberzeugung nach für die Sicherung und Festigung des religiösen Friedens in Preußen bedeutsamen Vertragswerkes unmöglich gemacht haben. Der Unterzeichnete glaubt daher, der Erwartung Ausdruck geben zu können, daß der Heilige Stuhl in Würdigung dieser
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Sachlage in dem von der Preußischen Staatsregierung gewählten Vorgehen keinerlei beabsichtigtes Abweichen von einem dem Heiligen Stuhle gegenüber geäußerten Grundsatze sieht.
Die Ausschaltung der Schulfragen aus dem nunmehr zum Abschluß gekommenen Vertrag wird indes die verfassungsmäßigen Rechte der preußischen Katholiken auf diesem bedeutsamen Gebiete, insbesondere hinsichtlich der konfessionellen Schule und des Religionsunterrichts, in keiner Weise sachlich beeinträchtigen,da die Preussische Staatsregierung es als eine selbstverständliche Pflicht erachtet 1, die in der Reichsverfassung anerkannten religiösen Rechte zu wahren und zur vorgesehenen Auswirkung zu bringen.
Der Unterzeichnete benutzt diese Gelegenheit, um Eurer Exzellenz den Ausdruck seiner ausgezeichnetsten Wertschätzung zu erneuern.
Berlin, den ...
Preußischer Ministerpräsident.
1Hds., vermutlich vom Verfasser, unterstrichen.
Empfohlene Zitierweise
Braun, Otto an Pacelli, Eugenio vom vor dem 29. Mai 1929, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 541, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/541. Letzter Zugriff am: 29.03.2024.
Online seit 20.01.2020.