Dokument-Nr. 561
Loé-Bergerhausen, Klemens von an Pacelli, Eugenio
Burg Bergerhausen bei Blatzheim, 18. Dezember 1923

Euer Erzbischöfliche Gnaden
sind s. Zt. durch den Bailli Herrn von Zwehl in Kenntnis gesetzt worden von einer telegraphischen Eingabe, welche der Präsident der Rheinisch-Westfälischen Malteserritter, Seine Durchlaucht der Fürst zu Salm-Reifferscheidt am 27. Mai d. J. im Auftrage der Generalversammlung der Malteserritter an Seine Heiligkeit den Papst Pius XI. hilfeflehend in der Not und Bedrückung unseres Vaterlandes gerichtet hat und die ich in der Anlage nochmals beizulegen mir gestatte.1 Nach der ebenfalls in Abschrift beigefügten Antwort Seiner Eminenz des Herrn Kardinalstaatssekretärs Gasparri scheint dieser Schritt einen sichtbaren Erfolg nicht erzielt zu haben.
Unter dem 22. Juni gestattete ich mir sodann persönlich Seiner Heiligkeit in gleicher Richtung in eingehender Denkschrift die Sorgen zu unterbreiten, die wir nicht nur wegen unserer augenblicklichen Not, sondern vor allem auch für die katholische Sache in Deutschland hegen, wenn die moralische Grossmacht des heiligen Stuhles keine sichtbare und unzweideutige Stellung nehmen würde zu Gunsten des täg-
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lich gebeugten Rechtes. Eine Antwort ist mir nicht zu Teil geworden.
Am 12. Juli erschienen vor dem päpstlichen Delegaten, Msgr. Testa, in Essen die Führer der katholischen Arbeitervereine, um diesem ihre gleichgerichteten Sorgen zu unterbreiten. Die Eindrücke, die dieselben von ihrer Audienz mitnahmen, sind in dem abschriftlich beigelegten Bericht an ihren Diözesanpräses Dr. Müller gerichtet haben <niedergelegt>.2
Unter dem 20. August gestattete ich mir sodann, mich auch meinerseits an den päpstlichen Delegaten mit beiliegender Eingabe zu wenden.3 Da mir auch hier weder die erbetene Audienz noch überhaupt eine Antwort zu Teil wurde, gestattete ich mir dies bei Gelegenheit einer Audienz bei Seiner Eminenz dem Herrn Kardinal Erzbischof von Köln zu erwähnen mit dem Bemerken, dass der päpstliche Delegat, der nach Ausspruch Sr. Heiligkeit des Papstes, dessen Auge und Ohr sein solle, meine Anhörung nicht zu wünschen schiene, obwohl ich schon seit 20 Jahren der Führer der gesamten christlichen Bauernschaft der Rheinprovinz sei und daher doch wohl keine ungeeignete Stelle zur Erforschung der Ansichten des hiesigen Landvolkes sei. Einige Wochen später gab Msgr. Testa in meiner Abwesenheit seine Karte auf unserem Vereinsbüro in Köln ab, ohne einen Zeitpunkt anzugeben, wo ich ihn hätte sprechen können. Auch hatte der Beamte, der ihn empfing, nicht den Eindruck, als wenn Msgr. Testa Wert auf eine Unterredung gelegt habe. Die Abgabe seiner Karte erschien demnach mehr als ein Akt um der äusseren Form, wenn auch spät, Rechnung zu tragen.
In diesen Zusammenhängen ist die Erinnerung an den Eintritt Msgr. Testa's in unsere Provinz <zu [bewehrten]>4 , wo er in Coblenz allen Mitgliedern der Alliierten Kommission einzelne Besuche abstat-
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tete, aber verabsäumte, dem Reichskommissar Fürsten Hatzfeld ebenfalls von dem Antritt seiner hohen Mission persönlich Kenntnis zu geben.
Inzwischen hat sich auch der katholische Edelleuteverein von Rheinland und Westfalen durch in Abschrift5 beigelegte Eingabe unter dem 15.10. hilfesuchend an Seine Heiligkeit Papst Pius XI. gewandt, ohne dass ein äusserer Erfolg sichtbar geworden wäre.
Inzwischen ist der passive Widerstand an der Ruhr, die letzte Hilfe die uns blieb, zusammengebrochen und werden wir das dadurch über unser Volk hereingebrochene namenlose Elend tragen müssen, soweit nicht Mildtätigkeit es zu lindern im Stande ist.
Ueber unserem materiellen Elend steht aber die Sorge um die Interessen unserer katholischen Sache in Deutschland, und da befürchte ich, dass die Passivität, die die Kurie den täglichen und unerhörten Rechtsbrüchen, denen wir schon so lange unterworfen sind, einzuhalten für opportun gehalten hat, den deutschen Katholiken in der Folge die ernstesten Verlegenheiten bereiten wird. Noch hält der äussere Druck alle Sinne des Volkes gefangen. Es kommt aber der Moment, wo dieser sich mildert und die Kritik des Volkes nach den Ursachen seines Unglückes forschen wird. Die dem Katholizismus feindlichen Stimmen werden darauf sagen, während des Krieges habe die Kurie unseren Durchmarsch durch Belgien verurteilt, obwohl er nur ein Notakt der Selbsterhaltung war als Folgerung der Einkreisungspolitik König Eduards und obwohl wir volle Wiedergutmachung sofort versprochen hatten, und ebenso sei sie vor aller Welt gegen uns aufgetreten als wir hinter der Kampffront einen schmalen Streifen hatten evakuieren müssen und habe durch dieses Eintreten als mora-
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lische Grossmacht die Weltmeinung gegen uns orientieren und damit unsere endliche Niederlage vorbereiten helfen; jetzt aber, wo das katholische Frankreich und das katholische Belgien ebenso wie früher das katholische Polen die flagrantesten Rechtsbrüche täglich begangen hat unter Anwendung der denkbar härtesten Formen und Grausamkeiten, habe die Kurie sich zurückgehalten; zwar habe sie einige Worte zum Frieden, aber nicht das erlösende Bekenntnis zum Rechte gesprochen. Man wird Vergleiche anstellen mit den evangelischen Kirchenorganisationen von Schweden, Norwegen, Schweiz und der ganzen angelsächsischen Welt, die zum Teil mit den schärfsten Ausdrücken jene Rechtsbrüche verurteilt haben. Man wird auch auf die evangelischen Staaten, vor allem England hinweisen, die das Ruhrunternehmen offen als Völkerrechtsbruch bezeichnet haben. Auch das wird betont werden, dass die Sozialdemokratie als Vorkämpferin des modernen Unglaubens nicht nur bei uns, sondern auch in den Parlamenten von London, Brüssel und Paris die Vorkämpferin ist gegen die jetzige Politik der Gewalt, des Hasses und des Unrechtes, und dass diese sich darauf pochend hinstellen wird als weltumschlingende Macht der Humanität und des Friedens, während der Katholizismus veraltet und mit zu vielen Rücksichten der Opportunität beschwert sei. Schon in meiner untertänigen Eingabe an den heiligen Vater habe ich auf die Sorgen hingewiesen, wie schwer die Kämpfe der Zukunft für uns werden würden, wenn die Wellen der Anklagen sich über uns ergiessen würden.
Die Vorgänge in München, gegen die sich Seine Eminenz der Kardinal von Faulhaber wandte, sind inzwischen ein Vorgeschmack der kommenden Kämpfe geworden. Und wenn schon in dem katholischen Bayern solche Fanale am Horizonte aufflammen, wie werden dann erst die Dinge sich im übrigen Deutschland
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entwickeln. Wie werden z.B. auch die Dinge im übrigen Preussen werden, wenn aus dem katholischen Westen ein neuer Bundesstaat geworden sein sollte.
Den Komplex dieser Fragen und Sorgen gestatte ich mir Ew. Erzbischöflichen Gnaden zu Füssen zu legen mit der inständigen Bitte, beim heiligen Stuhle dahin zu wirken, dass uns wenigstens diese Kämpfe der Zukunft erspart werden durch ein deutliches Wort der Verurteilung des Unrechtes, das jetzt die Völker zerfleischt, die Welt nicht zum Frieden kommen lässt und den Keim des Völkerhasses und neuer Kriege legt.
Freiherr von Loë-Bergerhausen.
1Am linken Seitenrand hds. vom Verfasser, notiert: "Anlage I."
2Hds. gestrichen und eingefügt vom Verfasser. Am linken Seitenrand hds. vom Verfasser, notiert: "Anlage II."
3Am linken Seitenrand hds. vom Verfasser, notiert: "Anlage III."
4Hds. eingefügt vom Verfasser.
5Am linken Seitenrand hds. vom Verfasser, notiert: "Anlage IV."
Empfohlene Zitierweise
Loé-Bergerhausen, Klemens von an Pacelli, Eugenio vom 18. Dezember 1923, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 561, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/561. Letzter Zugriff am: 28.03.2024.
Online seit 24.10.2013.