Dokument-Nr. 578
Schreiber, Christian an Pacelli, Eugenio
Bautzen, 14. August 1929

[Abschrift]
Eurer Exzellenz
bin ich sehr verbunden für die gütigen und nachsichtigen Worte der Anerkennung, die Hochdieselben mir durch Schreiben vom 4. d. M. übermittelt haben.
Dieser Tage schrieb mir der an unserer Verwaltungsstelle in Dresden nebenamtlich beschäftigte Oberlandesgerichtsrat Dr. Hüffer, ein treuer Mitarbeiter und zuverlässiger Katholik, folgendes:
"Vor einigen Tagen telephonierte mir Herr Geheimrat v. Zimmermann (der Bearbeiter des 'Entwurfs eines Gesetzes über die vorläufige Ablösung von Staatsleistungen an die Ev.-luth. Landeskirche und an die Römisch-katholische Kirche im Freistaate Sachsen'), daß Euer Bischöflichen Gnaden dem Ministerium die Anweisung des Hl. Stuhles wegen des Ablösungsvertrages mitgeteilt hätten. Seiner Ansicht nach wird die sächsische Regierung es nach wie vor ablehnen, mit dem Hl. Stuhl oder mit dem Herrn Nuntius zu verhandeln, und deshalb angesichts dieses Verlangens den ganzen Vertrag als gescheitert betrachten und erklären. Die Folgen sind dann nicht zu übersehen. Herr v. Zimmermann schien geradezu bestürtzt1 von dieser Wendung der Dinge. Die Entschliessung der Regierung und ihre Antwort nach Bautzen wird alsbald nach der Rückkehr des Herrn Ministerpräsidenten (etwa 25. August) erfolgen. Angesichts der Wichtigkeit der Sache bat ich Herrn v. Zimmermann darauf hinzuwirken, daß vor der Entschließung der Regierung uns noch Gelegenheit zu einer Aussprache gegeben wer-
26v
den möge. Ob diese bewilligt werde, konnte er aber nicht bindend erklären.". [sic]
Zu diesen Ausführungen bemerke ich, daß die Auffassung des Herrn v. Zimmermann noch nicht die des Ministeriums ist. Immerhin aber gilt er als sehr unterrichtet und zugleich als sehr einflussreich im sächsischen Staatsministerium. Deshalb halte ich es für notwendig mit seiner Beurteilung der Lage zu rechnen.
Angesichts der zu erwartenden Weigerung der sächsischen Regierung, mit dem Hl. Stuhl zu verhandeln, erhebt sich die Frage: was soll von kirchlicher Seite geschehen? Ich sehe zwei Möglichkeiten:
1. Der Hl. Stuhl besteht auf dem entweder oder, d. h. er erklärt: entweder die sächsische Regierung tritt in Verhandlungen mit dem Hl. Stuhl oder der Hl. Stuhl betrachtet den ganzen Vertrag als gescheitert. Die Folge der Scheiterung ist nicht ein Verlust unserer Ablösungsansprüche. Denn die Leistungen, die der Sächsische Staat gegenüber der katholischen Kirche in Sachsen abzulösen beabsichtigt, beruhen auf einem Gesetz. Der Art. 138 der Reichsverfassung aber besagt: "Die auf Gesetz und Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften werden durch die Landesgesetzgebung abgelöst. Die Grundsätze hierfür stellt das Reich auf".
Aber es ist folgendes zu beachten: Die betreffenden Staatsleistungen müssen jährlich in den Haushaltsplan des sächsischen Staates eingesetzt und in ihrer Höhe durch den sächsischen Landtag genehmigt werden. Schon seit Jahren hat bei der Beratung des Haushaltsplanes die kommunistische und sozialistische Partei im sächsischen Landtag die Gelegenheit benützt, in der schärfsten Weise gegen die Religion zu hetzen. Diese Hetze wird, wenn infolge der Ablösung der
27r
an die Ev.-luth. Landeskirche in Sachsen zu zahlenden Staatsleistungen nur noch die Zahlungen des sächsischen Staates an die katholische Kirche im Landtag jährlich zu verhandeln sind, noch hemmungsloser sich gestalten. Es ist auch zu befürchten, daß die Höhe der Staatsleistungen für die katholische Kirche vom Landtag immermehr gekürzt wird, ohne daß wird rechtlich etwas dagegen tun können.
2. Der Hl. Stuhl ermächtigt den Bischof von Meißen die von der sächsischen Staatsregierung gewünschte Unterschrift unter den Ablösungsvertrag zu setzen, mit dem näheren Vorbehalt, daß der Bischof von Meißen diese Unterschrift nur aufgrund einer ausdrücklichen Ermächtigung des Hl. Stuhles leistet.
Dieser Lösung steht das Bedenken entgegen, daß andere deutsche Staatsregierungen, durch das sächsische Beispiel gestützt, in Dingen, die der Zuständigkeit des Hl. Stuhles unterstehen, nicht mit dem Hl. Stuhl verhandeln wollen, sondern nur mit den inbetracht kommenden Bischöfen, von denen dann verlangt wird, daß sie sich die Ermächtigungen, die sie für die Verhandlungen und den Abschluss von Verträgen etwa nötig hätten, vom Hl. Stuhl direkt geben lassen, sodaß die betr. Staatsregierungen mit dem Hl. Stuhl direkt nichts zu tun haben würden.
Ich bitte Eure Exzellenz ehrerbietigst, dem Hl. Stuhl diese Dinge zu unterbreiten und zur Entscheidung vorzulegen. Es ist selbstverständlich, daß ich das, was der Hl. Stuhl anordnet, rückhaltlos und gewissenhaft durchführen werde.
Da die Zeit, wie aus dem oben mitgeteilten Briefe ersichtlich ist, drängt, bitte ich Eure Exzellenz um gütige Beschleunigung der
27v
der [sic] Angelegenheit.
In tiefster Ehrerbietung und herzlicher Liebe verbleibe
ich Eurer Exzellenz
ergebenster
(gz.) + Christian Schreiber,
Bischof von Meissen.
1Hds. vermutlich vom Verfasser gestrichen.
Empfohlene Zitierweise
Schreiber, Christian an Pacelli, Eugenio vom 14. August 1929, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 578, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/578. Letzter Zugriff am: 25.04.2024.
Online seit 20.01.2020.