Dokument-Nr. 6543

Bludau, Augustinus: Augustinus, durch Gottes Barmherzigkeit und Gnade des hl. Apostolischen Stuhles Bischof von Ermland, allen Gläubigen des Bistums zum Gruß und Segen im Herrn!. Frauenburg, 25. Januar 1920

Geliebte im Herrn!
Der Friede ist wieder in das Land eingezogen nach Jahren furchtbaren Kampfes und schwerer Entbehrung, aber kein freudiger Glockenklang hat ihn begrüßt, keine festliche Veranstaltung ihn gefeiert, sondern mit dem Propheten seufzen wir: "Im Frieden wird mir die bitterste Bitterkeit!" (Is. 38, 17). Wie Gewitterschwüle lastet auf tausend Herzen die bange Ahnung, dass noch schwere Bedrängnisse uns bevorstehen. Um von den harten Friedensbedingungen, welche auch unsere engere Heimat und Diözese mit Zerstückelung bedrohen, von den Umwälzungen der Revolution, der Lebensmittelnot und Teuerung, der Arbeitsunlust und Arbeitslosigkeit zu schweigen1, so muss es jeden Unbefangenen mit Bangen erfüllen, wenn er sieht, wie Vergnügungs- und Genusssucht, Jagen nach Erwerb irdischen Gutes und Wucher, Unredlichkeit und Ungerechtigkeit, Lieblosigkeit jeder Art gegen die Mitmenschen, Unsittlichkeit und Unzufriedenheit in erschreckendem Grade sich steigert und überhand nimmt und die Bande der Gesellschaft immer mehr sich lockern. Die Nachtseite der menschlichen Seele, der Mensch der Leidenschaft und der Sünde, zeigt sein schreckliches Antlitz. Die Sünden gegen das 5., 6., 7. Gebot, gegen Leben, Unschuld und Eigentum häufen sich, eine Tugend nach der andern schwindet und die Laster treten an ihre Stelle. Ein derartiger Tiefstand religiös-sittlichen Empfindens zeigt sich in manchen Kreisen, dass man fast an der Zukunft unseres Volkes und der Menschheit verzweifeln möchte. Die vorgeschlagenen Heilmittel werden nicht Rettung bringen, solange man sich nicht entschließt, zu den Lehren, Vorschriften und Heilmitteln des Christentums zurückzukehren. "Schaffet gute Menschen, und die Zeiten werden gut sein", sprach schon der hl."Augustinus. Vor allem muss hier durch eine wahrhaft christliche Erziehung der Jugend in Haus und Schule geholfen werden. Ja wie ein Notruf aus gegenwärtigen gefahrvollen Tagen dringt die apostolische Mahnung an unser Ohr: "Ihr Väter, erziehet eure Kinder in der Lehre und Zucht des Herrn!" (Eph. 6, 4). Auf der Familie ruht das ganze große Gebäude des Staates, und darum ist die Kindererziehung im Geiste Gottes und des Evangeliums die Grundlage der gesellschaftlichen Ordnung und des Glückes der Völker, und sie ist, besonders wenn man über die Zügellosigkeit, Unbotmäßigkeit und Verwilderung der Jugend unter dem unheilvollen Einfluss des Krieges und der Revolution lebhafte Klage führt, die Rettung aus der sozialen Not, die uns in argem Weh bedrängt. Unser armes Vaterland ist noch nicht verloren, trotz allen Unglückes, das es getroffen, wenn es nur gelingt, die Jugend für Gott und das ewige Leben zu erziehen. Ein Gott entfremdetes Geschlecht aber, Feind des Kreuzes Christi – sein Ruhm besteht in der Schande, sein Sinn ist auf das Irdische gerichtet, sein Ende ist Verderben (Phil. 3, 18, 19.) [sic]
Geliebteste! Weil die gute Erziehung in Haus und Schule an sich und besonders für unsere Tage von unendlicher Wichtigkeit ist, möchte ich eure Aufmerksamkeit auf diese kurz, aber in allem Ernste hinlenken.
1. Unter häuslicher Erziehung versteht man alles, was die Eltern selbst, abgesehen von den Bemühungen der Schule und Kirche, tun sollen, um ihre Kinder zu
69v
einem christlichen Sinn und Wandel heranzubilden, so dass sie imstande sind, ihre Bestimmung hier und jenseits zu erreichen, dass sie hier tüchtige und brauchbare Glieder der menschlichen Gesellschaft, des Staates und der Kirche, jenseits Glieder des himmlischen Reiches werden. Die Eltern sollen nun auf die häusliche Erziehung ihrer Kinder die gewissenhafteste Sorgfalt verwenden, einmal weil es ihre strenge Pflicht ist. Ich bin in der glücklichen Lage, geliebte Eltern, diese Pflicht euch nicht erst ausführlich beweisen zu müssen, denn sie ist eingegraben tief ins Menschenherz; sie findet ihre Begründung schon im natürlichen Gesetz, das jeder erkennt, der guten Willens ist. Niemand zweifelt doch, dass die Eltern die heilige Pflicht haben, die Kinder dem Leibe nach zu erziehen, d. h. zu sorgen, dass ihren Kindern die nötige Nahrung und Pflege zuteilwerde, damit ihr Körper sich gesund und kräftig entwickelt; niemand zweifelt auch, dass es den Eltern obliegt, für das zeitliche Wohl und Fortkommen der Kinder Sorge zu tragen. Aber ist denn nicht der bessere und höhere Teil des Kindes seine unsterbliche Seele, geschaffen nach Gottes Bilde und Gleichnis, ausgerüstet mit den herrlichsten Anlagen, befähigt und berufen, eine Bestimmung zu erreichen, so glorreich und erhaben, dass keines Seraphs Verstand es völlig begreifen kann! Auch die Seele des Kindes, und noch mehr als der Leib, ist der Erziehung bedürftig. Dieses Ackerfeld Gottes zu bebauen, liegt zunächst den Eltern ob.
Was das natürliche Gesetz schon gebietet, was Vernunft als Pflicht vor Augen stellt, das hat noch überdies Gott in seiner Offenbarung als seinen Willen, als heiliges und strenges Gebot den Eltern ans Herz gelegt. Den Eltern gilt in erster Linie der Befehl des göttlichen Heilands: "Lasset die Kindlein zu mir kommen und wehret es ihnen nicht, denn für solche ist das Himmelreich" (Matth. 19, 14). Ich will nicht weitläufig auseinandersetzen, wie oft und wie vielfach die Hl. Schrift das nämliche einschärft, wozu die Worte des Völkerapostels auffordern: "Ihr Väter erziehet eure Kinder in der Lehre und Zucht des Herrn!" (Eph. 4, 6). Nicht bloß von der Verwaltung des Vermögens, sondern vor allem von der elterlichen Sorge für die sittliche Erziehung der Kinder gilt das Wort: "Wer nicht für seine Angehörigen sorgt, zumal für seine Hausgenossen, der hat den Glauben verleugnet und ist schlimmer als ein Ungläubiger" (1 Tim. 5, 8); ein Vater, der sich um diese wichtigste Angelegenheit der Erziehung nicht kümmert, begeht ein schweres Unrecht an seinen Kindern, an sich selbst, an seiner Familie, an der Gemeinde und dem Staate. Ich halte es nicht für nötig, Zeugnisse aufzuhäufen, wie sehr die heiligen Väter die häusliche Erziehung in Christo als eine strenge und schwere Pflicht den Eltern einschärfen. Höret die Ermahnung des hl. Chrysostomus an die Eltern: "Was lehrt uns der Glaube an diesem Kinde, das eurer Sorgfalt anvertraut ist? Seine Stirne seht ihr mit dem Siegel der Gnade bezeichnet, wodurch Gott es zu seinem Kinde angenommen hat; wachet sorgfältig darüber, dass es dieses Anrecht niemals durch die Sünde verliere! Seine Zunge ist noch mit dem Salz der Weisheit bestreut, welche ihr darauf bewahren müsst. An Haupt und Brust trägt es noch das Merkmal der Kinder Gottes; wird dasselbe verfälscht, so müsst ihr davon Rechenschaft geben. In seiner Seele gewahrt ihr den Samen zu allen Tugenden, ihr müsst machen, dass derselbe gedeihe. Jesus Christus zeigt euch die Engel Gottes, wie sie Tag und Nacht euer Kind scharenweise umgeben, um es zu beschützen; ihr seid an diesem erhabenen Dienste beteiligt. "Ein andermal ruft derselbe Heilige den Eltern zu: "Ihr seid die Apostel eurer Kinder, euer Haus ist eure Kirche, und wenn wir Seelsorger über ihre Seelen wachen und Rechenschaft geben müssen, um wieviel mehr nicht ihr, Väter und Mütter, denen ihre Erziehung besonders anbefohlen ist und denen sie Gott von zarter Jugend auf in das Haus gegeben hat, damit ihr sie um so leichter regieren könnt!" Und der hl."Augustinus vergleicht diesen Beruf der Eltern mit dem der Bischöfe an ihrem Kirchensprengel, indem er schreibt: "Gleich wie es den Oberhirten zusteht, in der Kirche zu sprechen und zu handeln, ebenso ist es eure Pflicht, in der Familie Gleiches zu tun, auf dass ihr dereinst von euren Kindern dem Herrn ein gutes. Zeugnis geben könnt. "Ja, die Aufgabe eines katholischen Vaters, einer katholischen Mutter ist gleichsam ein Hohepriestertum, zu welchem sie eingeweiht worden sind durch die hl. Taufe und das hl. Sakrament der Ehe. Weil die Ehe das Institut ist, an welches die Erziehung der Kinder und damit das Heil unzähliger Seelen geknüpft ist, und weil diese Erziehung etwas so Schweres und Verantwortliches ist, wozu der Mensch steter Hilfe vor allem bedarf, auch deswegen hat der göttliche Heiland die Ehe zu einem Sakrament erhoben, in welchem den Ehegatten die Gnade zuteilwird, ihre Pflicht, die Kinder christlich zu erziehen, allezeit erfüllen können.
Sehet, Geliebteste, an dem kostbaren Glaubensschatz der katholischen Kirche, der sich von der Zeit der Apostel an durch alle Jahrhunderte bis zur Gegenwart vererbt hat, dem Millionen von Märtyrern mit ihrem Blute Zeugnis gegeben, der von den größten Lehrern der Wissenschaft unter allen Nationen als göttliche und beseligende Wahrheit und die Mutter wahrer Zivilisation bewundert und gepriesen wurde, der die fruchtbarste Quelle wahrer Gottes- und Nächstenliebe für die Heiligen aller Länder und Stände war, den ihr selbst als euer höchstes Glück und Gut und als Unterpfand der ewigen Seligkeit betrachtet, – an diesem herrlichen Wahrheitsschatz sollt ihr euren Kindern Anteil verschaffen und damit Anteil an der Gnade der Erlösung! Wo wäre ein Vater- oder Mutterherz, das seine Kinder nicht glücklich sehen möchte für Zeit und Ewigkeit? Was macht nun aber die Kinder glücklich? Sind es die Reichtümer dieser Erde? O nein! Denn viele Menschen haben diese im Überfluss und sind doch bei Tag und Nacht von Missmut geplagt. Ist's Sinnenlust? Nein! Denn die Seele hungert und
70r
dürstet nach geistigem Genuss, und die ganze Welt mit all ihrer Lust vergeht und ist nicht groß und reich genug, das Menschenherz auszufüllen. Ist's Ehre bei den Menschen, ein hoher Rang? Gewiss nicht, denn der Mensch ist für Gott geschaffen und hat nur Ruhe in ihm. "Die Bösen haben keinen Frieden" (Is. 57, 21); aber großen Frieden haben, die das Gesetz Gottes lieben" (Ps. 118, 165). Bildung ist ein hohes Gut für die Kinder, aber Kenntnisse und Wissenschaft allein sind ein Besitz von nur zweifelhafter Güte, wenn sie nicht mit Tugend und Gottesfurcht gepaart sind. "Was nützt es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewänne, an seiner Seele aber Schaden litte (Mark. 8, 36), so spricht der Heiland, der in seinem bittern Leiden und Sterben die Menschenseele von der Sünde, von der Knechtschaft des Satans, von der ewigen Verdammnis befreit und damit alle zu seinem Eigentum erworben hat und von den Eltern strengste Rechenschaft über die Erziehung der ihnen anvertrauten Kinder fordern wird.
Die Erfahrung aller Jahrhunderte bestätigt: der Eltern Ehre, Freude und Krone sind wohlerzogene und tugendhafte Kinder, der Eltern Kreuz und Schmach und Elend sind schlechterzogene und lasterhafte Kinder. Also, teure Eltern, wollet ihr euch und eure Kinder wahrhaft glücklich machen, so befolgt in aller Treue und Gewissenhaftigkeit die Ermahnung des hl. Chrysostomus: "Bildet die Kinder zur Frömmigkeit, zur Religion, zur Ehrsamkeit, zu allen Tugenden, auf dass ihr eingezogener und christlicher Wandel für euch eine Quelle der Verdienste und für sie eine Ursache des Heiles werde.
2. Wenn nun zunächst die christlichen Eltern von Gott den Beruf und die Gnade erhalten haben, ihre Kinder "in der Lehre und Zucht des Herrn" zu erziehen, auf welche Weise können und sollen sie dieser Obliegenheit entsprechen?
Es geschieht dies einmal durch frühzeitige Unterweisung, Angewöhnung zum christlichen Leben und namentlich durch das gute Beispiel. Man hört wohl bisweilen auch heute noch sagen: Das Kind kann ja von Gott und der Religion noch keinen Begriff haben, darum warte man noch mit diesen Dingen, bis es zu den Jahren der Reife herangewachsen ist. Diese höchst verderbliche Meinung steht mit der Erfahrung aller Zeiten und den klaren Worten Gottes im Widerspruch: "Hast Du Söhne, so unterweise sie und beuge sie von ihrer Kindheit an" (Sir. 7, 25), spricht der Hl. Geist schon im Alten Bunde, und an einer anderen Stelle: "Die Kundgebung deiner Worte erleuchtet und gibt Einsicht den Kleinen" (Ps. 118, 130). In Kinderherzen steckt soviel Geheimnisvolles, ein heiliges Ahnen Gottes und des Göttlichen; weckt es, hebt es zu Tage aus den Tiefen! Die Kinderseele öffnet sich so leicht dem himmlischen Lichte des Glaubens, wie die Sonnenblume dem Sonnenstrahle, und wird erquickt bei den Erzählungen der Wunderwerke Gottes, und zu Gott beten und ihm lieb und angenehm sein, ist für sie ein Bedürfnis und eine Seligkeit. Darum, ihr Eltern, unterweiset frühzeitig eure lieben Kinder in den Anfangsgründen unseres Glaubens, der mit der göttlichen Tugend der Hoffnung und Liebe der Kinderseele durch die hl. Taufe zum frühen Wachstum eingegossen worden ist.
Lehret und übet frühzeitig bei dem Kinde die Gottesfurcht und das Gebet. Außerordentlich wichtig ist diese Anleitung und Angewöhnug in jungen Tagen. Versteht das Kind auch nicht ganz, was die Worte, die es betet, sagen wollen, es fühlt doch, dass es mit dem Vater im Himmel reden soll und lernt hl. Ehrfurcht und Liebe zur Andacht. O, eine wahrhaft fromme Muter, betend mit ihrem zarten unschuldigen Kinde, es ist ein Anblick, an dem Menschen und Engel, ja das Herz Gottes sich freut! Das bringt Segen für Mutter und Kind vom Himmel! Gott zu gefallen und aus Liebe zu Gott das Böse zu meiden und das Gute zu tun, das muss frühzeitig des Kindes Hauptbestreben werden.
Kaum früh genug beginnt die große Aufgabe, dem Kind den Gehorsam einzupflanzen, in ihm den Eigensinn zu brechen und die Begierlichkeit zu zügeln, welche auch im Getauften als Zunder der Sünde zurückbleibt. Aber christliche Eltern fordern nur einen christlichen Gehorsam, sie fordern ihn mit Ernst und doch mit Liebe, sie fordern ihn entschieden und um Gottes willen. Sie befehlen nicht zu viel, nichts Unvernünftiges; haben sie aber etwas befohlen, so bestehen sie fest und unbeugsam darauf. Sie lassen trotzigen Sinn und Bosheit nicht ungestraft, sie strafen, aber stets ohne Laune, ruhig und in Gerechtigkeit, nie im Zorn und mit Schimpf- und Scheltworten, sie gebrauchen die Rute, aber selten, und wenn kein anderes Mittel mehr hilft. Mit Recht sagt die Hl. Schrift: "Der Knabe, dem sein Wille gelassen wird, bringt seiner Mutter Schande" (Sprüchw. 29, 15 [sic]).
Warum wohl hat der göttliche Heiland die Kinder so geliebt? Warum muss jeder brave Christ die Kinder lieb haben? Nicht wahr? Weil aus ihren klaren Augen herausschaut eine reine, jungfräuliche Seele, weil in ihrem Herzen noch blüht und duftet die so wunderholde Blume der Reinheit und Unschuld. O liebe Eltern, wachet, pfleget, schützt doch diese so zarte, leicht zerstörbare, und wenn sie einmal verloren ist, durch keine Reue und keine Tränen mehr zu erlangende Himmelsblume. Haltet vom Hause jederzeit alles fern, was die Reinheit verletzen könnte. Nie höre und sehe das Kind weder an euch selbst oder den Geschwistern, Dienstboten etwas, was der Ehrbarkeit und Schamhaftigkeit zuwider wäre. Wachet bei Tag und Nacht! Lasset eure Kinder nie ohne Aufsicht, wendet sie insbesondere dem Zusammensein von Kindern verschiedenen Geschlechtes und Alters zu. Saget nicht, die Kinder sind noch so klein, sie verstehen noch nichts! Jedenfalls bleibt die Erinnerung, es bleiben die bösen Eindrücke, die nicht so leicht verwischt werden können. Gewöhnet so früh als möglich die Kinder an Entsagung: sie ist der natürliche Schutz-
70v
engel der Reinheit. Der Notruf, welcher heute aufsteigt: Zurück zur Einfachheit, Nüchternheit und Enthaltsamkeit! – er muss zuerst in der Familie gehört und befolgt werden.
Von früher Jugend an soll den Kindern die Wahrheitsliebe tief eingeprägt werden. Darum duldet niemals bei euren Kindern eine Lüge oder Verstellung! Zeiget ihnen, wie sehr die Lüge dem wahrhaftigen Gott missfalle und den Christen schände. Hütet euch selbst, vor den Kindern etwas Unwahres zu sagen, etwas zu versprechen oder anzudrohen, was ihr nicht halten könnt oder wollt. Lasset eher einen Fehler ungestraft hingehen, wenn das Kind ihn ehrlich eingesteht, straft aber ernst und strenge, wenn es durch Lügen sich zu entschuldigen oder gar die Schuld auf andere abzuwälzen sucht.
Mit Worten und Mahnungen allein wird aber auf dem Felde der Erziehung nicht alles erreicht, sondern das Beispiel muss das Wort begleiten und fruchtbar machen. Eltern, die nicht selbst wahre, fromme Christen sind und nicht selbst christlich denken, leben und handeln, haben weder Lust noch Fähigkeit, ihren Kindern eine gute Erziehung angedeihen zu lassen. Das Beispiel der Eltern hat auf die Kinder eine unwiderstehliche Macht, denn viel mächtiger werden sie ergriffen von dem, was sie sehen, als von dem, was sie hören. Worte überreden, Beispiele reißen hin. Das gute Beispiel ist Lehre und Zucht zugleich, das schlimme Beispiel der Eltern reißt nieder, was christliche Unterweisung und Ermahnung aufgebaut haben.
Gewiss, die Pflicht der Kindererziehung ist edel und erhaben, aber schwer und verantwortungsvoll. Ohne die Gnade und den Beistand des Himmels, ohne frommen Aufblick zu Gott, ohne unausgesetztes Gebet und fortwährende Wachsamkeit wird sie nicht möglich sein, denn die Schlüssel zum göttlichen Gnadenschatz heißen Gebet und Opfer.
3. Vielleicht denkt und sprecht ihr, um die Kinder zu erziehen, seien Kirche und Schule, Seelsorger und Lehrer da. Wohl haben auch diese mitzuwirken, aber bis zu der Zeit, wann die Kinder in die Schule eintreten, kann an der Erziehung der Kleinen schon viel gewonnen und verdorben sein. Kirche und Schule werden nur dann an der Erziehung gedeihlich wirken können, wenn die Eltern den Lehrern gut vorgearbeitet haben, denn die tägliche Erfahrung bestätigt es tausendfach: erfüllen die Eltern ihre Pflicht, dann kann Schule und Kirche segensreich wirken, versäumen sie dieselbe, dann wird auch Schule und Kirche wenig oder nichts ausrichten. Kirche und Schule sollen die häusliche Erziehung nicht ersetzen, sondern fortsetzen, unterstützen und ergänzen. Welche Schule ist aber in der Lage, die Erziehungsarbeit des christlichen Elternhauses fortzusetzen und zu vervollkommnen? Nur diejenige, welche die Religion und christliche Erziehung für die gesamte Dauer der Schulzeit in den Vordergrund stellt. Bis jetzt konnten wir ruhig und unbesorgt unsere Kinder der katholischen Schule überlassen, in welcher der Unterricht von einem religiösen Hauch durchweht und in ihm auf eine religiöse Erziehung und Übung ein Hauptgewicht gelegt war. Das droht jetzt anders zu werden. Der Geist der modernen Welt, welcher das Heil nur in irdischem Glück und in zeitlicher Wohlfahrt zu finden wähnt, sucht nicht bloß die Kirche jeden Einflusses auf die Schule zu berauben, sondern die religiöse Grundlage aus dem Unterricht und der Erziehung der Kinder überhaupt zu entfernen. In richtiger Vorahnung haben die deutschen Bischöfe schon im Allerheiligen-Hirtenbrief von 1917 auf diese Gefahren, welche der christlichen Schule drohen, hingewiesen. Was schon lange erstrebt und vorbereitet wurde, das soll nun um jeden Preis durchgeführt werden. Nach der im vorigen Jahr beschlossenen Verfassung für das Deutsche Reich soll fortan nicht mehr die konfessionelle Schule die Regel sein, sondern die Mischschule, die Simultanschule, sodass also auf das Bekenntnis der Lehrer und Kinder weiter keine Rücksicht genommen zu werden braucht, somit katholische Lehrer oder auch evangelische Lehrer katholische und evangelische Kinder zu unterrichten haben. Eine konfessionelle Schule soll in der Gemeinde nur eingerichtet werden, wenn von den Erziehungsberechtigten, also in erster Linie von den Eltern, ein dahingehender Antrag gestellt wird. Neben diesen beiden Schularten wird noch eine vollkommen religionslose, sogenannte weltliche Schule als gleichberechtigt zugelassen.
Wofür werdet ihr, christliche Eltern, in deren Hände das Gesetz die Bestimmung über die Schule legt, euch entscheiden? Da es eure heiligste und unerlässliche Pflicht ist, die euch anvertrauten Kinder in der Lehre und Zucht des Herrn zu erziehen, und ihr das Recht habt, die Schule als Hilfsanstalt der häuslichen Erziehung zu benutzen, so habt ihr auch stets die Pflicht und das Recht, zu verlangen, dass die Schule, welche eure Kinder besuchen müssen, im Geiste des katholischen Glaubens und unter Beteiligung eurer Kirche geleitet wird. Ohne Religion kann es keine wahre Erziehung geben, sie ist die Seele der Erziehung. In unsern Augen ist die Schule ein hoch zu achtendes Heiligtum, das dem Dienste der Wahrheit geweiht ist, bestimmt zur Unterweisung der Schuljugend in dem, was Anfang und Ende des menschlichen Strebens sein soll, in der Erkenntnis der Wahrheiten des ewigen Lebens und des Wandels nach ihnen. Unsere braven katholischen Lehrer und Lehrerinnen bekennen sich zum Ausspruch eines alten Schulmannes: "Das heißt die Sonne vom Firmament herunterholen und heißt den Frühling herausreißen aus dem Kranz der Jahreszeiten, wenn man den Religionsunterricht der Schule rauben will!" Sollten denn etwa die vielen Millionen christlicher Kinder auf den Religionsunterricht verzichten und eine heidnische Schule bekommen, nur damit ein paar Kinder religionsloser Eltern von allem religiösen Einfluss unbehelligt bleiben? Wo bleibt da Sinn für Billig-
71r
keit und Gerechtigkeit? Wenn glaubenslose Eltern ihre armen Kinder in derselben Glaubenslosigkeit erziehen wollen, so möge die ganze Verantwortung hierfür auf sie fallen, so mögen sie Schritte tun, um ihre eigenen Kinder vom Religionsunterricht, von der nährenden Quelle des Gottesglaubens, fernzuhalten, oder nach ihrem Wunsche sich kirchenfreie und religionslose Schulen einrichten, aber das gibt ihnen nie und nimmer das Recht, nun auch die Kinder gläubiger Eltern der religiösen Ausbildung und Erziehung zu berauben oder sie in eine andere religiöse Atmosphäre hineinzuzwängen, als sie im Elternhause atmeten. Wir fordern eine Schule nach unserem Glauben und Gewissen. Die Regel muss sein, dass katholische Kinder nur katholische Schulen besuchen; der Besuch anderer Schulen ist eine Ausnahme, die nur bei besonderen Umständen und Vorsichtsmaßregeln gestattet ist. Wir dürfen nicht des lieben Friedens wegen ruhig zusehen, wie in den Strudel, welcher Größe, Macht, Reichtum, Ansehen unserer Nation verschlungen hat, auch noch unsere letzten Güter, Religion und christliche Schule, mit hineingerissen werden. Das wäre Verrat an der Sache Christi und seiner Kirche.
Vor der Türe stehen in den einzelnen Gemeinden die Wahlen für die Elternbeiräte sowohl der Volksschule wie der höheren Schulen; sie sollen "der Förderung und der Vertiefung der Beziehungen zwischen Schule und Haus dienen und den Eltern wie der Schule die Arbeit miteinander und den Einfluss aufeinander gewährleisten." Nur Eltern dürfen in den Beirat gewählt werden. Außerdem nehmen an den Sitzungen mit beratender Stimme nur noch der Leiter der Schule und die Lehrer teil. Jeder kirchliche Einfluss soll ferngehalten werden. Es wird eure Pflicht sein, christliche Eltern, dafür zu sorgen, dass nur solche Väter oder Mütter in diese Beiräte gewählt werden, die ebenso tüchtig wie religiös und kirchlich gesinnt sind, welche die ungehinderte Erteilung des Religionsunterrichtes, sowie die Erziehung zu einem mehr denn je in der heutigen Zeit erforderlichen religiös-sittlichen Leben der Jugend wahren und fördern können. Dringend möchte ich euch zu diesem Zwecke die Einführung und Ausgestaltung der katholischen Schulorganisation in jedem Kirchspiel empfehlen, welche neben dem katholischen Volksverein die Erziehungsberechtigten sammeln und aufklären, Elternvereinigungen und -ausschüsse ins Leben rufen wird, um so die Wahl der Elternbeiräte, besonders die Aufstellung der Kandidatenliste vorzubereiten und überhaupt alle katholischen Eltern und Freunde unserer Jugend für die einmütige Erhebung der Forderung der konfessionellen Schulen zu gewinnen. Unsere katholischen Lehrer und Lehrerinnen, die da wissen, dass sie aus den Kraftquellen der Religion allein für sich und die Kinder Glück und Erfolg schöpfen, werden sich freudig in den Dienst der Sache des Glaubens und der Erhaltung christlicher Erziehung stellen und so das Vertrauen rechtfertigen, das die Eltern in sie setzen.
Wenn, Geliebteste, eure Kinder auch christliche Schulen besuchen, darf eure Sorgfalt doch nicht abnehmen, noch weniger aufhören. Ihr müsst dann mit den Lehrern und Geistlichen mitwirken und sie unterstützen. Erweiset ihnen die ihrer Stellung gebührende Ehre und zeigt euch für ihre Mühen und Sorgen dankbar. Haltet auch die Kinder zur Ehrfurcht und Dankbarkeit gegen sie an. Duldet nicht, dass sie tadelnd und verächtlich von ihnen sprechen, und glaubet ihnen nicht leichtfertig, wenn sie sich über ungerechte Behandlung und Strafe beklagen. Namentlich haltet sie fleißig und wiederholt zum Gebet, Gottesdienst, Empfang der hl. Sakramente und religiösen Übungen, erst recht, wenn der Kirche in Zukunft nicht mehr die ungestörte Möglichkeit geboten sein sollte, diese religiösen Erziehungsmittel voll auszuwerten.
O ihr alle, denen irgendwelche Sorge für die Erziehung der Kleinen anvertraut ist, betrachtet die Stätte der Kindererziehung im Hause, in der Schule, in der Kirche als ein Heiligtum, in welchem die guten Engel hin und her gehen, auf welches die lieben Heiligen niederblicken und über welchem der Sohn Gottes, der himmlische Kinderfreund, thront, um mit den Kleinen selbst ihre treuen Wächter und Führer zu segnen. Bei aller Anstrengung in dem edlen Werk der Erziehung wollen wir aber nicht vergessen, dass menschliches Bemühen erfolglos ist, wenn nicht die Gnade Gottes die Gemüter bereitet, mitwirkt und allem Wirken Vollendung verlieht [sic]. Hier gilt: "weder der pflanzt, ist etwas, noch der begießt, sondern Gott, der das Gedeihen gibt" (1. Kor. 3, 7). Fliehen wir darum, wenn große Sorgen um die heranreifende Jugend unser Herz beschweren, zu Jesus, dem himmlischen guten Kinderfreund, dass er unsere geliebten Kinder selbst in seine Obhut nehme, sie schütze und mit uns zum ewigen Leben führe.
Es segne euch alle der allmächtige Gott, + der Vater, + der Sohn und + der hl. Geist. Amen.
Nach dem neuen Kirchlichen Gesetzbuch, das am Pfingstfest 1918 in Kraft getreten ist, und der uns vom Apostolischen Stuhl erteilten Vollmacht gilt fortan folgende Fastenordnung:
I. Das Abstinenzgebot verbietet den Genuss von Fleischspeisen und Fleischbrühe, gestattet jedoch den Genuss von Milch, Eiern und mit Fett zubereiteten Speisen.
Das Fastengebot lässt nur eine einmalige volle Mahlzeit am Tage zu und des Morgens und Abends eine kleine Stärkung. Nicht mehr verboten ist an den Fasttagen der gleichzeitige Genuss von Fisch- und Fleischspeisen bei derselben Mahlzeit. Auch darf man an Fasttagen die Hauptmahlzeit am Abend halten und statt ihrer am Mittag eine kleine Stärkung nehmen.
II. Bloß Abstinenztage, also fleischlose Tage ohne Fasten, sind alle Freitage des Jahres.
71v

Fast- und Abstinenztage zugleich sind:
1. der Aschermittwoch,
2. die Freitage und Sonnabende der hl. Fastenzeit,
3. die Mittwoche, Freitage und Sonnabende der Quatemberwochen,
4. die Vigiltage vor den Festen Pfingsten, Mariä Himmelfahrt, Allerheiligen und Weihnachten.
Bloß Fasttage sind alle übrigen Tage der hl. Fastenzeit mit Ausnahme der Sonntage. An diesen Fasttagen darf man auch bei der außer der Hauptmahlzeit üblichen kleinen Stärkung Fleischspeisen genießen.
III. Trifft ein gebotener Feiertag außerhalb der hl. Fastenzeit auf einen Fast- oder Abstinenztag, so fällt das Fasten- und Abstinenzgebot ganz fort; dasselbe gilt, wenn eine der genannten Vigilien auf einen Sonntag fällt. Am Karsamstag hört das Fasten- und Abstinenzgebot um 12 Uhr mittags auf.
IV. Das Abstinenzgebot verpflichtet alle Christen vom vollendeten 7. Lebensjahre an, wenn nicht eine wichtige Ursache, wie Krankheit oder Armut entschuldigt.
Das Fastengebot verpflichtet alle Christen, die das 21. Lebensjahr vollendet und das 60. noch nicht begonnen haben, falls sie nicht durch einen wichtigen Grund, schwere Arbeit, Krankheit oder geschwächte Gesundheit entschuldigt sind.
V. Dispensiert vom Abstinenzgebot an allen Tagen mit Ausnahme am Karfreitag sind:
Gastwirte und Kostgeber, welche genötigt sind, Fleischspeisen für ihre Gäste zu bereiten; die, welche auf einer Reise sich befanden; welche keinen eigenen Tisch führen und in Gasthäusern und Restaurationen speisen müssen; die, welche fern von ihrer Häuslichkeit an ihrer Arbeitsstätte ihre Mahlzeiten zu sich nehmen müssen (z. B. sog. Außenarbeiter); jene, welche bei Nichtkatholiken in Dienst oder Arbeit stehen; desgleichen jene, welche in gemischter Ehe leben, wenn sie das kirchliche Gebot nicht beobachten können, ohne den ehelichen Frieden zu stören; ebenso Familien, bei denen aktive Militärpersonen in Kost und Logis sind; endlich die von Almosen lebenden Armen.
VI. Alle Pfarrer und Kuraten besitzen die Vollmacht, in besonderen Fällen, wenn eine gerechte Ursache vorliegt, einzelnen Personen wie auch einzelnen Familien das Fasten- und Abstinenzgebot ganz oder teilweise zu erlassen. Die gleiche Vollmacht haben die Beichtväter, wenn sie bei Gelegenheit der Beichte um Dispens ersucht werden.
VII. Mit Rücksicht auf die nachgelassene Strenge des Fastengebotes werden die Gläubigen ermahnt, nach ihrem guten Willen und Vermögen ein Almosen zu geben, sei es zur Linderung der leiblichen Not des Nächsten, sei es zur Beförderung der geistlichen Werke der Barmherzigkeit und vor allem zur Erhaltung und Verbreitung unseres hl. Glaubens.
VIII. Die österliche Zeit beginnt mit dem 4. Sonntag der Fastenzeit und dauert bis zum 2. Sonntag nach Ostern, wenn nicht für einzelne Gemeinden eine andere Bestimmung getroffen ist.
Gegenwärtiges Hirtenschreiben soll am Sonntag in allen Kirchen von der Kanzel verlesen werden.
+ Augustinus, Bischof von Ermland.
1Textpassage "Um von […] zu schweigen" hds. am linken Seitenrand von unbekannter Hand markiert.
Empfohlene Zitierweise
Bludau, Augustinus, Augustinus, durch Gottes Barmherzigkeit und Gnade des hl. Apostolischen Stuhles Bischof von Ermland, allen Gläubigen des Bistums zum Gruß und Segen im Herrn!, Frauenburg vom 25. Januar 1920, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 6543, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/6543. Letzter Zugriff am: 24.04.2024.
Online seit 14.01.2013, letzte Änderung am 01.09.2016.