Dokument-Nr. 7868
Kinder der Diözese Breslau an Benedikt XV.
[Breslau], vor dem 19. Dezember 1919

Ehrwürdiger Vater!
Weihnachten naht, das Fest aller Feste der gesamten Christenheit, das Fest der Kinder. Alles rüstet, um den Heiligen Abend würdig zu begehen. Millionen Kinderherzen schlagen höher vor Freude und Erwartung der Dinge, die Elternliebe und Sorge ihnen bescheren werden. Aber Hunderttausende von Kindern stehen abseits und schauen mit sehnsüchtigen Augen auf ihre glücklicheren Gefährten.
Ihre Väter, ihre Brüder, Menschen, an denen das kindliche Herz mit innigster Liebe, Dankbarkeit und Verehrung hängt, schmachten immer noch, ein Jahr nach Waffenstillstand, über ein halbes Jahr nach Unterzeichnung des Friedens, in traurigster Sklaverei, und es ist wohl ausgeschlossen, dass sie ihren Familien bald wiedergegeben werden.
O, was empfindet ein Kinderherz, wenn es täglich sehen muss, wie die Mutter um den Gatten jammert und weint, wenn die herzzerreißenden Klagebriefe aus der Gefangenschaft kommen, diese Hilferufe und Verzweiflungsschreie der gequälten und gemarterten Seele, wenn es erleben muss, wie die Eltern sich weinend in die Arme fallen, wenn der Bruder, der hoffnungsfroh hinauszog in den Kampf für König und Vaterland und er womöglich verwundet in die Hände des erbarmungslosen Feindes fiel, nun voll düsterer Resignation schreibt: „Ob wir uns je noch wiedersehen werden? Wir glauben es nicht mehr, zu oft ist uns unsere Hoffnung zertrümmert worden, man will uns einfach nicht mehr herausgeben, will uns verderben und kein Mensch und kein Gott hilft uns mehr!" Wie haben wir Kinder uns gefreut, endlich dieses Weihnachtsfest unsern Vater wiederzusehn, ihn durch doppelte Liebe die traurigen Jahre der Gefangenschaft vergessen zu machen, wie wollten wir den geliebten Bruder freudig und liebevoll empfangen, und nun müssen wir wiederum ein Fest feiern ohne sie zu sehen, wie unsre Mütter, unsre Eltern sich in Sehnsucht und Verzweiflung verzehren.
Mit unseren schwachen Kräften können wir nichts helfen, aber wir wollen uns sammeln und kommen nun in kindlicher Liebe und festem Vertrauen zu Dir, o heiliger Vater, um Dir unseren heißesten Weihnachtswunsch zu Füßen zu legen.
Hilf Du uns, dass wir unsere Väter und Brüder wieder bekommen, dass unsere armen Mütter ihre Tränen endlich wieder trocknen, dass unsere Eltern in heißer Freude ihre Söhne in die Arme schließen können, dass die Ärmsten der Armen dort draußen in Feindesland wieder Mut und Gottvertrauen fassen und ihre jahrelange Sehnsucht, die geliebte Heimat, das Elternhaus, Weib und Kind, Freunde und Verwandte wiederzusehen bald in Erfüllung geht, dass ihnen als schönstes Weihnachtsgeschenk nun endlich die Gewissheit wird, die Hilfe naht, der Weihnachtsstern, der uns das Heil der Welt verkündet, bringt Euch die Freiheit.
Hilf Du uns, heiliger Vater, und hilf auch, dass alle Welt unsere Bitte vernimmt und sich eint in diesem Liebeswerk, dazu hilf uns und in heißer Dankbarkeit werden dieser Hilfe stets gedenken
die Schulkinder Breslaus aller Konfessionen
Empfohlene Zitierweise
Kinder der Diözese Breslau an BenediktXV. vom vor dem 19. Dezember 1919, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 7868, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/7868. Letzter Zugriff am: 19.04.2024.
Online seit 04.06.2012, letzte Änderung am 24.10.2013.