Dokument-Nr. 8540
Thoma, Franz Joseph an Bischöfliches Ordinariat Passau
Bischofsreut, 04. Februar 1920

In rubr. Sache erlaubt sich der ehrerbietigst Unterzeichnete weiter zu berichten, wie folgt:
1.) Gestern war Herr Pfarrvikar von Bömisch-Röhren [sic] wieder bei mir auf Besuch. Das Gespräch drehte sich fast ausschliesslich um die kirchnpolitische [sic] Lage der Diözese Budweis.
Der pflichtvergessene Pfarrer Divis liest jetzt wieder Messe unter militärischer Bedeckung (4 Mann mit scharfgeladener Waffe und aufgepflanztem Bajonett) unter Anteilnahme von etwa 4-6 weiteren Personen insbesondere unter dem Protektorate des dortigen Finanzvorstandes Roda. Angeblich soll Divis die Erlaubnis hierzu vom Prager Metropoliten erhalten haben. Eine Nachforschung des Pfarrvikars ergab die Sache als puren Schwindel. Divis1 entblödet sich auch nicht, mit den tschechischen Besatzungssoldaten unter deren Harmonikabegleitung mit seiner "Frau" bis früh 4 oder 5 Uhr zu tanzen.2
Meine eigenen Pfarrkinder haben dieses Messelesen des Divis so aufgefasst, als ob ohnehin alles bei diesem Manne in Ordnung
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sei, zumal ja Divis bereits früher von der Kanzel aus des öfteren predigte, "daß er nicht vom Glauben abfalle" – eine raffinierte Bosheit!
2.) Wie Herr Pfarrvikar weiter berichtet, hatten 17 Bischöfe Böhmens unter dem Vorsitze des Prager Metropoliten eine Konferenz; das Resultat ist nicht weiter bekannt. Eigentümlich ist allerdings die Tatsache, daß das Konsistorium (= Ordinariat) in Budweis dem Pfarrvikar von Böhmisch Röhren auf eine fünfmalige Eingabe in seiner geradezu einzig schwierigen Lage keine Zeile erwiderte während Bischof Hulka von Budweis bereits dreimal persönlich an den Pfarrer Divis schrieb und zwar anfangs aus eigener Initiative. Als der Pfarrvikar von Bömisch Röhren persönlich bei seinem Oberhirten deshalb vorstellig wurde, bekam er zur Antwort, er mache es ohnehin recht. Bischof Hulka ist nach Äusserung des Pfarrvikars von Böhmisch-Röhren weder beim tschechischen noch beim deutschen Klerus beliebt und zwar, wie ausdrücklich bemerkt, "wegen seines Hinkens nach beiden Seiten". Diesen Ausdruck vernahm Unterzeichneter selbst auch aus dem Munde eines Tschechischen Priesters. Allgemein wurde über eine geradezu "skandalöse Mißwirtschaft beim Konsistorium" geklagt.
3.) Die deutschen Priester sind fest entschlossen, alle Hebel in Bewegung zu setzen, um eine Änderung zum Besseren herbeizuführen. Es sei ihre feste Überzeugung, daß Bischof Hulka sich auf die Dauer nicht halten könne. Sie würden es als Glück betrachten, wenn es ihnen ermöglicht würde, Anschluß an die Kirche in Bayern zu finden. Nach unverbindlicher Schätzung kämen ungefähr eine Million Seelen in Betracht. Bei den derzeitigen schlimmen Verhältnissen in Budweis sei eine Hoffnung auf besseren Nachwuchs des Tschechischen [sic] Klerus ausgeschlossen. So sei es ein offenes Geheimnis, daß der dortige Moralprofessor im Konkubinat3 lebt; bekannt sei, daß der Dogmatiker seine Vorlesungen in kirchenpolitische Exkursionen umwandle; der Exeget sei geradezu ein
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unfähiger Mensch; der Lehrstuhl für Pastoral sei mit einem ganz jungen Herrn ohne jegliche praktische Erfahrung besetzt; kurz, Budweis sei eine "theologische Kretinenschule"4.Und Bischof Hulka? Er kennt seit Jahren die Verhältnisse, wird ihrer aber, gelinde ausgedrückt, nicht Herr!
4.) Mitte Februar wird voraussichtlich eine Konferenz des deutschen Klerus der Diözese Budweis in ernstester Weise zur Sache Stellung nehmen. Es sei allerdings das punctum saliens die Frage der Trennung von Kirche und Staat. In letzterer sähen die deutschen Priester eine willkommene Wendung.
5.) Herr Pfarrvikar von Böhmisch-Röhren sagte ausdrücklich: "Sie sürfen [sic] alles berichten, was ich Ihnen sage; ich habe mit deutschen Priestern in Budweis darüber gesprochen; diese sagten: Gott sei Dank, daß doch einmal die ganze Sache zur Sprache kommt, wir können selbst ja nichts berichten; vielleicht vernimmt dann auch Rom, wie entsetzlich misslich es mit unserer Diözese steht".
Wenn dem Ehrfurchtsvollst Unterzeichneten ein Urteil gestattet ist, so möchte er dem Gedanken Ausdruck verleihen, daß es geradezu die Christliche Nächstenliebe fordert, dieser ringenden Confraternitas beizuspringen. Es erinnert mich an die Geburtswehen der ersten christlichen Kirche, von denen ein hl. Paulus im Briefe an die Galater so rührend spricht. Nach meiner festen Überzeugung ist es auch der deutschböhmische Volksteil wert, daß ihm Hilfe zu teil wird. Es fehlen ihm aber begeisterte und darum auch begeisternde Vorbilder. Wenn tatsächlich der Wunsch der deutschen Priesterschaft in der Diözese Budweis in Erfüllung gehen sollte, ein eigenes Vikariat im Anschluß an Bayern zu erhalten, dann müßte der betr. Präsul geradezu ein homo apostolicus sein; er müßte persönlich wenigstens in den grösseren Orten predigen (anlässlich auch der kirchl. Feiern, z. B. auch bei der "Ewigen Anbetung"), er müßte "Allen alles werden", um beim Volke die Kirche durch seine Erscheinung und durch seine Persönlichkeit wie-
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der populär zu machen, um das fast erlöschende Feuer wieder zu heller Flamme zu entfachen. Es wäre dies eine Aufgabe, die wohl auch ein geistiges Martyrium in sich schliesst; es müßte ein Mann vom Geiste eines hl. Franz von Sales sein! Nur so könnte nach meiner unmassgeblichsten Meinung mit Gottes Gnade neues Leben aus den Ruinen erblühen!
Es zeichnet in tiefster Ehrfurcht
Einem Hochwürdigste Bisch. Ordinariate treugehorsamster
Fr. J. Thoma, Pfarrer.
1"Divis" hds. von unbekannter Hand in roter Farbe unterstrichen, vermutlich vom Empfänger.
2"nicht […] tanzen" hds. von unbekannter Hand in roter Farbe am linken Seitenrand angestrichen, vermutlich vom Empfänger.
3"Moralprofessor […] Konkubinat" hds. von unbekannter Hand in roter Farbe unterstrichen, vermutlich vom Empfänger.
4"Budweis […] Kretinenschule" hds. von unbekannter Hand in roter Farbe unterstrichen, vermutlich vom Empfänger.
Empfohlene Zitierweise
Thoma, Franz Joseph an Bischöfliches Ordinariat Passau vom 04. Februar 1920, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 8540, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/8540. Letzter Zugriff am: 29.03.2024.
Online seit 14.01.2013, letzte Änderung am 03.06.2013.