Dokument-Nr. 8974

Eine Kundgebung der Generalsynode, in: Münchner Neueste Nachrichten, Nr. 379, 14. September 1920
Am Schlusse der Verhandlungen der Generalsynode, über die wir noch berichten werden, kam eine Kundgebung zur Verlesung; in der es heißt:
1. Das landesherrliche Kirchenregiment gehört der Vergangenheit an. Wie sich auch die staatliche Ordnung unseres Vaterlandes in Zukunft gestalten möge: in der evangelischen Kirche wird die Kirchengewalt des Landesherrn nicht wiederkehren. Aber die Synode erfüllt nun eine Ehrenpflicht, wenn sie des schwergeprüften Königs, dem noch die letzte ordentliche Generalsynode, die von 1917, in Ehrfurcht gehuldigt hat, voll aufrichtiger, lebendiger Teilnahme fürbittend gedenkt.
2. Die auf sich selbst gestellte Kirche hat ihren gottbefohlenen Dienst in einem Volke auszurichten, dessen Geschick und Zustand in der Geschichte, mindestens in der Geschichte der christlichen Völker kaum seinesgleichen findet. Von außen geknechtet und entrechtet, ausgesogen, misshandelt und geschändet, ist es im Innern schrankenlosem Parteikämpfe [sic] überantwortet und bis in die letzten Tiefen des Denkens und Empfindens hinein zerklüftet und zerrissen. Die Kirche kennt keine Parteien. Sie umfasst alle; die ihr zugehören mit gleicher Treue, mit gleicher Liebe. Gibt es für sie überhaupt einen Unterschied, dann nur der, dass sie mit besonderer Liebe, mit besonderer Treue diejenigen sucht und auf sorgenden Herzen trägt, welche sich von der lebendigen Gemeinschaft mit ihr am weitesten entfernt haben. Eindringlich mahnt die Synode, dass doch nie und nirgends vergessen werden möge, was auch über die tiefsten Gegensätze hinweg alle eint, die in der Kirche der Reformation ihre gemeinsame geistliche Heimat haben.
3. Des konfessionellen Friedens war unser Volk und Vaterland nie bedürftiger als in dieser Zeit der äußersten Bedrängnis: er ist aber heute so schwer gefährdet wie nur je: vor allem durch die Stellung der römischen Kirche zur Mischehe. Die milderen Grundsätze des Papstes Pius X. von 1906 sind gefallen. Die Vorschriften des neu gestalteten kirchlichen Gesetzbuchs von 1918 bedeuten eine Kampfansage und die Art und Weise, wie sie gehandhabt werden, bedeutet die rücksichtslose Durchführung des Kampfes.
Unerträglich wird die Ehre unserer Kirche verletzt; ernstlicher als seit langer Zeit wird ihre Zukunft bedroht. Demgegenüber erachtet es die Synode als eine heilige Pflicht, das evangelische Gewissen allenthalben wachzurufen: das Bewusstsein um das, was wir an dem Erbe der Väter haben, und die Beständigkeit, welche dies schwer errungene, schwer behauptete Erbe dankbar und treu festhält.
An die deutschen Bischöfe aber richtet die Synode die ernste Frage, ob es wirklich wohlgetan ist, wenn der Kampf gegen die Mischehe in einem Geiste und in Formen geführt wird, in welchen er zu erbitterten Kampfe der christlichen Bekenntnisse untereinander werden muss: auf dem ohnehin vielgespalteten Boden des um seine letzten Lebensmöglichkeiten ringenden Deutschen Volkes und das in einer Zeit, in welcher die christlichen Kirchen aller Bekenntnisse einem Ansturm des Unglaubens gegenüberstehen und noch viel mehr entgegensehen, wie er seit [ein Wort unlesbar]-richtung des Kreuzes auf deutschem Boden niemals erhört war.
4. Zerschlagen wie der Mann, der vor Jericho unter die Mörder fiel, liegt unser Volk am Wege. Und was noch furchtbarer ist: seine Seele gleicht der Seele jenes Menschen, von dem der Heiland warnend spricht, dass ein unsauberer Geist in ihn zurückgekehrt sei, und mit ihm sieben andere noch ärger denn er: und es ward mit den selbigen Menschen hernach ärger, denn es vorhin war.
Die Synode unternimmt es nicht, die Schäden im einzelnen zu nennen und aufzuzählen, an welchen unser Volk in allen seinen [ein Wort unlesbar] krankt: mir allzu offen liegen sie ja [ein Wort unlesbar] Wohl aber fühlt sich die Synode gedrängt und berufen, mit Kraft und Nachdruck ihre Stimmen zu erheben und jedem, den sie zu erreichen vermag, die vielgestaltige, tiefe Not auf Herz und Gewissen zu legen: nicht zu fruchtloser Plage, noch weniger zu liebloser pharisäischer Anklage, sondern zur Selbstprüfung vor dem Angesicht dessen, der Augen hat wie eine Feuerflamme.
Ansbach, 12. September 1920.
Für die außerordentliche Generalsynode:
Der Präsident:D. Wilh. Freiherr v. Bechmann
(Siehe Seite 5)
Empfohlene Zitierweise
Anlage vom 14. September 1920, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 8974, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/8974. Letzter Zugriff am: 29.03.2024.
Online seit 14.01.2013, letzte Änderung am 01.09.2016.