Besprechungen Graf von Hertlings mit den Vertretern der Reichstagsparteien vom 28. bis 30. Oktober 1917

Der bayerische Ministerpräsident Georg Graf von Hertling traf am 27. Oktober in Berlin ein, wo er von Reichskanzler Michaelis das Amt des Reichskanzlers angeboten und die Pläne einer Trennung der beiden Ämter des Reichskanzlers und des preußischen Ministerpräsidenten unterbreitet bekam. Am 28. Oktober wiederholte Kaiser Wilhelm II. dieses Angebot. Hertling erbat sich Bedenkzeit, in der er Fühlung mit den Vertretern der Mehrheitsparteien aufnehmen wollte. Obwohl dieses Vorgehen keine verfassungsrechtliche Grundlage besaß und einen Schritt in Richtung Parlamentarisierung bedeutete, stimmte Wilhelm II. zu.
Hertling traf sich zuerst mit dem Zentrumsabgeordneten Matthias Erzberger in Vertretung des Fraktionsvorsitzenden der Zentrumspartei, Karl Trimborn, und danach mit dem Fraktionsvorsitzenden der Deutschkonservativen Partei, Kuno Graf von Westarp. Dieser unterstützte zwar die Kanzlerschaft Hertlings, gehörte aber nicht den Mehrheitsparteien an. Die Führer der weiteren Mehrheitsvertreter, mit denen Hertling an den beiden folgenden Tagen sprach (Gustav Stresemann von der Nationalliberalen Partei, Konrad Haussmann und Otto Fischbeck von der Fortschrittlichen Volkspartei sowie Friedrich Ebert von den Mehrheitssozialdemokraten), lehnten ebenfalls die Trennung der beiden Ämter ab. Darüber hinaus forderten sie die Aufhebung des Artikels 9 der Reichsverfassung. Dadurch würde das Verbot der Aufnahme von Parlamentariern in die Reichsleitung und das preußische Kabinett aufgehoben werden. Dies taten sie in bewusstem Gegensatz zu Hertling, der sich öffentlich dagegen und somit auch gegen die Parlamentarisierung des Reichs ausgesprochen hatte.
Nach der Ablehnung seiner Person durch die Mehrheitsparteien wollte Hertling auf die Kanzlerschaft verzichten, doch die diesbezüglichen Verhandlungen wurden weitergeführt.
Quellen
MATTHIAS, Erich/MORSEY, Rudolf (Hg.), Der Interfraktionelle Ausschuß 1917/18, Bd. 1 (Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien. Reihe 1: Von der konstitutionellen Monarchie zur parlamentarischen Republik 1), Düsseldorf 1959, Nr. 71a-e, S. 334-362.
Literatur
BERMBACH, Udo, Vorformen parlamentarischer Kabinettsbildung in Deutschland. Der Interfraktionelle Ausschuss 1917/18 und die Parlamentarisierung der Reichsregierung (Politische Forschungen, 8), Köln 1967.
HUBER, Ernst Rudolf, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 5: Weltkrieg, Revolution und Reichserneuerung 1914-1919, Stuttgart u. a. 1978, S. 388-395.
Empfohlene Zitierweise
Besprechungen Graf von Hertlings mit den Vertretern der Reichstagsparteien vom 28. bis 30. Oktober 1917, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Schlagwort Nr. 11049, URL: www.pacelli-edition.de/Schlagwort/11049. Letzter Zugriff am: 28.03.2024.
Online seit 07.11.2011, letzte Änderung am 26.06.2019.
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