Pacelli-Punktation I vom Oktober 1919 (Verhandlungen über ein Konkordat mit Bayern)

Als die Novemberrevolution 1918 und die Verabschiedung der Weimarer Reichsverfassung im August 1919 die Möglichkeit boten, das Verhältnis zwischen Kirche und Staat in Bayern neu zu ordnen, begann Pacelli im Herbst 1919 mit Sondierungen bei der bayerischen Regierung, die schließlich 1924 zum Abschluss eines Konkordates führten. Der erste Vorentwurf, den Pacelli erstellte, wird in der Forschung Pacelli-Punktation I genannt. Sie beruht auf einer Denkschrift des bayerischen Episkopats vom 12. September 1919 ( Dokument Nr. 2810). Verbunden mit seinen eigenen Vorstellungen formulierte der Nuntius zehn Punkte, die er am 30. Oktober dem bayerischen Ministerpräsidenten Johannes Hoffmann vorlegte (Dokument Nr. 4127). Anschließend sandte er die Punktation I auch den bayerischen Bischöfen zu, damit diese ihr Votum zu ihr abgeben. Die Vorschläge des Episkopats gingen in die Pacelli-Punktation II ein, die Pacelli am 4. Februar 1920 Hoffmann vorlegte, nachdem Landtag und Staatsregierung am 20. Januar der Einleitung förmlicher Verhandlungen zugestimmt hatten.
Im folgenden geben wir den Text der Pacelli-Punktation I wieder:
"1. Die Kirche ernennt frei alle kirchlichen Stellen ohne Mitwirkung des Staates und der bürgerlichen Gemeinden. Der Staat wird auch weiterhin wie bisher seine Beiträge leisten, einschließlich der sog[enannten] freiwilligen, und werden letztere bei der Ablösung eingerechnet werden.
2. Bei der Ernennung der Professoren an den theologischen Fakultäten der Universitäten bringt der Staat einen oder mehrere geeignete Kandidaten dem Ordinarius der Diözese in Vorschlag; dessen Zustimmung ist notwendig vor der Ernennung. Auch müssen an der philosophischen Fakultät jeder Universität wenigstens ein Professor der eigentlichen Philosophie und ein Professor für Geschichte sein, deren kirchlicher Standpunkt nach dem Urteile des Ordinarius sicher ist.
3. Die Lyzeen für die philosophische und theologische Ausbildung der Kleriker sind bischöfliche Anstalten und als solche abhängig vom Ordinarius, der die Rektoren und Professoren frei ernennt.
4. Wenn ein Professor der Universität vom Ordinarius als unfähig erachtet wird wegen seiner Lehrtätigkeit oder wegen seiner moralischen Haltung, wird er entfernt.
5. Ebenso werden die Religionslehrer an Mittelschulen auf Vorschlag des Ordinarius ernannt und werden nach Antrag desselben entfernt auf die oben angeführten Gründe hin.
6. Die Kirche ist berechtigt, ihr Vermögen frei zu verwalten. Der Kirche steht das Recht zu, von ihren Gliedern Steuer zu erheben und über die Verwendung derselben frei zu verfügen. Der Staat wird die Kirchensteuer gegen eine mäßige Vergütung mit den Staatssteuern erheben.
7. Die Gebäude und Grundstücke des Staates, die derzeit unmittelbar oder mittelbar kirchlichen Zwecken dienen, werden in das Eigentum der Kirche übertragen; die jetzt dem Staate obliegende Baupflicht und die Baulasten werden angemessen abgelöst.
8. Der Staat muß die Verfügungen der kirchlichen Oberbehörden innerhalb des kirchlichen Bereiches anerkennen und nötigenfalls ausführen.
9. Beim Heere, in den Strafanstalten, Pflegeanstalten und Krankenhäusern wird eine regelmäßige Seelsorge eingerichtet und werden vom Staate hierfür die nötigen finanziellen Mittel sowie die erforderlichen Räume, Utensilien und Paramente beschafft.
10. Orden und Congregationen dürfen frei gegründet werden, sind rechtsfähig nach dem für alle Bürger und Gesellschaften geltenden Rechte, haben die selbstständige Ordnung und Verwaltung ihrer Angelegenheiten dem Staate gegenüber. Ihr Eigentum und ihre anderen Rechte sind gewährleistet."
Quellen
Die Erzbischöfe und Bischöfe Bayerns an Pacelli vom 12. September 1919; Dokument Nr. 2810.
Pacelli an Gasparri vom 30. Oktober 1919; Dokument Nr. 4127.
Pacelli an Faulhaber mit Pacelli-Punktation I vom 28. November 1919, in: VOLK, Ludwig, Akten Kardinal Michael von Faulhabers 1917-1945, Bd. 1: 1917-1934 (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte A 17), Mainz 1975, Nr. 54, S. 116 f.
Literatur
BUSLEY, Hermann-Joseph, Bayerisches Konkordat 1924, in: www.historisches-lexikon-bayerns.de (Letzter Zugriff am: 24.07.2013).
MASER, Hugo, Evangelische Kirche im demokratischen Staat. Der bayerische Kirchenvertrag von 1924 als Modell für das Verhältnis von Staat und Kirche, München 1983, S. 59.
Pacelli-Punktation II vom Februar 1920 (Verhandlungen um ein Konkordat mit Bayern); Schlagwort Nr. 260.
SEIBERT, Norbert, Christliche Volksschule in einer säkularisierten Gesellschaft? Traditionslinien und Probleme der Pflichtschule, Bad Heilbrunn 1995, S. 161, Anm. 218.
Empfohlene Zitierweise
Pacelli-Punktation I vom Oktober 1919 (Verhandlungen über ein Konkordat mit Bayern), in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Schlagwort Nr. 1118, URL: www.pacelli-edition.de/Schlagwort/1118. Letzter Zugriff am: 28.03.2024.
Online seit 31.07.2013, letzte Änderung am 20.01.2020.
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