Apostolische Nuntiatur in Wien

Die Nuntiatur am Kaiserhof in Wien entstand 1529 als die erste ständige Vertretung des Papstes im Deutschen Reich. Zeitweise folgte der Nuntius dem kaiserlichen Hof nach Prag. Er diente als Verbindungsglied zwischen den beiden bedeutendsten christlichen Gewalten in Europa, dem Papst und dem Kaiser. Auch mit der Errichtung des Kaiserstaates Österreich 1804 und dem Ende des Alten Reichs 1806 blieb die Wiener Nuntiatur bestehen. Wenngleich sich ihre territoriale Zuständigkeit verringerte, blieb ihre inhaltliche Bedeutung als Nuntiatur I. Klasse bis zum Ende des Habsburgerreichs 1918 bestehen. 1913 zog die Nuntiatur in den neuen Palais in der Theresianumgasse 31, da der alte Althann'sche Palais "Am Hof" baufällig geworden war.
In der Zeit der Nuntiatur Pacellis in München und Berlin waren drei Nuntien in Wien tätig: Teodoro Valfré di Bonzo (1916-1920), Francesco Marchetti-Selvaggiani (1920-1922) und Enrico Sibilia (1922-1936).
Die Beziehungen zwischen dem italienfeindlichen Wien und dem von Italienern dominierten Heiligen Stuhl waren während des Ersten Weltkriegs angespannt. Die Situation verschärfte sich durch das diplomatische Ungeschick Teodoro Valfré di Bonzos, dessen kirchenpolitischer Einfluss gering blieb. Die politischen Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und Österreich liefen bis zum Ende des Ersten Weltkriegs maßgeblich über zwei andere Wege. Zum einen bestanden gute Kontakte zwischen der kriegsbedingt in der Schweiz ansässigen österreichischen Vatikangesandtschaft unter der Leitung von Johannes Prinz von Schönburg-Hartenstein und dem päpstlichen Sondergesandten in der Schweiz, Francesco Marchetti-Selvaggiani. Zum anderen übernahm die Münchener Nuntiatur unter Eugenio Pacelli die diplomatischen Kontakte, vor allem in der Friedensvermittlung, nicht nur mit Bayern und dem Reich, sondern faktisch auch mit Österreich-Ungarn.
Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs verlor die Wiener Nuntiatur weiter an Bedeutung. Francesco Marchetti-Selvaggiani verließ Wien bereits nach zwei Jahren und konnte hier nur wenig Einfluss ausüben. Zwar blieb Enrico Sibilia für 13 Jahre als Nuntius in Wien, doch konnte er, der die deutsche Sprache nicht beherrschte und sich eine Schlosserwerkstatt in der Nuntiatur einrichtete, hier keine maßgeblichen kirchenpolitischen Kontakte knüpfen. Erste Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass seinem Urteil im Vatikan nicht bedingungslos vertraut wurde.
Literatur
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Empfohlene Zitierweise
Apostolische Nuntiatur in Wien, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Schlagwort Nr. 14002, URL: www.pacelli-edition.de/Schlagwort/14002. Letzter Zugriff am: 19.03.2024.
Online seit 24.03.2010, letzte Änderung am 25.03.2013.
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