Reichstag, Weimarer Republik

Die Weimarer Republik war eine parlamentarische Demokratie. Der Reichstag ging aus dem allgemeinen, gleichen, unmittelbaren und geheimen Wahlrecht hervor (Art. 22). Wahlberechtigt waren alle deutschen Staatsbürger beiderlei Geschlechts, die das zwanzigste Lebensjahr vollendet hatten. Die Dauer der Legislaturperiode betrug vier Jahre. Bei den Wahlen galt das Verhältniswahlrecht.
Der Reichstag übte die einfache und die verfassungsändernde Gesetzgebungsgewalt aus (Art. 18, 68 und 73). Er traf die Entscheidung über die Haushaltsfestsstellung (Art. 85-87) und hatte die allgemeine Kontrollgewalt gegenüber der Reichsregierung (Art. 54 und 126). Er musste Bündnissen und anderen auswärtigen Verträgen, Kriegserklärungen und Friedensschlüssen zustimmen (Art. 45, Abs. 2 u. 3). Darüber hinaus hatte er das Recht, Mitglieder hoher Gerichte zu wählen.
Als Gegengewicht zur starken Position des Reichstags und, um "Parlamentsallmacht" und "Parteienherrschaft" zu verhindern, wurde der Reichspräsident mit weitreichenden Befugnissen ausgestattet. Er hatte das formale Prüfungsrecht über die vom Reichstag beschlossenen Gesetze. Sein Veto konnte der Reichstag mit Zweidrittelmehrheit überwinden. Daneben konnte der Reichspräsident eine vorzeitige Auflösung des Reichstages herbeiführen (Art. 25). Tatsächlich wurden alle sieben Reichstage der Weimarer Republik vorzeitig aufgelöst. Vor allem stand dem Reichspräsidenten nach Artikel 48 der Weimarer Reichsverfassung ein Notverordnungsrecht zu. Mithilfe dieser Rechte entmachte Paul von Hindenburg seit 1930 schrittweise das Parlament.
Die Präsidialkabinette der Endphase der Weimarer Republik vollendeten allerdings nur eine längerfristige Entwicklung. Durch das Verhältniswahlrecht wurde das Parlament ein Spiegelbild einer zerrissenen Gesellschaft ohne demokratischen Grundkonsens. Es erschwerte daneben die Mehrheitsbildung, was zusammen mit der mangelnden Fähigkeit der Parteien zur Zusammenarbeit eine dauerhafte stabile Regierungsbildung verunmöglichte und bei vielen Zeitgenossen ein sehr negatives Bild der Arbeit des Parlaments erzeugte.
Quellen
Die Verfassung des Deutschen Reichs. Vom 11. August 1919, in: Reichsgesetzblatt 152 (1919), S. 1383-1418, in: alex.onb.ac.at (Letzter Zugriff am: 13.07.2012).
Die Verfassung des Deutschen Reichs. Vom 11. August 1919, in: Reichsgesetzblatt 152 (1919), S. 1383-1418, in: www.lwl.org (Letzter Zugriff am: 29.05.2012).
Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919, in: www.dhm.de (Letzter Zugriff am: 10.07.2012).
Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919, in: HUBER, Ernst Rudolf (Hg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 4: Deutsche Verfassungsdokumente 1919-1933, Stuttgart u. a. 31991, Nr. 157, S. 151-179.
Literatur
BÜTTNER, Ursula, Weimar. Die überforderte Republik. 1918-1933, in: BENZ, Wolfgang (Hg.), Gebhartdt. Handbuch der deutschen Geschichte, Bd. 18: 20. Jahrhundert (1918-2000), Stuttgart 102010, S. 171-767, hier 342-344.
FALTER, Jürgen / LINDENBERGER, Thomas / SCHUMANN, Siegfried, Wahlen und Abstimmungen in der Weimarer Republik. Materialien zum Wahlverhalten 1919-1933 (Statistische Arbeitsbücher zur neueren deutschen Geschichte), München 1986, S. 39-45.
GUSY, Christoph, Die Weimarer Reichsverfassung, Tübingen 1997, S. 115-130.
HUBER, Ernst Rudolf, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 6: Die Weimarer Reichsverfassung, Stuttgart u. a. 1981, S. 349-373.
KOLB, Eberhard, Die Weimarer Republik (Oldenbourg Grundriss der Geschichte 16), München 72009, S. 19.
Empfohlene Zitierweise
Reichstag, Weimarer Republik, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Schlagwort Nr. 18030, URL: www.pacelli-edition.de/Schlagwort/18030. Letzter Zugriff am: 29.03.2024.
Online seit 04.06.2012, letzte Änderung am 26.06.2019.
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