Württembergische Bürgerpartei

Im Gegensatz zum Bauern- und Weingärtnerbund, in dem sich der ländliche Konservativismus Württembergs organisierte, sammelte sich in der Bürgerpartei der städtische. Sie ging nach dem Ersten Weltkrieg aus der Deutschkonservativen Partei Württembergs hervor und wählte die Bezeichnung "Bürgerpartei" in Abgrenzung zur preußisch dominierten Deutschnationalen Volkspartei (DNVP). Dieser schloss sie sich erst im November 1920 offiziell als Landesverband an. Die Bürgerpartei trat nicht nur das Erbe des württembergischen Konservatismus des Kaiserreiches an, sondern auch das des Rechtsliberalismus, um das sie mit der erst 1920 gegründeten württembergischen Deutschen Volkspartei (DVP) konkurrierte.
Die Bürgerpartei war eine Sammelpartei des nationalen und protestantischen Bürgertums und wollte die Interessen der "Bürger" im ursprünglichen und engeren Sinne vertreten, also die der steuerzahlenden und damit mit politischen Rechten versehenen Stadtbürger. Diese Ausrichtung setzte einer straffen Parteiorganisation Grenzen. In der Kaiserzeit vor allem im pietistischen Milieu verankert, gelang der Bürgerpartei erst nach 1918 eine stärkere Anpassung an die moderne Massendemokratie. In der Weimarer Republik stand sie trotz ihres aggressiven Nationalismus und Antisemitismus insgesamt für einen mit pragmatischem Republikanismus verbundenen, systemintegrierten KonservativismuS. Der in der Parteiagitation zwar präsente "Kampf gegen das System" war weit weniger wichtig als bei der Reichspartei, bedeutender waren der württembergische Etatismus und eine pragmatische und ergebnisorientierte Arbeit.
Ihren Hauptgegner sah die Bürgerpartei in der Sozialdemokratie (SPD), aber auch der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) stand sie ablehnend gegenüber. Es bestand zwar eine große Nähe zum Rechtsliberalismus, doch waren einer Zusammenarbeit mit der DVP durch den Nationalismus und Antisemitismus der Bürgerpartei sowie durch deren enge Verbindung zum Bauernbund Grenzen gesetzt. Aufgrund des antisozialistischen Konsenses sowie der gemeinsamen gesamtchristlichen Wertvorstellungen in der Kultur- und Bildungspolitik hatte die Bürgerpartei eine gewisse Affinität zum Zentrum. Jedoch war das Bündnis umstritten, nicht zuletzt aufgrund tief sitzender konfessioneller Gegensätze und der Zusammenarbeit zwischen Zentrum und SPD im Reich. Erst spät entstanden innerkonservative Differenzen mit dem Bauern- und Weingärtnerbund, etwa anlässlich der Diskussion um die Einführung einer Schlachtsteuer in den 1930er Jahren.
Die Bürgerpartei erhielt bei dem Wahlen zur Verfassunggebenden Landesversammlung am 12. Januar 1919 und denen zum ersten regulären Landtag am 6. Juni 1920 7,4 Prozent bzw. 9,3 Prozent der Stimmen. Aber erst nach dem Zerbrechen der von der SPD tolerieren Minderheitenregierung aus DDP und Zentrum 1924 und einem Ergebnis von 10,4% der Stimmen bei den Landtagswahlen am 4. Mai 1924 gelang es der Bürgerpartei, eine Koalition mit Zentrum sowie Bauern- und Weingärtnerbund unter ihrem führenden Repräsentanten Wilhelm Bazille zu bilden. Diese staatsautoritäre und verwaltungszentrierte Regierung in der Tradition des Kaiserreichs betrieb vor allem Mittelstandspolitik, hatte eine landwirtschaftsfreundliche Haltung und versuchte "konservative" Werte in der Schul- und Bildungspolitik umzusetzen.
Die Wähler honorierten dies nicht und gaben der Bürgerpartei bei den Landtagswahlen am 20. Mai 1928 nur 5,7 Prozent der Stimmen. Die Partei, die sich nun Deutschnationale Volkspartei (Württembergische Bürgerpartei) nannte, war zwar noch an der Regierung des Zentrumspolitikers Eugen Bolz beteiligt, näherte sich aber seit den 1930er Jahren mit dem Einschwenken auf den Kurs des Vorsitzenden der Reichspartei, Alfred Hugenberg, immer stärker den Nationalsozialisten (NSDAP) an. Dies sorgte für eine inhaltliche Ausdünnung, den Verlust ihres spezifischen landespolitischen Profils und schließlich zum Niedergang der Partei.
Beteiligung an Landesregierungen 1919-1933
Kabinett Ministerposten
Kabinett Bazille (3. Juni 1924 bis 4. Juni 1928) Ministerpräsident, Kultus sowie Wirtschaft (Wilhelm Bazille), Finanzen (Alfred Dehlinger)
Kabinett Bolz (8. Juni 1928 bis 11. März 1933) Kultus (Wilhelm Bazille), Finanzen (Alfred Dehlinger)
Kabinett Murr (15. März bis 12. Mai 1933) Finanzen (Alfred Dehlinger)
Literatur
FALTER, Jürgen / LINDENBERGER, Thomas / SCHUMANN, Siegfried, Wahlen und Abstimmungen in der Weimarer Republik. Materialien zum Wahlverhalten 1919-1933 (Statistische Arbeitsbücher zur neueren deutschen Geschichte), München 1986, S. 113.
OHNEZEIT, Maik, Zwischen "schärfster Opposition" und dem "Willen zur Macht". Die Deutsch-Nationale Volkspartei (DNVP) in der Weimarer Republik 1918-1928 (Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien 158), Düsseldorf 2011.
SAUER, Paul, Württemberg in der Weimarer Republik, in: SCHWARZMAIER, Hansmartin / SCHAAB, Meinrad (Hg.), Handbuch der baden-württembergischen Geschichte, Bd. 4: Die Länder seit 1918 (Veröffentlichung der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg), Stuttgart 2003, S. 73-150, hier passim.
TRIPPE, Christian F., Konservative Verfassungspolitik 1918-1923. Die DNVP als Opposition in Reich und Ländern (Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien 105), Düsseldorf 1995.
WEBER, Reinhold, Bürgerpartei und Bauernbund in Württemberg. Konservative Parteien im Kaiserreich und in Weimar (1895-1933) (Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien 141), Düsseldorf 2004.
Empfohlene Zitierweise
Württembergische Bürgerpartei, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Schlagwort Nr. 25050, URL: www.pacelli-edition.de/Schlagwort/25050. Letzter Zugriff am: 28.03.2024.
Online seit 04.06.2012, letzte Änderung am 06.05.2019.
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